Drücken Sie „Enter“, um den Inhalte zu überspringen

Erklärung an die Bundesregierung: Zivilgesellschaft fordert Kursänderung in der Digitalpolitik

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Ein Bündnis aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Freie-Software-Wirtschaft fordert die Bundesregierung in einer gemeinsamen Erklärung auf, sich energischer für eine nachhaltige Digitalpolitik einzusetzen und die dafür nötigen Mittel im Bundeshaushalt bereitzustellen. Andernfalls drohten die Digitalisierungspläne der Ampel-Koalition krachend zu scheitern.
Mit großen Schritten wollte Digitalminister Volker Wissing (FDP) die Digitalisierung in Deutschland voranbringen. – Alle Rechte vorbehalten Imago / Political-MomentsIn ihrem Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung im Jahr 2021 große Ziele gesteckt. Einen „lernenden und digitalen Staat“ will sie schaffen, der „mehr Transparenz und Teilhabe in seinen Entscheidungen bietet und mit einer unkomplizierten, schnellen und digitalen Verwaltung das Leben der Menschen einfacher“ macht. Zivilgesellschaftliche und digitalpolitische Verbände lobten damals die vollmundigen Ankündigungen. Sie erhofften sich eine Kurswende.
Knapp zwei Jahre später ist die Vorfreude wachsender Enttäuschung gewichen. Ein breites Bündnis aus Organisationen der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Open-Source-Wirtschaft zieht zur Halbzeit der Legislaturperiode eine negative Bilanz. In einer Erklärung fordert es die deutsche Bundesregierung auf, eine „nachhaltige Digitalpolitik umzusetzen und im Bundeshaushalt jetzt die nötigen Mittel bereitzustellen“. Andernfalls drohe, nicht zuletzt wegen der knappen Zeit bis zum Ende der Legislaturperiode, ein digitalpolitisches Scheitern.
Die Versprechen der Ampel-Koalition
Dem Bündnis gehören mehr als 20 Organisationen an – darunter die Free Software Foundation Europe (FSFE), die Open Source Business Alliance (OSBA), die Organisationen Bits und Bäume, der Chaos Computer Club, D64 Zentrum für Digitalen Fortschritt, die Open Knowledge Foundation, der Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit (InÖG), Germanwatch, der Rat für digitale Ökologie (RDÖ) und Daasi International.
In eigenen Analysen legen die Organisationen jeweils dar, wo sie dringenden Handlungsbedarf aufseiten der Bundesregierung sehen. Drei Versprechen, die die Ampel-Koalition in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten hat, stehen dabei im Fokus: Erstens wollte die Regierung die Zivilgesellschaft stärker einbinden, zweitens wollte sie auf Open-Source-Software (OSS) setzen und drittens wollte sie die Digitalisierung nachhaltig und sicherer gestalten. Unterfüttert wurden diese Versprechen mit der Zusage, dafür ein ausreichend hohes Digitalbudget zu bewilligen.
Zu wenig Geld und zu wenig Zivilgesellschaft
Diese Zusage will die Bundesregierung offenkundig nicht einlösen. Anfang August stellte die Bundesregierung ihren Haushaltsentwurf für 2024 vor. Er sieht für die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen nur noch Mittel von rund 3,3 Millionen Euro vor. Zum Vergleich: Für das Jahr 2023 waren dafür gut 300 Millionen Euro vorgesehen. Zwar können im kommenden Jahr weiterhin rund 300 Millionen Euro „nicht verbrauchter Restmittel“ genutzt werden, die das Bundesinnenministerium noch in der Rückhand hat. Gleichzeitig aber hat der Bund angekündigt, sich aus der Umsetzung der Verwaltungsdigitalisierung zurückziehen zu wollen. Seine Verpflichtungen sehe er erfüllt, Länder und Kommunen müssten fortan Projekte aus eigenen Haushaltstiteln stemmen.
Ähnlich trostlos sieht es aus Sicht der Organisationen mit Blick auf die Zivilgesellschaft aus. Sie stärker in Entscheidungsprozesse einzubinden, sei für eine nachhaltige und inklusive Digitalisierung in einer demokratischen Gesellschaft grundlegend. Dass sich in dieser Richtung jedoch zu wenig getan hat, belegten exemplarisch die Digitalstrategie und der Digital-Gipfel im vergangenen Jahr. Hier sei die Zivilgesellschaft kaum miteinbezogen worden, stellt Lilli Iliev fest. Sie ist Leiterin des Büros für Politik und öffentlicher Sektor bei Wikimedia Deutschland.
Auch die Handhabung der Verbändeanhörung zur Reform des BND-Gesetzes zeige, wie wenig die Regierung die Zivilgesellschaft berücksichtigt. Die Frist zur Stellungnahme betrug 24 Stunden und 30 Minuten bei 88 Seiten Entwurf. „Das ist leider keine Ausnahme und muss sich ändern“, bemängelt Rainer Rehak, Ko-Vorsitzender des FIfF, Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung. Für die zivilgesellschaftliche Mitgestaltung brauche es ohnehin mehr als eine partielle Beteiligung, nämlich eine Demokratisierung digitaler Infrastruktur, so Rehak.
Open Source und ökologische Nachhaltigkeit
Zu dieser Demokratisierung kann laut FSFE und OSBA auch der Einsatz freier Software in der öffentlichen Verwaltung beitragen. Allerdings habe der Bund in den vergangenen Jahren etliche Investitionsentscheidungen zugunsten proprietärer Software getroffen. Die Abhängigkeit zu kommerziellen Herstellern sei damit gewachsen und das Ziel der digitalen Souveränität in weitere Ferne gerückt.
Mit der Kampagne „Public money, public code“ fordert die FSFE darüber hinaus, dass Code, der mit öffentlichen Geldern finanziert wird, auch öffentlich zugänglich ist. Dafür sprechen nicht nur politische, sondern auch finanzielle Gründe. Laut FSFE entlaste öffentlicher Code langfristig die Haushalte, auch weil sich Behörden Expertise und Kosten teilen könnten.
Daneben adressiert die Erklärung die ökologischen Folgen der Digitalisierung. Rechenzentren greifen inzwischen rund drei Prozent des gesamten Stroms in Deutschland ab. Um dem Anspruch einer ökologisch nachhaltigen Digitalpolitik nachzukommen, reiche das geplante Energieeffizienzgesetz nicht aus, mahnt Johanna Graf, Referentin für Digitalisierung und Klimaschutz bei Germanwatch. Der aktuelle Gesetzesentwurf nehme nur die allergrößten Rechenzentren ins Visier, womit der Effekt absehbar gering ausfallen werde. Ohnehin sei das Problem nur vielfältig zu lösen: „Neben Verbesserungen in der Energieeffizienz muss auch die ressourcenschonende Gestaltung von Rechenzentren vorangetrieben werden“, so Graf. „Eine höhere Auslastung von Rechenzentren führt zum Beispiel dazu, dass von Beginn an weniger Hardware benötigt wird.“
Gegen Staatstrojaner und Chatkontrolle
Eine nachhaltige Digitalpolitik bedeute auch, dass der Bund keine staatliche Schadsoftware finanziert. Nur so könne weiterer Schaden an der IT-Sicherheit vermieden werden, erklärt der Chaos Computer Club (CCC). „Wir fordern von der Ampel-Regierung, dass sie endlich ihr Versprechen einlöst, den Einsatz von Staatstrojanern runterzufahren und die Schadsoftware-Branche nicht weiter zu bedienen“, sagt Dirk Engling, Sprecher des CCC.
Der CCC kritisiert außerdem die unklare Haltung der Koalition zur Chatkontrolle. Das EU-Gesetz eröffne eine neue Dimension der Überwachung und bedrohe Anonymität und Pseudonymität im Internet, so Engling. Trotz anderslautender Versprechen im Koalitionsvertrag lehne die Bundesregierung das Vorhaben jedoch nach wie vor nicht klar ab. „Die Ampel sollte hier endlich Farbe bekennen, ihren europäischen Einfluss nutzen und die Idee, Messenger-Nachrichten massenhaft zu scannen, ad acta legen.“

Hier die Erklärung der FSFE im Wortlaut, stellvertretend für die 21 Organisationen, die dem Bündnis angehören.

Halbzeit für die Ampel: Danke für die schönen Worte, lasst endlich Taten sprechen!
Die Free Software Foundation Europe (FSFE) fordert mit einem Bündnis aus Zivilgesellschaft und Freie-Software-Wirtschaft die deutsche Bundesregierung auf, eine nachhaltige Digitalpolitik umzusetzen und im Bundeshaushalt jetzt die nötigen Mittel bereitzustellen.
Die FSFE zieht eine negative Halbzeitbilanz für die Digitalpolitik der Bundesregierung und fordert gemeinsam mit 20 Akteuren aus der Zivilgesellschaft und Freie-Software-Wirtschaft: Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen im Bundestag müssen jetzt dringend ihre digitalpolitischen Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umsetzen. Dafür müssen sie im Haushalt 2024 ausreichend Mittel bereitstellen. Zudem muss die Zivilgesellschaft stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Es ist höchste Zeit, Deutschland auf einen nachhaltigen digitalpolitischen Kurs zu lenken. Die letzte Chance dafür in dieser Legislaturperiode darf die Regierung nicht vertun.
Die Bundesregierung ist vor zwei Jahren mit einem guten und vielfach gelobten digitalpolitischen Programm angetreten, das einen Kurswechsel und eine erfolgreichere, nachhaltige Digitalisierung versprach. Zur Hälfte der Wahlperiode lässt dieser Kurswechsel leider weiter auf sich warten. Die Ampel hat bisher nur wenige Projekte angestoßen und plant, diese im Haushalt für das kommende Jahr sogar schmerzlich zusammenzusparen. Damit drohen am Ende der Legislatur ein digitalpolitisches Scheitern und ein langfristiger Schaden für Gesellschaft und Wirtschaft.
Die FSFE fordert Freie Software in Deutschlands Verwaltungen
Die Bundesregierung hat ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, bei der Verwaltungsdigitalisierung auf Freie Software (auch als Open Source bekannt) und auf offene Standards zu setzen, zur Halbzeit der Legislaturperiode nicht umgesetzt. Vereinzelte Schritte in die richtige Richtung wie die Gründung des Zentrums für Digitale Souveränität (ZenDiS) sollen im Haushalt 2024 ausgebremst werden. Auch das Vergaberecht wurde nicht entsprechend modernisiert, um die Ausschreibung und Beschaffung Freier Software zu erleichtern. Es gibt immer noch keine öffentliche Statistik über die Beschaffung von Freier Software für die Verwaltung.
Stattdessen setzt die Bundesregierung weiterhin größtenteils auf proprietäre Software. Für die proprietäre „Oracle Cloud“ sind mehr als drei Milliarden Haushaltsmittel vorgesehen, während die ohnehin zu geringen Mittel für digitale Souveränität von gegenwärtig 48 Millionen Euro im neuen Haushalt um fast die Hälfte gekürzt werden sollen. Gleichzeitig hält die Regierung Freie Software zur Gewährleistung digitaler Souveränität offenbar für verzichtbar. Der in ihrem Auftrag vom ITZ Bund entwickelte proprietäre „Bundesclient“ steht in eklatantem Widerspruch zum erklärten Ziel der Regierung, Freie Software und damit echte digitale Souveränität zu stärken.
Johannes Näder, Senior Policy Project Manager der FSFE, erklärt: „Die Bundesregierung muss zu ihren Versprechen aus dem Koalitionsvertrag stehen und beschließen, dass in Zukunft vorrangig Freie Software für die Verwaltung beschafft und entwickelt wird. Das Prinzip ‚Public Money? Public Code!‘ muss zur Leitlinie der deutschen Digitalpolitik werden: Mit öffentlichen Geldern für öffentliche Verwaltungen entwickelte Software muss Freie Software sein. Nur so kann die Regierung eine nachhaltige, innovative Digitalisierung Deutschlands erreichen, die allen Menschen zugutekommt und ihnen den selbstbestimmten Umgang mit Technik ermöglicht“.
Unter dem Motto „Public Money? Public Code!“ fordert die Free Software Foundation Europe seit langem eine nachhaltige Digitalisierung der deutschen Verwaltung durch die Nutzung Freier Software. Dass die entsprechenden Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag bisher nicht umgesetzt wurden, stieß zuletzt auch innerhalb der Regierungsfraktionen auf Kritik.
„Jetzt müssen wichtige Weichen für die Digitalisierung der Verwaltungen in Deutschland gestellt werden. Der Bundesregierung bleiben nur noch zwei Jahre, um ihre Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Digitale Souveränität kann nur durch Freie Software sichergestellt werden. Die Regierung muss deswegen das Vergaberecht im Sinne von „Public Money? Public Code!“ modernisieren und endlich Statistiken zum Anteil Freier Software bei der Entwicklung und Beschaffung veröffentlichen. Nicht zuletzt sollte Behörden zeitnah ein vollwertiger Freie-Software-Arbeitsplatz zur Verfügung stehen. Damit das gelingt, muss das Budget für digitale Souveränität erhöht und konsequent für Freie Software eingesetzt werden“, fordert Johannes Näder.
Freie Software und „Public Money? Public Code!”
Freie Software gibt allen das Recht, Programme für jeden Zweck zu verwenden, zu verstehen, zu verbreiten und zu verbessern. Durch diese Freiheiten müssen ähnliche Programme nicht komplett neu programmiert werden und dank transparenter Prozesse muss das Rad nicht ständig neu erfunden werden. Bei großen Projekten können Expertise und Kosten geteilt werden und von der Allgemeinheit bezahlte Anwendungen stehen allen zur Verfügung. So wird Innovation gefördert und mittel- bis langfristig Steuergeld gespart. Abhängigkeiten von einzelnen Anbieterinnen werden minimiert und Sicherheitslücken können leichter geschlossen werden. Die Free Software Foundation Europe fordert daher mit über 200 Organisation und Verwaltungen „Public Money? Public Code!“ – Wenn es sich um öffentliche Gelder handelt, sollte auch der Code öffentlich sein!

Folgende Organisationen aus Zivilgesellschaft und Freie-Software-Wirtschaft haben am 29.08.2023 Pressemitteilungen mit ihrer jeweiligen Analyse und mit ihren digitalpolitischen Forderungen an die Bundesregierung veröffentlicht:

AWO Bundesverband
betterplace lab
Bits & Bäume

FifF
BUND
Germanwatch
Wikimedia Deutschland
Chaos Computer Club e.V.
Deutscher Naturschutzring
Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung

D64 Zentrum für Digitalen Fortschritt
DAASI International
Do-FOSS
Free Software Foundation Europe
future_s
Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit e.V.
Open Knowledge Foundation Deutschland
Open Source Business Alliance

#cnetz
German Unix User Group
Gesellschaft für Informatik
VITAKO

Rat für Digitale Ökologie

Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen. Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
Zur Quelle wechseln
Zur CC-Lizenz für diesen Artikel

Author: Esther Menhard

Das sonett olivenwaschmittel f.