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Ein Jahr Digitalstrategie: Reihenweise Fehlzündungen

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Vor genau einem Jahr verabschiedete die Ampel-Regierung ihre Digitalstrategie. Von dem versprochenen „digitalen Aufbruch“ ist bislang nur wenig zu spüren, stattdessen macht sich Frust breit. Die Verantwortung dafür trägt vor allem die Bundesregierung selbst. Nur sie kann das Blatt noch wenden. Ein Kommentar.
Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Verkehr und Digitales – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Chris Emil JanßenZu Beginn schien die selbsternannte Fortschrittskoalition vieles richtig zu machen. Übergroß schrieb sich die Ampel das Thema Digitalisierung auf die Fahnen, der Koalitionsvertrag kam gut an. Und sie zündete, um den digitalen Fortschritt endlich zu erzielen, raketengleich mehrere Zündstufen. Leider erwiesen sich diese vor allem als Fehlzündungen. Und dafür trägt vor allem die Ampel selbst die Verantwortung.
Die erste Stufe bestand in einer tatkräftigen Willensbekundung. Bereits in ihrem Koalitionsvertrag versprachen SPD, Grüne und FDP „einen umfassenden digitalen Aufbruch“ für Deutschland. Die notwendige Schubkraft sollte das sogenannte Digitalbudget liefern.
Im Cockpit der Digitalisierungsrakete nahm erstmals ein – zumindest dem Namen nach – Bundesdigitalminister namens Volker Wissing von der FDP Platz. Ein Ministerium, dass neben Verkehr wirklich für „Digitales“ zuständig sein soll und nicht mehr nur für den Teilbereich digitale Infrastruktur. Das passte zum geradezu waghalsigen Wahlkampfmotto der Liberalen einst: „Digital first, Bedenken second“.
Auf den Tag vor einem Jahr erfolgte die zweite Zündstufe, als die Regierung ihre Digitalstrategie verabschiedete: Darin kürt die Ampel 18 Leuchtturmprojekte, mit denen sie das Land bis zum Jahr 2025 modernisieren will. Außerdem benennt sie etliche weitere Zielvorgaben, anhand derer sie zum Ende der Legislatur den eigenen Erfolg bemessen will.
Stufe drei zündete die Ampel dann zum Ende des vergangenen Jahres. Im November berief sie einen Beirat Digitalstrategie Deutschland ein. Seine 19 Mitglieder aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft sollen die Umsetzung der Digitalstrategie „mit frischen Impulsen“ versorgen. Die Vorbereitungen schienen damit abgeschlossen. „Wir müssen jetzt endlich liefern“, lautete damals der Tenor.
Frust bei allen Beteiligten
Tatsächlich bestand da vielerorts noch die Hoffnung, dass es mit der Digitalisierung nun vorangehe. Wo so viel Wille ist, da muss auch ein Weg sein. Doch weit gefehlt. Denn inzwischen machen sich vor allem Frust und Ungeduld breit – und zwar sowohl bei der Zivilgesellschaft als auch bei der Wirtschaft.
Erst vor wenigen Tagen zog ein breites Bündnis aus Organisationen der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Open-Source-Wirtschaft eine überaus negative Zwischenbilanz: Anders als versprochen binde die Regierung die Zivilgesellschaft nicht stärker ein, statt des versprochenen Digitalbudgets gebe es einschneidende Haushaltskürzungen, die Priorisierung von Open Source lässt auf sich warten.
Die Wirtschaftsverbände zeigen sich nicht minder frustriert. Der Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche (Bitkom) sieht zwar Fortschritte beim Ausbau der Breitband- und Mobilfunknetze und bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Ingesamt aber habe die Regierung bislang nur gut ein Zehntel ihrer digitalpolitischen Vorhaben umgesetzt; knapp ein Viertel habe sie „noch nicht einmal angepackt“. Und auch der Verband der Internetwirtschaft (eco) kritisiert die schleppende Umsetzung. eco-Geschäftsführer Alexander Rabe sieht dafür vor allem zwei Gründe: „die fehlende Konsistenz in den Umsetzungsvorhaben und eine Verantwortungsdiffusion in strategisch relevanten Bereichen der digitalen Transformation“.
Der Beirat Digitalstrategie, dem Rabe angehört, sieht das ähnlich. Dessen Mitglieder kritisierten bereits im Juni, die Leuchtturmprojekte seien ein „Kessel Buntes“. Es fehle an einer „verbindenden Klammer“ und an einer Gesamtstrategie, wofür sie unter anderem das Digitalministerium und das „Silo-Denken zwischen den einzelnen Ministerien“ verantwortlich machen.
Den Turbo einlegen
Dass sich die Regierung zum Einjährigen ihrer Digitalstratege derart harte Kritik anhören muss, hat sie vor allem selbst zu verantworten. Allzu vollmundig hat sie einen Aufbruch versprochen. Nur: Den schönen Worten folgten bislang kaum Taten. Und eben deshalb verpufften die digitalpolitischen Anstrengungen der Ampel bisher auch weitgehend.
Der Bundesregierung bleibt – wenige Wochen vor der Mitte ihrer Legislatur – nicht mehr viel Zeit, damit ihr zumindest noch ein digitaler Teilaufbruch gelingt. Dafür muss sie sich aber zuallererst endlich selbst beim Wort nehmen und vom Reden ins Handeln kommen.
Konkret heißt das, sich erstens in der nun verbleibenden Zeit auf die wichtigen Digitalisierungsprojekte zu konzentrieren. Dazu gehören unter anderem die digitalen Identitäten und der Gigabitausbau sowie die Digitalisierung der Verwaltung (OZG 2.0) und der Bildung (Digitalpakt 2.0).
Zweitens sollte die Regierung die Verantwortung für die unterschiedlichen Projekte an einer Stelle im Kabinett bündeln. Dass sich die Ampel-Koalition auf ein echtes eigenständiges Digitalministerium verzichtete, hat sich längst als folgenreiche Fehlentscheidung erwiesen.
Und drittens muss die Bundesregierung ein eigenes, gut ausgestattetes Digitalbudget bereitstellen. Geld ist der unabdingbare Treibstoff der Digitalisierung. Er wird hier aber nicht einfach verbrannt, sondern ermöglicht erst die sinnvollen wie notwendigen Investitionen in die Zukunft.
Nicht zuletzt muss die Ampel aber vor allem eines tun: den Turbo starten. Andernfalls wird auch sie am Ende nicht mehr geliefert haben als ihre Vorgängerregierungen: reihenweise Fehlzündungen und verpuffte Versprechen.

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Author: Daniel Leisegang

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