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Digitale-Dienste-Gesetz: XVideos wird erste Pornoplattform in der Liga der Riesen

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Die meistbesuchte Pornoseite der Welt behauptet, mehr als 160 Millionen Nutzer:innen in der EU zu haben – jeden Monat. Damit müsste XVideos bald die striktesten Auflagen der EU einhalten, wie sie sonst nur für „Very Large Online Plattforms“ wie Google oder Amazon gelten. XVideos bereitet sich schon mal auf die „Herausforderung“ vor.
Laut eigenen Angaben bei weitem groß genug, um als Tech-Riese zu gelten: XVideos.com. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Pond5 ImagesMuss die größte Pornoplattform der Welt bald Risikoberichte verfassen, ob Nutzer:innen dort geschlechtsbasierte Gewalt droht oder ob ihre Psyche Schaden nimmt? Muss sie Wissenschaftler:innen hinter die Kulissen schauen lassen? Oder gleich die EU-Kommission? Genau das könnte bald mit der Pornoseite XVideos passieren, einer der meistbesuchten Seiten im Internet mit Sitz in Tschechien.
Denn die neuen Regeln der Europäische Union für Online-Plattformen gelten nicht nur für die erwartbaren großen Tech-Konzerne: TikTok, Facebook, Google oder Amazon. Die Verordnung mit dem Namen Digitale-Dienste-Gesetz trifft alle Plattformen, die mehr als 45 Millionen Nutzer:innen pro Monat in der EU haben. Solche Riesen gelten dann als „VLOP“, das steht für „Very Large Online Plattform“. Und XVideos? Ist laut eigener Aussage ein solcher Riese. 160 Millionen Nutzer:innen im Monat sollen die Seite aufrufen.
So steht es inzwischen auf der Webseite des Pornoriesen. Wer dort vorbei scrollt an Videos von Stiefmüttern, Amateur-Handjobs und Mädchenpartys „ohne Höschen“ bekommt nicht nur einen Eindruck von den Phantasien der EU-Bevölkerung. Ganz unten im Kleingedruckten findet sich auch die beachtliche Selbsteinschätzung: „dass XVideos mit Stand vom 17. Februar 2023 durchschnittlich 160 Millionen monatliche Nutzer des Dienstes in der Europäischen Union hat, berechnet als Durchschnitt über den Zeitraum der letzten sechs Monate.“
Weit über der Schwelle
160 Millionen. Die Zahl ist beeindruckend. Das würde bedeuten, dass jede dritte Person im Staatenverbund mindestens einmal im Monat auf XVideos.com vorbeischaut. Es hieße auch, dass XVideos um Größenordnungen über der Schwelle von 45 Millionen Nutzer:innen liegt. Die Seite stünde damit in einer Liga mit Google oder Apple und müsste die striktesten Auflagen erfüllen, die im Gesetz vorgesehen sind.
Unter anderem müssen diese Plattformen Risikoberichte erstellen, ob auf ihren Seiten Schaden droht für Grundrechte wie die Meinungsfreiheit. Ob Kinder und Jugendliche dort ausreichend vor Werbung und Überwachung geschützt sind. Ob Wahlen manipuliert werden könnten und ob illegale Inhalte schnell genug wegmoderiert werden. Es ist die breitbeinige Ansage der EU an die Konzerne: Wenn ihr hier weiter mitmachen wollt – das sind die Regeln, nach denen ihr spielen müsst.
Allerdings reicht die Selbsteinschätzung nicht. Die EU-Kommission muss Plattformen erst offiziell zu „VLOPs“ erklären. Diese haben anschließend vier Monate Zeit, um Auflagen zu erfüllen. Bisher hat die EU-Kommission in einer ersten Runde Ende April rund 20 Namen bekannt gegeben: Google, Facebook, TikTok sind dabei, auch Onlinehändler wie Amazon und Zalando. Zu XVideos: kein Wort.
XVideos: „Wir werden unser Bestes tun“
Bis Februar hatten die Konzerne eigentlich Zeit, ihre Zahlen bekannt zu geben. Diese Frist hat XVideos damals gerissen. Aus der Branche hatten nur Pornhub und YouPorn Zahlen genannt – beide gehören zum kanadischen Konzern Aylo (ehemals Mindgeek) und liegen laut eigenen Angaben unter der Schwelle. Pornhub soll 33 Millionen Nutzer:innen in der EU haben, Youporn 7 Millionen. Auf XHamster, betrieben von HammyMedia, sollen es ebenfalls nur 33 Millionen sein.
Gerne würde man von der EU-Kommission jetzt mehr erfahren: Warum wird XVideos trotz der spektakulären Selbstauskunft bislang nicht als Riese gehandelt? Ist das noch geplant? Und wenn ja, wann? Doch die Kommission hält sich bedeckt. Ein Sprecher schreibt, man könne zu diesem Zeitpunkt nicht spekulieren. Soviel dann aber doch: Die Kommission würde ständig auf die Nutzerzahlen schauen, die die Plattformen ab jetzt regelmäßig alle sechs Monate bekannt geben müssten – und sie habe auch „alternative Mittel zur Überwachung der Zahl der aktiven Nutzer“. Es sei also „gut möglich, dass die Kommission in Zukunft weitere Dienste als sehr große Online-Plattformen bezeichnen wird.“
XVideos selbst geht dagegen längst davon aus, dass es bald in der Liste geführt wird. Das schreibt das Unternehmen auf unsere Presseanfrage hin. Genauere Auskunft,  wie man sich darauf vorbereitet, gab es keine. Man arbeite noch daran, die Regeln zu verstehen, es gäbe viele Verpflichtungen. Das Unternehmen sei im Austausch mit Beamt:innen der EU-Kommission. „Ich kann nur sagen, dass es eine Herausforderung sein könnte, alles rechtzeitig zu erledigen“, schreibt der anonyme Absender von der XVideos-Mailadresse, „da wir trotz der vielen Nutzer eine relativ kleine Struktur sind. Wir können nicht alles gleichzeitig machen, aber wir werden unser Bestes tun.“ Die Verordnung enthalte auch „einige gute Dinge“.
Hinter XVideos steht die tschechische Holding WGCZ. Sie gehört laut dortigem Handelsregister zum größten Teil dem Franzosen Stéphane Pacaud, er gilt als äußerst medienscheu. Sein Gesicht oder seine Stimme kennt niemand.
So wenig tut XVideos gegen sexualisierte Gewalt

 
Ein eigener Zusatz zur Verordnung, der speziell für Pornoseiten striktere Regeln durchsetzen sollte, hat es nicht ins Gesetz geschafft. Er sollte die Verbreitung von so genannter bildbasierter Gewalt verhindern. Gemeint sind etwa intime Bilder und Videos, die ohne die Zustimmung der Gezeigten auf Pornoseiten hochgeladen werden. Das Problem ist bekannt, die Plattformen unternehmen nur halbherzig etwas dagegen. Einige Betroffene hatten sich deswegen für den Zusatz stark gemacht.
Allerdings hätte er bedeutet, dass Nutzer:innen nicht mehr anonym auf den Seiten hätten posten dürfen, sie hätten sich mit ihrer Handynummer registrieren müssen. Das hatte unter anderem bei Sexarbeiter:innen und Pornodarsteller:innen für Kritik gesorgt. Sie fürchten um die Sicherheit ihrer Daten.
Wie regelt die Verordnung Pornos?
Sollte XVideos tatsächlich als VLOP gehandelt werden, wäre das eine Premiere. Das erste Mal müsste eine große Pornoplattform die Auflagen der neuen Verordnung erfüllen. Aber welche der vielen Risiken, die Plattformen bekämpfen sollen, wären überhaupt relevant für eine Seite, die nicht etwa politische Botschaften oder Beauty-Tipps präsentiert, sondern Menschen beim Sex in allen erdenklichen Anordnungen?
Probleme wie Desinformation oder Wahlmanipulation machen einer Pornoseite vermutlich weniger zu schaffen. „Systemische Risiken“, das sind in so einem Fall vor allem bildbasierte Gewalt. Illegale Inhalte sind in diesem Kontext etwa Aufnahmen von Minderjährigen oder Bilder, die ohne Erlaubnis hochgeladen werden. Gefakte Nacktbilder. Oder Videos, die eine mögliche Vergewaltigung zeigen. Solche Risiken müsste XVideos benennen – und auch Lösungswege präsentieren.
Doch genau diese Probleme machen XVideos ohnehin schon zu schaffen. Wie soll man auf einer Seite, auf der jede Person Inhalte hochladen darf, erkennen, wie alt Darsteller:innen sind? Was echt ist und was Phantasie? Schlagworte wie „rape“ oder „under 18“ hat XVideos schon lange blockiert. Trotzdem finden sich auch dazu leicht zahlreiche Videos auf der Seite.
„Ungerecht, dass die Last bei der Betroffenen liegt“
Beim Bundesverband der Frauenberatungstellen und -notrufe bff ist man trotzdem sehr dafür, dass Pornoplattformen unter die strikten Regeln fallen. „Die Aufnahme von Plattformen wie XVideos in diese Kategorie würde Betroffenen von bildbasierter sexualisierter Gewalt helfen“, sagt Elizabeth Ávila González, die zum Thema arbeitet. „Porno-Plattformen sind oft Schauplätze für nicht einvernehmliche Veröffentlichungen und Verbreitung von intimem Bild- und Videomaterial.“ Eine erhebliche psychische und emotionale Belastung für die Betroffenen.
Die Einstufung als VLOP würde bedeuten, dass die Plattform nicht nur solche systemischen Risiken einschätzen müsste. Sie müsste auch selbst Maßnahmen vorschlagen, wie die Risiken abzufedern seien und in jährlichen Berichten darüber Rechenschaft ablegen, wie sie solche Inhalte moderieren. Ein neuer Einblick hinter die Kulissen. Zum ersten mal hätte man dadurch auch Statistiken über das Ausmaß geschlechtsspezifischer Gewalt auf solchen Plattformen, sagt Ávila González.
Sollten die Maßnahmen außerdem von der EU-Kommission für zu lasch befunden werden, könnte sie XVideos dazu verdonnern, mehr zu tun und schneller zu handeln. „Insbesondere in Fällen von bildbasierter sexualisierter Gewalt geht es häufig darum, die Inhalte so schnell wie möglich von der Plattform zu entfernen und Täter-Accounts zu sperren, um Re-Uploads und somit auch eine weitere Verbreitung zu verhindern.“
Einfache Lösungen gebe es hier nicht, warnt Ávila González. Oft müssten Grundrechte gegeneinander abgewogen werden. „Trotzdem ist es wichtig, dass Plattformen in die Verantwortung genommen werden, wenn dort Gewalt stattfindet. Es ist ungerecht, dass aktuell die komplette Handlungslast bei den Gewaltbetroffenen liegt.“

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Author: Chris Köver

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