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Digitalzwang: In zweifacher Hinsicht abgehängt

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

DigitalzwangIn zweifacher Hinsicht abgehängt

Drei Millionen Menschen sind hierzulande dauerhaft offline. Sie sind damit doppelt benachteiligt: Denn erstens sind „Offliner*innen“ meist auch im Analogen weniger privilegiert. Und zweitens gibt es mehr und mehr Service-Angebote nur noch im digitalen Raum. Doch auch für alle anderen bietet die Zwangsdigitalisierung nicht nur Vorteile.


Anne Roth – in Nutzerrechteeine Ergänzung
Drei Millionen Menschen sind hierzulande dauerhaft offline, – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Design Pics

All jene, denen das Smartphone schon mal ins Klo gefallen ist, kennen vermutlich das Gefühl, von der digitalen Welt abgeschnitten zu sein. 49-Euro-Ticket: weg. TAN-App fürs Online-Banking: weg. Zweiter Faktor, um sich sicher in die Social-Media-Accounts einzuloggen: weg.

Dauerhaft offline sind hierzulande drei Millionen Menschen, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag für das Jahr 2023 mitteilte. Sie sind damit gleich in doppelter Hinsicht abgehängt: Denn offline sind vor allem Menschen, die weniger privilegiert sind. Und zugleich gibt es mehr und mehr Service-Angebote nur noch im digitalen Raum.

Mehr als 5 Prozent sind dauerhaft offline

Drei Millionen „Offliner*innen“ sind etwas mehr als fünf Prozent der Gesamtbevölkerung im Alter zwischen 16 und 74 Jahren. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich etwas unter dem Durchschnitt von sechs Prozent. Immerhin haben sich die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr um je einen Prozentpunkt verbessert: Für 2022 meldete das Bundesamt sechs Prozent Offliner*innen in Deutschland und sieben Prozent im europäischen Durchschnitt.

Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnik in Haushalten und durch Einzelpersonen – Alle Rechte vorbehalten Eurostat

Grundsätzlich gibt es verschiedene Gründe, warum Menschen nicht online sind. Manchen mangelt es an Geld für die dafür erforderlichen Geräte und/oder den Zugang. Oder es fehlt an Barrierefreiheit. Manche ziehen die „klassischen“ Medien vor und vermissen darüber hinaus nichts. Und manche würden zwar gerne online gehen, trauen sich den Umgang mit dem Internet aber nicht zu. Nicht zuletzt gibt es auch die – oftmals berechtigte – Skepsis, dass die eigenen Daten digital wirklich sicher sind.

Laut Statistischem Bundesamt variiert der Anteil der Offliner*innen je nach Altersgruppe, Geschlecht, Bildungsgrad und Einkommen. So waren in der Altersgruppe der 65- bis 74-Jährigen rund 15 Prozent noch nie online. Für die noch Älteren erfasst Eurostat keine Daten. Die Studie „Hohes Alter in Deutschland“ (D80+) stellt allerdings fest, dass im Jahr 2022 nur 37 Prozent der Menschen ab 80 Jahren das Internet nutzten. Und unter ihnen waren deutlich mehr Männer (52 Prozent) als Frauen (29 Prozent).

Noch deutlicher sind laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Unterschiede in der Altersgruppe der „Hochaltrigen“ beim Einkommen:

Während die Mehrheit der hochgebildeten (59 Prozent) und einkommensstarken (67 Prozent) Hochaltrigen online ist, sind es bei den Niedriggebildeten (16 Prozent) und Einkommensschwachen (22 Prozent) signifikant weniger.

Ältere Menschen stehen der Internetnutzung – anders als einige meinen – mehrheitlich aber nicht skeptisch oder ablehnend gegenüber. Das sagt zwar ein Drittel der Befragten, ebenso viele stehen der Nutzung moderner Technik jedoch aufgeschlossen gegenüber.

Ähnliche demographische Unterschiede gibt es auch bei den jüngeren Altersgruppen. So stellte der D21-Digitalindex 2021/22 fest, dass 70 Prozent der befragten Offliner*innen Frauen waren, 76 Prozent niedrige und 13 Prozent mittlere Bildung hatten sowie mehr als die Hälfte über ein Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 2.000 Euro verfügte. Und der Paritätische Gesamtverband wies in einer Kurzexpertise im vergangenen Jahr darauf hin, dass ein Fünftel der armutsbetroffenen Menschen keinen eigenen Internetanschluss hat.

Laut eGovernment MONITOR 2023 sind 80 Prozent der Menschen mit hoher Bildung in der Lage, das Online-Angebot von Behörden und Ämtern zu nutzen, aber nur gut zwei Drittel mit mittlerer und nur etwas mehr als die Hälfte der Menschen mit niedriger Bildung sind dazu in der Lage.

eGovernment-Kompetenz nach Bildung CC-BY 2.0 Initiative D21

Nicht-digitale Optionen werden rar

Es ist aber nicht allein der Mangel an Bildung oder Geld, der von der Nutzung digitaler Angebote ausschließt. Der Paritätische Gesamtverband kam in der oben erwähnten Studie aus dem Jahr 2023 zu dem Ergebnis, dass digitale Teilhabe auch damit zu tun hat, ob Menschen im Alltag die Gelegenheit zu digitaler Praxis haben.

Während viele Erwerbstätige Gelegenheit haben, über ihren Beruf digitale Kompetenzen auf- und auszubauen, spielen digitale Arbeitsmittel bei von Armut betroffenen Erwerbstätigen kaum eine Rolle. Zwei Drittel der Armutsbetroffenen gaben an, beruflich nie Laptop, Smartphone oder Tablet zu nutzen, über die Hälfte hat auch sonst beruflich nie mit digitalen Anwendungen oder Programmen zu tun.

Wenn es also immer mehr Angebote und Dienstleistungen des täglichen Lebens nur noch digital gibt, dann schließt das Menschen aus – und zwar vor allem jene, die ohnehin weniger privilegiert sind. Noch gibt es für fast alles eine nicht-digitale Option, aber die Richtung ist klar: Die Bank- und Postfilialen verschwinden nach und nach. Dauerfahrkarten und die Bahncard soll es künftig nur noch digital geben. Und immer mehr Service-Angebote setzen auf Chat-Bots statt auf Telefon-Hotlines.

Auch die Bundesregierung schickte im vergangenen Jahr einige rein digitale Testballons los: Für Studierende gab es eine 200-Euro-Einmalzahlung – aber nur für jene, die über ein BundID-Konto verfügten. 18-Jährige erhielten mit dem Kulturpass ebenfalls 200 Euro – but digital only. (Den gibt’s übrigens auch in diesem Jahr. Aber wer zu spät geboren ist, den*die bestraft das Leben. Denn dieses Jahr gibt’s nur die Hälfte.) Und Bundesverkehrsminister Volker Wissing wurde vor einem Jahr nicht müde, bei jeder Gelegenheit zu betonen, dass das 49-Euro-Ticket nur digital zu haben sei.

Die Bahn verkündete kürzlich, dass es auch die Bahncard fortan nur noch digital gibt. Im Kleingedruckten findet sich immerhin der Hinweis, dass es für alle ohne Smartphone auch ein Ersatzdokument gibt – nur: Auch dafür ist ein Online-Kundenkonto nötig. Ebenso gibt es für viele Studierende das Semesterticket nur noch digital. Wer lieber eine physische Karte haben möchte, muss das beispielsweise in Rostock per Antrag schriftlich begründen.

Akku alle? Selber schuld!

Dabei bietet der Digitalzwang keineswegs nur Vorteile, wie auch eine – völlig unwissenschaftliche – anekdotische Umfrage in verschiedenen sozialen Netzwerken ergab.

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Von knapp 80 Reaktionen fand sich etwa ein Viertel schon mal in der Situation wieder, dass sich ihr Smartphone vor einer Ticketkontrolle komplett entladen hatte. 15 weitere beschrieben Schwierigkeiten mit der DB-App: Die zeigte das gültige Ticket nicht an oder loggte Nutzer*innen aus unerfindlichen Gründen aus, und nicht alle hatten ihr Passwort parat. Auch Funklöcher verhindern zuweilen, dass die Bahn-App die Tickets herunterlud – insbesondere im Regionalverkehr, wo es auch nicht immer Steckdosen gibt. Ähnliches wurde über ÖPNV- und Semestertickets berichtet.

Bislang tolerieren die Schaffner*innen derlei Probleme mit Smartphones und digitalen Tickets offenbar noch meist. Allerdings sollte sich niemand auf deren Kulanz verlassen. Denn offiziell sehen etwa die Bestimmungen der Deutschen Bahn vor, dass bei technischen Störungen nachgezahlt werden muss.

Auch mutmaßten einige der Befragten, die schon mal ohne gültigen Digital-Fahrschein erwischt worden waren, dass die Schaffner*innen sie vielleicht anders behandelt hätten, wenn sie nicht weiß gewesen wären. Fast alle beschrieben, dass sie (mittlerweile) vorsichtshalber Tickets zusätzlich ausdrucken – was den Sinn der Digitalisierung der Fahrkarten in Frage stellt.

In Zukunft wird es wahrscheinlich viel mehr Angebote und Dienstleistungen geben, die ausschließlich digital verfügbar oder deren nicht-digitale Alternativen schwer zu finden sind. Das wird die digitale Kluft weiter vertiefen, die schon jetzt viele von den digitalen Annehmlichkeiten oder auch Notwendigkeiten ausschließt. Die Bundesregierung täte gut daran, die Entschließung zur Digitalen Kluft vom Dezember 2022 zu berücksichtigen, in der das Europäische Parlament betont:

dass viele tägliche Dienste eine nicht digitale Lösung bieten sollten, um den Bedürfnissen derjenigen Bürger gerecht zu werden, die nicht über die für die Nutzung von Online-Diensten erforderlichen Fähigkeiten oder Kenntnisse verfügen, die Dienste offline nutzen möchten oder die keinen Zugang zu digitalen Geräten und Anwendungen haben.

Apropos Bedürfnisse. Wer diesen Text jetzt zufällig auf der Toilette liest, sollte – falls noch nicht geschehen – ein Backup des eigenen Smartphones erwägen. mobilsicher.de hat dazu gute Tipps.

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Author: Anne Roth