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Einigung im EU-Parlament steht bevor: Chatkontrolle nur bei Verdacht

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Keine Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation scannen, nur noch bei begründetem Verdacht und (fast) keine verpflichtende Alterskontrolle mehr – ein Kompromissvorschlag aus dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten im EU-Parlament würde dem Gesetz zur Chatkontrolle viele Giftzähne ziehen.
Ungewünscht Kontakt zu Minderjährigen aufnehmen soll nicht mehr so leicht sein. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Gaelle MarcelWährend der Rat der EU-Mitgliedstaaten noch um eine gemeinsame Position ringt, zeichnet sich im EU-Parlament eine Einigung über die Verordnung zur „Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern“ ab. Die Berichterstatter aus dem federführenden Ausschuss für Justiz und bürgerliche Freiheiten (LIBE) haben sich nun auf einen Text geeinigt, der mehrere umstrittene Teile des Kommissionsentwurfs deutlich entschärft. Euractiv hat zuerst darüber berichtet.
Kritiker:innen hatten dem Gesetzvorschlag den Namen Chatkontrolle gegeben, weil die Kommission plante, dass Anbieter von Kommunikations- und Hostingdiensten auf Anordnung die Inhalte ihrer Nutzenden nach Hinweisen auf Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Anbahnungsversuche scannen müssen.
Diese weitreichenden Aufdeckungsanordnungen will der LIBE-Text einschränken. Sie sollen nur noch für einzelne oder eine spezifische Gruppe von Nutzenden – etwa bei Chatgruppen – möglich sein. Also nicht mehr für alle, die einen Dienst nutzen, für den ein Missbrauchsrisiko festgestellt wurde. Für derartige Anordnungen soll außerdem ein begründeter Verdacht vorliegen müssen, dass eine Verbindung zu Missbrauchsmaterial besteht.
Nur mit richterlicher Bestätigung
Dann müssten die Anordnungen zusätzlich, so der LIBE-Text, gerichtlich bestätigt werden. Es gibt also einen Richtervorbehalt. Auch hier besteht ein Unterschied zum Kommissionsentwurf. Der ließ offen, ob eine nationale Verwaltungsbehörde oder ein Gericht eine Anordnung bestätigt.
Eine der größten Sorgen von IT-Sicherheitsexpert:innen, Bürgerrechtsorganisationen und Datenschützer:innen bei der Chatkontrolle ist das Scannen verschlüsselter Kommunikation. Dem begegnet der Parlamentsausschuss, indem er Kommunikation ausnimmt, „bei der eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung eingesetzt oder angewendet wird oder wurde“. Das heißt: Wer zum Beispiel Ende-zu-Ende-verschlüsselt mit WhatsApp, Signal oder Threema kommuniziert, soll dem Ausschuss zufolge nicht per Chatkontrolle überwacht werden dürfen.
Das schiebt auch dem befürchteten Client-Side-Scanning einen Riegel vor. Dabei ließe sich Verschlüsselung umgehen, indem Inhalte auf den Geräten gescannt werden, bevor sie etwa beim Versenden einer Chatnachricht Ende-zu-Ende-verschlüsselt werden.
Eine weitere Einschränkung will der LIBE-Ausschuss bei der Art des Materials, nach dem Anbieter suchen sollen: Ursprünglich bezogen sich die vorgeschlagenen Maßnahmen auf bekannte und neue Darstellungen von Missbrauch sowie auf Grooming. Bei Letzterem bahnen Erwachsene Kontakt zu Minderjährigen an, um sie anschließend etwa nach Nacktaufnahmen zu fragen. Ginge es nach den LIBE-Berichterstattern, würde die Grooming-Erkennung aus dem Gesetzestext verschwinden.
Andere Schutzmaßnahmen im Fokus
Dafür wollen sie Anbieter mehr Pflichten auferlegen, um Grooming auf anderen Wegen zu bekämpfen. Bestimmte Standardeinstellungen in ihren Diensten sollen dabei helfen. Nutzende sollen nicht mehr direkt ungewollte Nachrichten von Unbekannten empfangen müssen. Das Teilen von persönlichen Kontaktdaten soll eingeschränkt werden. Dienste sollen ihren Nutzer:innen leicht zugängliche Mechanismen bereitstellen, um andere zu blockieren, stummzuschalten oder mögliches Missbrauchsmaterial zu melden.
Bei Diensten, die sich direkt an Kinder unter 13 Jahren richten, sollen das verpflichtende Einstellungen sein. In anderen Fällen sollen Nutzer:innen die Standardeinstellungen eigenständig deaktivieren können.
Eine verpflichtende Altersverifikation will der LIBE-Ausschuss nicht, er verbietet sie aber den Anbietern auch nicht. Dabei sollen jedoch einige Regeln gelten: Die Anbieter dürften etwa keine Daten über den Verifizierungsprozess hinaus speichern, müssten anonyme Accounts zulassen und könnten keine biometrischen Daten für den Verifizierungsprozess verlangen.
Altersverifikation für Pornoseiten
Besondere Anforderungen gibt es aber für Pornoseiten und Kommunikationsmöglichkeiten in Computerspielen. Letztere müssen etwa laut dem LIBE-Text prominent Hilfe-Möglichkeiten anzeigen, an die sich Betroffene wenden können. Pornoseiten sollen automatisiert erkennen, wenn Nutzende nach Missbrauchsmaterial suchen. Außerdem soll für sie als Ausnahme eine Altersverifikation verpflichtend sein.
Einige der genannten Punkte haben sich schon im April abgezeichnet; der damalige Verhandlungsstand wurde von manchen Abgeordneten scharf kritisiert. Am 13. November soll der Ausschuss nun final über seine Position abstimmen. Die eigentlich für morgen geplante LIBE-Entscheidung war zuletzt verschoben worden. Währenddessen befragen die Abgeordneten am heutigen Mittwoch EU-Kommissarin Ylva Johansson, eine der vehementesten Befürworterinnen der Chatkontrolle, die zuletzt wegen enger Lobbykontakte in die Kritik geraten war.
Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Verordnung befindet sich kurz vor der letzten Phase des Gesetzgebungsprozesses, dem sogenannten Trilog. Darin verhandelt die EU-Kommission den Gesetzestext zusammen mit dem Parlament und dem Ministerrat. Hierzu bringen alle Beteiligten den jeweiligen Text in die Verhandlungen ein, auf den sie sich geeinigt haben. Während die Kommission unter Ylva Johansson eine harte Linie bei der Chatkontrolle vertritt, gibt es auf Ebene der Länder noch keine Einigung, weil mehrere Länder die Chatkontrolle nicht im Text haben wollen. Die Abstimmung des Rates ist schon zweimal verschoben worden.

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Author: Anna Biselli