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Doppelter Netzausbau: Schaffe, schaffe, überbaue

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Immer wieder überbauen Netzbetreiber bereits bestehende Glasfasernetze. Hunderte Fälle von doppeltem Ausbau wurden inzwischen an eine Monitoringstelle gemeldet. Doch das lange bekannte Problem wartet weiterhin auf eine Lösung.

Mehrere Glasfasernetze nebeneinander sind technisch und wirtschaftlich oft unnützig. (Symbolbild) Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Mika Baumeister

Zu viele Kommunen kennen das Spiel: Kaum entschließt sich ein Netzbetreiber, ein Gebiet endlich mit schnellen Internetanschlüssen zu versorgen, kündigt plötzlich ein Konkurrent an, ebenfalls ausbauen zu wollen. Im besten Fall werden dann die Straßen mehrfach aufgerissen, um neue Leitungen zu legen. Im schlimmsten Fall zieht sich das erstausbauende Unternehmen teilweise oder ganz zurück, weil die wirtschafltiche Mischkalkulation nicht mehr aufgeht – während sich das andere Unternehmen die Rosinen in dicht bebauten Gebieten herauspickt.

Schon seit Jahren geistert das als „Überbau“ bekannte Phänomen durch den deutschen Telekommunikationsmarkt. Bislang wusste aber niemand so recht, wie weit verbreitet das Problem eigentlich wirklich ist. Das beginnt sich nun langsam zu ändern: Unter anderem sammelt inzwischen eine Monitoringstelle Fälle von doppelten Glasfaserausbauvorhaben, um sich erstmals einen belastbaren Überblick zu verschaffen.

Hunderte Fälle von Überbau

292 Rückmeldungen sind seit dem Start im Juli bei der Monitoringstelle eingegangen, teilte kürzlich die gemeinsam von Bundesnetzagentur (BNetzA) und Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) eingerichtete Stelle den Mitgliedern des BNetzA-Beirats mit. Indes können sich dabei mehrere Rückmeldungen auf das gleiche Ausbaugebiet beziehen, die Zahl der betroffenen Gebiete dürfte niedriger liegen.

Aber die Momentaufnahme zeigt: Die Fälle sind durchaus real und könnten zum Problem werden, wenn sie überhand nehmen oder der Überbau strategisch erfolgt. Ebenfalls problematisch: Rund 15 Prozent der Meldenden gab an, dass das von einem doppelten Ausbauvorhaben betroffene Glasfasernetz mit Fördermitteln errichtet werde beziehungsweise worden sei. Das überbauende Unternehmen ist also erst dann tätig geworden, als beispielsweise klar wurde, dass ihm Marktanteile wegzubrechen drohen – und zugleich gefährdet es die Wirtschaftlichkeit des subventionierten Projekts.

Noch stehen weitere Befunde aus. Zunächst gehe es darum, „ähnlich gelagerte Fälle zu bündeln und Muster ggf. zu beanstandender Praktiken zu identifizieren“, heißt es in dem Bericht an den BNetzA-Beirat. „Dazu könnten zum Beispiel Praktiken zählen, die durch Ausnutzung einer marktmächtigen Stellung speziell darauf abzielen, Konkurrenten vom eigenen Ausbau abzuschrecken“, heißt es weiter – ein kaum kaschierter Hinweis auf die marktmächtige Telekom Deutschland, die sich seit Jahren diesem Vorwurf ausgesetzt sieht. Eine wettbewerbliche Bewertung der unterschiedlichen Fallkonstellationen werde aber erst in einem zweiten Schritt erfolgen, so der Bericht.

Studie soll Bild abrunden

Dabei dürfte die BNetzA auch auf eine aktuelle, nicht repräsentative Studie des Forschungsinstituts WIK-Consult zurückgreifen. Im Auftrag des BMDV untersuchte das Institut 93 konkrete Fälle von Überbau reiner Glasfasernetze – samt einer wirtschaftlichen und rechtlichen Einordnung sowie dem Aufzeigen regulatorischer Handlungsoptionen.

Demnach ist Überbau in Ballungsräumen kein sonderliches Problem, solange die Marktanteile der jeweiligen Netzbetreiber relativ gleichmäßig verteilt sind. Allzu oft ist das aber nicht der Fall. Und ganz anders sieht die Lage im restlichen Bundesgebiet und vor allem in weniger dicht besiedelten Gebieten aus.

Rund zwei Drittel aller Haushalte liegen in Gegenden, in denen der Infrastrukturwettbewerb seine ökonomischen Grenzen erreicht, konstatiert die Studie. Dort lässt sich gerade Mal ein Netz wirtschaftlich betreiben oder braucht staatliche Förderung, weil es sich sonst nicht lohnt. Allein die Ankündigung eines Wettbewerbers, parallel ein neues Netz bauen zu wollen, wirft in der Regel die ursprünglichen Pläne des erstausbauenden Unternehmens über den Haufen.

Glasfaser-Euphorie könnte versiegen

So verwundert es kaum, dass sich in der Branche zunehmend Verunsicherung breit macht. In den letzten Jahren flossen zwar Milliardenbeträge in den privaten Ausbau von Glasfasernetzen, weil sich Investoren stabile Erträge erhofften. Die Aussicht auf 50 Milliarden Euro an privaten Investitionen, die die Branche für die kommenden Jahre in Aussicht gestellt hatte, gilt als integraler Bestandteil der Gigabitstrategie von Digitalminister Volker Wissing (FDP).

Doch das Klima habe sich zuletzt merklich abgekühlt, berichtet das Handelsblatt (€). Interne Planzahlen würden nicht erreicht oder Projekte würden gestoppt, soll es aus der Branche heißen. Probleme auf der letzten Meile würden den Ausbau verzögern, zudem liege in manchen Ausbaugebieten die Vorvermarktungsquote bei läppischen 15 Prozent – viel zu wenig, um Projekte wirtschaftlich zu machen. Kleineren Unternehmen drohe die Pleite, so das Handelsblatt.

Fragwürdiger Überbau

Ein mehrfacher Ausbau des gleichen Gebiets hilft da kaum weiter. Zum einen sei Überbau „technisch nicht notwendig“, da Glasfaser eine höchst leistungsfähige Technologie sei, sagt die Grünen-Abgeordnete Tabea Rößner gegenüber netzpolitik.org. Zum anderen ist „Überbau volkswirtschaftlich fragwürdig und sollte auch aus Gründen des Ressourcenschutzes und vor dem Hintergrund begrenzter Baukapazitäten sowie dem Fachkräftemangel verhindert werden“, so die Vorsitzende des Digitalausschusses.

Allerdings sei es weiterhin wichtig, eine bessere Datengrundlage zu bekommen, um die „tatsächliche Dimension des Problems besser zu erfassen“, weist Rößner auf die laufende Untersuchung der Monitoringstelle Doppelausbau hin. Sollte sich der Überbau im Monitoring als breites Problem herausstellen, dann könnte die BNetzA bestimmtes Verhalten untersagen oder zumindest die Anreize dafür deutlich reduzieren – etwa über eine verschärfte Missbrauchsaufsicht oder mit Open-Access-Auflagen.

Derweil gibt sich das BMDV betont unbeeindruckt. „Aus Sicht des BMDV ist tatsächlicher oder angekündigter Überbau nicht per se ein Problem“, gerade in dicht besiedelten Gebieten, teilt ein Sprecher des Ministeriums mit. Auch sei ein „Überbauverbot“ derzeit nicht vorgesehen und „wird im Übrigen seitens der Branche auch kategorisch abgelehnt“, so der Sprecher. Die BNetzA wollte sich auf Anfrage nicht zu der Thematik äußern.

Branche sieht mehr Regulierung skeptisch

Tatsächlich weist die Telekom Deutschland die Vorwürfe von sich. Überbau sei kein weitflächiges Problem, sondern würde in weniger als einem Prozent des Ausbaugebiets stattfinden, führt etwa der Regulierungsexperte des Marktführers, Wolfgang Kopf, in einem Blogeintrag aus. Die Antwort auf die Probleme sei mehr Kooperation unter den Anbietern und ein standardisierter, offener Netzzugang mittels Open Access.

Auch der Branchenverband BREKO, der hunderte Wettbewerber des Ex-Monopolisten vertritt, fordert eher mehr Transparenz als harte gesetzliche Auflagen: So sollte die Telekom als marktbeherrschendes Unternehmen etwa verpflichtet werden, ihre Glasfaser-Ausbauplanung neun Monate im Voraus –– nicht öffentlich –– bekannt zu geben. Das soll ausschließen, dass das Unternehmen kurzfristig auf Ausbauplanungen von Wettbewerbern reagieren kann.

Warten auf Branchen-Einigung

Für den digitalpolitischen Sprecher der FDP, den Bundestagsabgeordneten Maximilian Funke-Kaiser, kommt jedenfalls in Frage, dass in Zukunft „vermehrt über gebietsspezifische Maßnahmen zur Eindämmung von Überbauaktivitäten nachgedacht werden wird“. Allerdings könne Open Access zur Beschleunigung des Glasfaseraubaus in Deutschland beitragen und der Überbau-Problematik begegnen, so Funke-Kaiser zu netzpolitik.org: „Ich warte mit Spannung auf den Statusbericht zur Diskussion über Prinzipien eines marktweiten Open Access, die das Gigabitforum aktuell erarbeitet“.

Doch der Bericht, der für das zweite Quartal 2023 angekündigt war, lässt weiterhin auf sich warten. Das offene Zugangsmodell, das in Ländern wie Schweden seit Langem erfolgreich praktiziert wird, steckt hierzulande immer noch in den Kinderschuhen. Bis sich die Branche und Politik auf verbindliche Regeln geeinigt haben, dürfte es wohl weitergehen wie bisher: „Am Ende des Tages sind wir einfach schneller, wenn wir überbauen“, klagte schon vor über einem Jahr ein Netzbetreiber bei einer Anhörung im Bundestag.


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Author: Tomas Rudl

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