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Entgleiste Debatte: Wer Grundrechte nur für Deutsche fordert, will die Gesellschaft weiter spalten

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Ein Abgeordneter der FDP radikalisiert die Migrationsdebatte aus der Ampel heraus weiter. Dabei ist klar: Wer hier lebende Menschen von Grundrechten ausschließen will, der wird sie an den Rand drängen und die Gesellschaft noch tiefer spalten. Der Kampf für mehr Demokratie braucht aber das genaue Gegenteil. Ein Kommentar.

Statue vor Wolkenhimmel hält sich die Hand auf die Stirn
Symbolbild Migrationsdebatte. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Wirestock

Mir kommt das kalte Grauen, wenn ich antisemitische Parolen auf den Palästina-Demos der vergangenen Tage höre. Oder wenn Islamisten versuchen, den Gaza-Krieg für die Sache des Kalifats zu instrumentalisieren. Ich kann es auch nicht ernst nehmen, wenn jemand „Freiheit für Palästina“ fordert und das nicht mit einer „Freiheit von der Hamas“ verbindet.

Natürlich ist es richtig, dass über all das berichtet und diskutiert wird. Doch der Diskurs eskaliert zusehends: Die aktuelle Debatte rund um den Gaza-Israel-Krieg ist dabei der Kulminationspunkt einer sich seit Wochen zuspitzenden Migrationsdebatte, in der zunehmend Grundrechte in Frage gestellt werden.

Hässlicher Überbietungswettbewerb

Seit Monaten verrichten die demokratischen Parteien von den Grünen bis zur CSU ängstlich-antizipierend das Werk der AfD. Die vermeintliche politische Mitte liefert sich längst einen hässlichen Überbietungswettbewerb, in dem es um Leistungskürzungen, Abschiebungen und die systematische Entrechtung von Geflüchteten geht. Die AfD muss in diesem Spiel nichts weiter tun als die neuen Umfrageergebnisse abzuwarten. Der Rest ist Lippenlesen – ohne dass die AfD überhaupt noch etwas sagen muss.

Seit dem perfiden und unfassbaren Terrorangriff der Hamas auf Israel hat sich der Diskurs hierzulande noch einmal verschärft. Gegen die auf den Terrorangriff folgenden Reaktion der israelischen Armee gehen Teile der arabischstämmigen Bewohner:innen auf die Straße, ein kleiner Teil davon feierte die Hamas, was zurecht für Empörung sorgte.

Zur Migrationsdebatte ist aber damit eine weitere Debatte getreten, in der das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit infrage gestellt wird. Derzeit vergeht kaum ein Tag, an dem Politiker:innen nicht das Versammlungsrecht grundlegend beschränken wollen oder gleich ein „beherztes Knüppel frei“ fordern. Die Polizei in Berlin und Hamburg hat in den vergangenen Wochen bereits reihenweise Demonstrationen mit Palästinabezug verboten.

In dieser Debatte werden unterschiedliche Menschen und ihre Anliegen über einen Kamm geschoren. Die arabische Community wird verkürzt als „die Muslime“ betrachtet und als monolithischer Block dargestellt (€). Für Zwischentöne bleibt da kaum noch Raum, es gibt nur noch „wir“ gegen „die“. All das heizt die Stimmung weiter auf.

Grundrechte nur für Deutsche

Der vorläufige Höhepunkt dieser Diskussion folgte am Sonntag, als der FDP-Bundestagsabgeordnete Max Mordhorst forderte, Menschen ohne deutschen Pass hierzulande von der politischen Willensbildung und Willensbekundung komplett ausschließen. Der 27-jährige Digitalpolitiker will bestimmte Grundrechte zu „Deutschengrundrechten“ machen. Für Nicht-EU-Ausländer fordert er: „Kein Wahlrecht (auch nicht in Kommunen), keine Mitbestimmung in Parteien oder anderen Gremien, keine Versammlungsfreiheit.“ Die AfD dürfte vor Freude ganz aus dem braunen Häuschen sein.

Zu den wichtigsten Grundrechten im Grundgesetz zählt die Versammlungsfreiheit. Dort ist sie als Recht für alle deutschen Staatsbürger:innen festgeschrieben. Das Bundesversammlungsgesetz, die Landesverfassungen bzw. Versammlungsgesetze der Länder weiten dieses Grundrecht jedoch aus gutem Grund auf alle Bewohner:innen aus. Mordhorst will hier ansetzen und per einfachem Bundestagsbeschluss die Versammlungsfreiheit auf Deutsche begrenzen. Sogar Passkontrollen auf Demos schlägt er vor.

Politisch kurzsichtig

Mordhorsts Aussagen sind eine Schande für die Bürgerrechtspartei FDP, die in der Migrationsdebatte offenbar ihren Wertekompass verloren hat. Darüber hinaus sind seine Forderungen aber auch an Torheit und politischer Kurzsichtigkeit kaum zu überbieten. Denn die Forderung nach „Grundrechte den Deutschen“ befördert geradezu jene Radikalisierungen und Spaltungen, die Mordhorst mit seinem populistischen Vorschlag nach eigener Aussage eigentlich verhindern will. Denn Ausgrenzungen und Diskriminierungen sind dafür der ideale Nährboden.

Schon jetzt haben etwa 12 Millionen Menschen in diesem Land nicht die gleichen Rechte wie alle anderen Bundesbürger:innen. Obwohl sie hier leben – die Hälfte von ihnen übrigens seit mehr als zehn Jahren –, hier Steuern zahlen und zahlreiche Pflichten wahrnehmen, dürfen sie nicht wählen. An solche Ausschlüsse müssen wir unter anderem ran, wenn wir die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken wollen.

Stattdessen aber will Mordhorst, indem er fordert, Grundrechte zu Deutschengrundrechten zu machen, Millionen Menschen noch weiter diskriminieren und entrechten. Er will sie rechtlich davon ausschließen, ihre Meinung zusammen auf der Straße kundzutun, und will sie aus Parteien und anderen Gremien werfen. Das ist so töricht, dass man die Hand vors Gesicht schlagen möchte.

Demonstrationsfreiheit ist keine Geschmacksache

Mordhorst verkennt hier auch den Charakter des Versammlungsrechtes. Das erlaubt auch öffentliche Meinungsäußerungen, die wir politisch nur schwer aushalten können. Sie gewährt Rechtsradikalen und Corona-Verschwörungsgläubigen ebenso ein Recht auf Demonstration wie einseitigen Palästina-Anhängern, die Israel eine Alleinschuld am aktuellen Konflikt geben.

Das Versammlungsrecht schützt damit die Kundgabe von Meinungen, die dem Mainstream widersprechen. Demonstrationen sind ein wichtiges Instrument im Werkzeugkasten einer lebendigen Demokratie. Das darf, soll und muss gerade nicht allen gefallen. Demos dürfen den Charakter haben, dass sie den normalen Ablauf stören oder gar provozieren. Sie sollen ja dazu führen, dass Menschen sich an ihnen reiben. Es ist der Zweck von Demos, dass Meinungen, die sonst nicht vorkommen, gesehen werden können.

Natürlich gibt es Grenzen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Diese sind gesetzlich geregelt. Es ist ganz einfach: Wer auf einer Demo einen Hitlergruß zeigt, muss Strafverfolgung fürchten. Gleiches gilt für Menschen, die antisemitische Transparente auf eine Demo mitbringen oder öffentlich die Terrororganisation Hamas bejubeln. Die Polizei kann auf einer öffentlichen Versammlung jederzeit einschreiten, wenn sie Straftaten beobachtet. Befürchtet die Polizei bereits im Vorfeld, dass es auf einer Demonstration zu Gesetzesverstößen kommt, kann sie vorab Auflagen erlassen. Werden diese Auflagen nicht eingehalten, kann sie den Versammlungsleiter dazu zwingen, die Auflagen selbst durchzusetzen, und wenn das nicht fruchtet, selbst einschreiten.

Auflagen sind das mildere Mittel gegenüber dem pauschalen Verbot von Demos, das zigtausenden Menschen das Gefühl gibt, dass sie ihre Meinung nicht kundtun dürfen. Das sollte gerade auch ein Abgeordneter des Deutschen Bundestags wissen.

Statt die nicht-deutsche Minderheit unserer Gesellschaft weiter zu diskriminieren, brauchen wir mehr Ermutigung, mehr Einbürgerung und mehr Rechte für all jene, die noch keinen deutschen Pass haben. Wer aber zu ihren Lasten die Grundrechte schleift, der will und wird die Gesellschaft weiter spalten. Und das betrifft uns alle, egal welchen Pass wir in diesem Land haben.


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Author: Markus Reuter

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