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Einigung zu Quick Freeze: Vorratsdatenspeicherung ist jetzt „Leiche im Keller“

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Einigung zu Quick FreezeVorratsdatenspeicherung ist jetzt „Leiche im Keller“

Offenbar an Innenministerin Nancy Faeser vorbei hat sich die Ampel auf die Einführung des Quick-Freeze-Verfahrens geeinigt, das als Alternative zur Vorratsdatenspeicherung gilt. Doch auch dieses Verfahren bietet Schlupflöcher für größere Überwachungen – zudem bleibt eine Leiche als möglicher Zombie im Keller.


Tomas Rudl, Markus Reuter – in Überwachung3 Ergänzungen
Haben offenbar bei der Einigung nicht geredet: Justizminister Buschmann und Innenministerin Faeser. (Archivbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Gestern sah es noch ganz anders aus, zumindest für die sozialdemokratische Innenministerin Nancy Faeser: Mit deutlichen Worten forderte sie bei der Präsentation der Polizeilichen Kriminalstatistik wieder einmal die Vorratsdatenspeicherung. Nur einen Tag später scheint diese Form der anlasslosen Überwachung jedoch vorerst vom Tisch. Das Kabinett hat sich auf das alternative Quick-Freeze-Verfahren geeinigt – offenbar an der Innenministerin vorbei. Über die Einigung hatte zuerst LTO berichtet.

Ausgangspunkt der künftigen Regelung soll der Referentenentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) von Oktober 2022 sein, den wir im Volltext veröffentlicht haben. Ganz soll die Vorratsdatenspeicherung dem Vernehmen nach allerdings nicht verschwinden: Wie mehrere Quellen aus der Ampel gegenüber netzpolitik.org bestätigen, sollen die bislang im Telekommunikationsgesetz (TKG) verankerten Regeln weiterhin bestehen, aber wie bisher ausgesetzt bleiben. Das Versprechen, die rechtlich wacklige Vorratsdatenspeicherung endgültig aus der Welt zu schaffen, stammt aus dem Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien.

Langer Streit in der Ampel

Dennoch konnten sich die Regierungspartner lange Zeit nicht einigen. Vor allem Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) setzte sich bis zum gestrigen Tag dafür ein, eine möglichst weitgehende Regelung vorzulegen, die einschlägigen Urteilen des Europäisches Gerichtshofs (EuGH) gerecht wird. Sie forderte etwa die Speicherung von IP-Adressen.

Offenkundig konnte sich die sozialdemokratische Innenpolitikerin bei ihren Koalitionspartnern damit nicht durchsetzen. Dem Vernehmen nach sei Faeser nicht an den jüngsten Verhandlungen beteiligt gewesen. Diese seien „auf höchster Ebene“, also zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Marco Buschmann (FDP) geführt und abgeschlossen worden, heißt es aus Regierungskreisen.

Offenbar um das Gesicht zu wahren, bleiben zum einen die bisherigen Speicherpflichten erhalten, wenn auch nur auf dem Papier. Zudem wird in einer Art Kuhhandel die Mietpreisbremse in angespannten Wohnungsmärkten bis ins Jahr 2029 verlängert, die Ende 2025 auszulaufen drohte. Auch dies war eigentlich im Koalitionsvertrag vereinbart, aber Streitpunkt in der Koalition gewesen.

„Leiche bleibt im Keller“

Thorsten Lieb, stellvertretender Vorsitzender des Rechtsausschusses und Berichterstatter für die Vorratsdatenspeicherung und das Mietrecht der FDP-Bundestagsfraktion erklärt gegenüber netzpolitik.org, dass mit dem Verfahren nun die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes rechtssicher umgesetzt würden. „Damit ist endlich Schluss mit einer Politik, die jeden einzelnen Bürger und jede einzelne Bürgerin unter Generalverdacht stellt“, so Lieb weiter.

Auch der grüne Koalitionspartner zeigt sich zufrieden. Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Partei, erinnerte daran, dass die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung entgegen wiederholter Gerichtsentscheidungen an diesem Instrument festgehalten hätten. Mit der „Einführung eines Quick-Freeze-Verfahrens wird eine zentrale Forderung auch bündnisgrüner Bürgerrechtspolitik endlich umgesetzt“, so von Notz. Er kritisierte aber, dass die Vorratsdatenspeicherung weiterhin im Gesetz stehen bleibe. „Diese Leiche einer völlig überholten, Grundrechte negierenden Sicherheitspolitik bleibt also im Keller“, so von Notz in einer Presseerklärung. Aus SPD-Kreisen erhielten wir kurzfristig keine Antwort.

Die Digitalorganisation D64 sagt, dass die Vorratsdatenspeicherung „vorerst Geschichte“ sei. „Das ist ein Erfolg für die Zivilgesellschaft und progressive Digitalpolitiker:innen“, so Erik Tuchtfeld von D64.

Was ist Quick Freeze?

Quick Freeze gilt als die grundrechtsschonendere Alternative zur Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen und anderen Daten wie Standortinformationen. Während bei der Vorratsdatenspeicherung ohne einen Anlass und verdachtsunabhängig solche Daten für einen bestimmten Zeitraum gespeichert werden, beginnt die Speicherung (das Einfrieren) bei Quick-Freeze üblicherweise erst nach einem Verdacht und nach einem richterlichen Beschluss. Gesichert werden die bei den Providern verfügbaren Daten, die sie beispielsweise für Verrechnungszwecke kurzfristig aufheben oder die nach der Anordnung anfallen.

Die Maßnahme muss sich laut dem bisherigen Gesetzentwurf nicht gegen eine Person richten, sondern kann auch einen Ort betreffen. Bei den einzufrierenden Daten handelt es sich um Informationen wie IP-Adressen, Standortdaten und Metadaten zu Kommunikationsverbindungen, also etwa wer zu welchem Zeitpunkt mit wem telefoniert hat und wo die Person dabei war.

Quick Freeze gilt zwar als grundrechtsschonender als die VDS, bietet aber auch Schlupflöcher für umfangreiche Überwachungen. Denn eine Überwachungsmaßnahme kann sich sehr spezifisch gegen einen Anschluss richten, könnte aber auch ganze Stadtgebiete oder Orte betreffen. Die Bundesrechtsanwaltskammer hatte damals zudem kritisiert, dass bei Quick Freeze Mandatskontakte in die Hände der Strafverfolger gelangen könnten.

Im Gesetzentwurf des Justizministeriums aus dem Jahr 2022 war bei Quick Freeze eine doppelte Sicherung nötig: Sowohl das Einfrieren der Daten wie auch das spätere „Auftauen“ sollten jeweils eine eigene Erlaubnis von Richter:innen benötigen, den sogenannten Richtervorbehalt. Wie der aktuelle Entwurf das regeln wird, ist noch nicht bekannt, dem Vernehmen nach soll er sich jedoch am Referentenentwurf orientieren. Aus Koalitionskreisen verlautete, dass ein konkreter Entwurf „zeitnah ins Kabinett“ kommen solle. Danach steht die Behandlung im Bundestag an.

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Author: Tomas Rudl

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