von Katharina Nocun, Pia Lamberty
In einer Welt im stetigen Wandel suchen Menschen nach Sinn und Stabilität, oft in den geheimnisvollen Weiten der Esoterik. Doch was auf den ersten Blick als unschuldige Suche nach spiritueller Führung erscheint, kann unerwartet dunkle Pfade eröffnen. „Zwischen Klangschalen und Reichskriegsflagge: Esoterik als Einstieg in rechtsextreme Ideologien“ wirft ein kritisches Licht auf die Schattenseiten des boomenden Esoterikmarktes. Dieser Ausschnitt aus dem Buch „Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik“ von den Bestsellerautorinnen Katharina Nocun und Pia Lamberty hinterfragt, ob der Glaube an das Unsichtbare uns in gefährliche Ideologien treiben kann.
Sturm auf den Reichstag
Am 29. August 2020 folgten rund 30.000 Menschen dem Ruf von Querdenken & Co. und versammelten sich zu einer Großdemo in Berlin. Unter ihnen war auch die Heilpraktikerin Tamara K. aus Roetgen in Nordrhein-Westfalen. »Ich setze andere Prioritäten in meinen Behandlungen als herkömmliche Schulmediziner«, schrieb die Eiflerin 2019 auf ihrer inzwischen nicht mehr erreichbaren Homepage. »Für mich ist es wichtig, nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursachen zu behandeln. Ich möchte der Krankheit ›auf den Grund‹ gehen, nur so kann auch eine wirkliche Heilung stattfinden.« Darüber prangte ein Zitat des Esoterikers Rudolf Steiner.
Nach außen hin glich die Heilpraktikerin im Hippie-Look den vielen Teilnehmenden der Proteste, die Beobachter zu dem Urteil veranlassten, wie »bunt« denn diese Bewegung sei, wie heterogen. Tamara K. war allerdings jene Frau, die kurz vor dem versuchten Eindringen von Demo-Teilnehmenden in den Reichstag ins Mikro schrie: »Wir brauchen Masse. Wir müssen jetzt beweisen, dass wir alle hier sind. Und wir gehen da drauf und holen uns heute, hier und jetzt, unser Hausrecht zurück.« Bereits am Vorabend protestierte sie vor der russischen Botschaft in Berlin.
„BRD-Fake-Regierung“
»Wir werden morgen vereint dafür sorgen, dass diese BRD-Fake-Regierung abgewickelt wird! Wir wollen den Friedensvertrag«, rief sie dort ganz im Stil diverser Reichsbürger-Narrative und bat in Richtung russische Botschaft, »auf uns aufzupassen, wir werden morgen für unsere Freiheit kämpfen«. Unter den Applaudierenden waren zahlreiche Reichsbürger und Anhänger der verschwörungsideologischen QAnon-Gruppierung. Verschiedene Recherchen zeigten später, dass die Heilpraktikerin aus der Eifel nicht erst seit Corona kaum Berührungsängste zur rechtsextremen Szene hatte. Ihr Fall verdeutlicht: Vom Äußeren allein lässt sich nicht auf die politische Haltung einer Person schließen.
Im Nachgang der versuchten »Stürmung« des Reichstagsgebäudes entbrannte eine öffentliche Debatte darüber, wie es sein kann, dass Rechtsextremismus und Esoterik immer wieder Hand in Hand gehen. Viele meinen, dass Esoteriker – womöglich wegen ihres »alternativ« wirkenden Auftretens – alle eigentlich politisch links einzuordnen wären. Für Beobachter der Szene waren diese Überschneidungen allerdings weder neu noch überraschend. Experten sprechen diesbezüglich auch von »brauner Esoterik«, also rechtsextrem geprägter Esoterik.
Die Wurzeln der braunen Esoterik
Um die Verquickung zwischen Rechtsextremismus und Esoterik besser verstehen zu können, lohnt ein Blick zurück in die Zeit, die vielen als Beginn der westlichen Esoterik bekannt ist – und zu ihrer Ideengeberin Helena Blavatsky. Im Jahr 1875 gründete die aus Russland stammende Esoterikerin und Okkultistin in New York die Theosophische Gesellschaft. Das Wort Theosophie stammt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt so viel wie »göttliche Weisheit«. Insbesondere Blavatskys 1888 erschienenes Hauptwerk Die Geheimlehre ist bis heute prägend für viele Strömungen der westlichen Esoterik.
Blavatsky ging davon aus, dass die »germanisch-angelsächsische Wurzelrasse« bzw. die »arische Wurzelrasse« die spirituell höchste Stufe darstellt, die der Mensch derzeit erreichen kann, woraus sich ein kosmischer Anspruch auf Vorherrschaft gegenüber nicht-weißen Menschen ableiten lässt. Jüdinnen und Juden galten innerhalb dieses Weltbilds hingegen als »abnormes Bindeglied« zwischen den Wurzelrassen. Die Begründerin der Theosophie vertrat zudem die Ansicht, die Ermordung ganzer Bevölkerungsgruppen lasse sich durch vermeintliche »karmische Notwendigkeiten« rechtfertigen.
Rudolf Steiner und das Konzept der »Wurzelrassen«
Zu den bedeutendsten Abspaltungen der Theosophie gehören die Ariosophie und die heute wohl weitaus bekanntere Anthroposophie. Der Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner kritisierte die Lehre Blavatskys als nicht christlich genug und gründete daraufhin seine eigene Denkschule, aus der sich Waldorfschulen, biodynamische Landwirtschaft, »anthroposophische Medizin« und andere Ansätze entwickelten. Steiner orientierte sich bei der Konzeption seiner Lehren auch an Blavatskys Konzept der »Wurzelrassen«. In Texten heißt es etwa, »Indianer« seien eine »degenerierte Rasse« im Hinsterben, Schwarze aus Afrika »zurückgeblieben«.
Epidemien führte er unter anderem auf »niedere Rassen« zurück. »Die degenerierten Astralleiber der asiatischen Stämme«, sagte Rudolf Steiner 1907 in einem Vortrag in Kassel, »luden ihre schlechten Stoffe auf diese furchtdurchwühlten Astralleiber der Europäer ab, und diese Fäulnisstoffe bewirkten eben, dass später die physische Wirkung der Krankheit auftrat.« Außerdem hieß es, Schwarze hätten ihr »Ich« so sehr verleugnet, »dass sie schwarz davon wurden, weil die äußeren Kräfte, die von der Sonne auf die Erde kommen, sie eben schwarz machten«.
Der Religionshistoriker Prof. Dr. Helmut Zander ordnet Steiners Weltsicht wie folgt ein:
»Steiner formulierte mit seinem theosophischen Sozialdarwinismus eine Ethnologie, in der die Rede von ›degenerierten‹, ›zurückgebliebenen‹ oder ›zukünftigen‹ Rassen keine ›Unfälle‹, sondern das Ergebnis einer konsequent durchgedachten Evolutionslehre waren. Ich sehe im Gegensatz zu vielen Anthroposophen keine Möglichkeit, diese Konsequenz zu bestreiten.«
Auch antisemitische Äußerungen finden sich bei Steiner an mehreren Stellen: Das Judentum hatte angeblich »keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens«. Der »Geist des Judentums« würde sich nicht der europäischen Kultur anpassen, die jüdischen »Sonderbestrebungen« müssten »aufgesogen werden« durch den »Geist der modernen Zeit«. Steiner warnte zwar ab 1901 in mehreren Artikeln vor den Gefahren des Antisemitismus, wurde sogar Mitglied im »Verein zur Abwehr des Antisemitismus«. Was nach einem Sinneswandel innerhalb der jungen Anthoposophie klingt, bewerten einige Experten allerdings deutlich kritischer. »Viele Mitglieder hingen dem Ziel einer religiös-kulturellen Homogenität, nicht Pluralität, an und waren daher an der Aufrechterhaltung einer eigenständigen jüdischen Identität nicht interessiert. Auch waren seine Mitglieder durchaus nicht frei von gesellschaftlichen und religiösen Klischees gegenüber dem Judentum«, urteilt etwa die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte.
Ariosophie: Runen-Yoga und Antisemitismus
Als weitere Abspaltung der Theosophie bildete sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Ariosophie heraus. Blavatskys Thesen wurden darin mit Elementen der germanischen und nordischen Mythologie angereichert. Dazu gehörte der Glaube an die Existenz einer Germanen-Priesterkaste namens »Armanen«, die ihr okkultes Wissen in Runenform überliefert haben soll. Im Umfeld der rechtsextremen Ariosophie wurde auch das sogenannte Runen-Yoga entwickelt, das mitunter nackt praktiziert wird. Dessen Erfinder sah diese »Rassische Gymnastik«, bei der vermeintlich magische Runen mithilfe des eigenen Körpers abgebildet wurden, dabei als »Aufrassungsweg«.
Die eigene Kultur wurde innerhalb der Ariosophie als »rein«, als »spirituell überlegen«, angesehen, während andere gesellschaftliche Gruppen, insbesondere liberale, als »degeneriert« galten. Das Gesellschaftsmodell war rassistisch organisiert, »minderrassige« Menschen sollten sich den als spirituell überlegen angesehenen »Ariern« unterordnen. Der antisemitische Mythos der jüdischen Weltverschwörung war weit verbreitet. Die Esoterik-Expertin Claudia Barth schreibt, Juden galten innerhalb dieser Kreise als die »natürlichen Feinde« der arischen »Lichtmenschen«; ein dunkles, heimtückisches, aus einer »unnatürlichen Mischung der vierten und fünften Wurzelrasse« hervorgegangenes »Mondvolk«.
Ideengeber für spätere NS-Größen
Zu den rund 1.500 Mitgliedern der ariosophisch geprägten Thule-Gesellschaft Bayern gehörte unter anderem der spätere Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß, der Herausgeber des Propagandablatts Der Stürmer, Julius Streicher, und der Chefideologe der NSDAP, Alfred Rosenberg. Gleichzeitig war das Verhältnis zwischen Esoterik und NSDAP durchaus vielschichtig. Zwar betonte Hitler 1938, ein »Einschleichen mythisch veranlagter okkulter Jenseitsforscher« dürfe »in der Partei nicht geduldet werden«, zugleich nahm die Propaganda der NSDAP aber immer wieder Bezug auf esoterische und okkulte Ideen und nutze diese für die Mobilisierung der Massen.
Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß glaubte an Astrologie und Hellsehen und zeigte Interesse an biodynamischer Landwirtschaft nach Rudolf Steiner. Inhaftierte des KZ Dachau wurden zur Durchführung von Experimenten zur biodynamischen Landwirtschaft, Homöopathie und anderen esoterischen Verfahren eingesetzt. SS-Chef Heinrich Himmler schuf eigene Weihestätten und spirituell-geistige Zentren wie die Wewelsburg, und hielt sich selbst angeblich für die Reinkarnation von König Heinrich I. Unter dem Dach des SS-Ahnenerbes wurden esoterisch geprägte Forschungsreisen organisiert. Die Suche nach dem angeblich versunkenen Kontinent Atlantis war dort ebenso Thema wie Expeditionen nach Tibet, wo angeblich unterirdische mystische Welten auf Entdeckung warten. Diese skurrile Obsession Himmlers mit esoterischen Mythen wurde später von Hollywood in der Indiana-Jones-Reihe aufgegriffen.
Braune Esoterik nach 1945
Auch nach 1945 spielten rassistisch und antisemitisch geprägte Ideologien, die mit esoterischen Einflüsse angereichert wurden, weiterhin eine Rolle. »Legenden von ehemaligen ›arischen Hochkulturen‹ sowie die Verklärung von Runen, Hakenkreuzen und Kultstätten zu erhabenen Zeichen einer nordischen ›Urreligion‹ füllen Dutzende von Büchern, Zeitschriften, Videos und Internet-Seiten«, schreibt der Autor Rüdiger Sünner in seinem Buch Schwarze Sonne.
Überlappungen zwischen menschenverachtenden Ideologien und Esoterik finden sich heute in diversen einschlägigen Telegram-Kanälen. Dort werden neben szeneüblichen knallbunten Grafiken mit spirituellen Sinnsprüchen und Informationen über Magic Mushrooms beispielsweise auch Zitate von Adolf Hitler verbreitet. Sogar Erörterungen zu sogenannten Reichsflugscheiben, dem skurrilen Mythos angeblicher Nazi-UFOs, erfreuen sich an der Schnittstelle zwischen Esoterik, Verschwörungsszene und Rechtsextremismus einer gewissen Beliebtheit.
Braune Esoterik wird jedoch nicht nur dort praktiziert, wo bereits auf den ersten Blick ersichtlich ein menschenverachtendes Weltbild verbreitet wird. Doch wie erkenne ich braune Esoterik? Das ist in der Tat für Laien oft gar nicht so einfach. Allerdings gibt es in der Esoterik einige wiederkehrende ideologische Versatzstücke, die einen Hinweis darauf geben können, dass es sich womöglich lohnt, hier etwas genauer hinzuschauen.
Rechtsoffener Okkultismus
Besonders dort, wo Okkultismus auf vermeintlich germanische Mythen und Überlegenheitsfantasien trifft, ist Vorsicht geboten. Rechtsextreme und Neonazi-Gruppierungen beziehen sich häufig auf die nordische Mythologie, germanische Runen und keltische Symbole. Die Verwendung von Runen hat dabei manchmal strategische oder juristische Gründe. Während die Nutzung von NS-Symbolen wie dem Hakenkreuz oder dem SS-Logo in Deutschland strafbar ist, sind esoterische Symbole in der Regel rechtlich unproblematisch. Die »Schwarze Sonne«, heute ein beliebtes Tattoo-Motiv unter Rechtsextremisten – es kann als zwölfarmiges Hakenkreuz gedeutet werden – war bereits in okkultistischen Kreisen während der NS-Zeit populär.
Karma
Das Karmakonzept stammt aus verschiedenen religiösen Konzepten und ist eng mit dem Glauben an Wiedergeburt sowie der Überzeugung verbunden, eine höhere Macht würde eine Art übergeordnete Gerechtigkeit erzeugen. Diverse Esoterik-Strömungen haben Versatzstücke daraus übernommen und mit eigenen Deutungen versehen. Gerade innerhalb der braunen Esoterik wird es dabei schnell menschenverachtend.
Da heißt es etwa: »Wem Schlechtes widerfährt, der muss das Ganze eben durch eigenes Handeln in diesem oder einem vergangenen Leben selbst verschuldet haben.« Mithilfe eines solchen Karmakonzepts lässt sich so leicht eine Schuldumkehr betreiben. Der Berliner Yoga-Lehrer Mathias Tietke schilderte in der Jüdischen Allgemeinen, wohin das letztendlich führen kann: »Ich habe da von [einer Yoga-Dozentin] zu hören bekommen, ich müsse nur lange genug meditieren, um anzuerkennen, dass es das Karma der Juden war, vernichtet zu werden.« Mithilfe des Karma-Konzepts wird innerhalb der braunen Esoterik also versucht, die Verantwortung für NS-Verbrechen auf Millionen von Opfern umwälzen.
Dualistisches Weltbild
In vielen esoterischen Konzepten dominiert die Vorstellung, die Welt werde von guten und bösen Mächten gesteuert. Immer wieder ist etwa vom Kampf des »Lichts« gegen »Kräfte der Finsternis« die Rede. Wenn Esoterik-Anhänger infolge eines derartigen dualistischen Denkens sich selbst und die eigene Gruppe auf der Seite des Guten verorten und »nicht spirituell Auserwählte« pauschal aburteilen, kann das Probleme nach sich ziehen. Wer das Weltbild kritisiert, wird schnell als »Agent des Bösen« wahrgenommen, den es womöglich sogar zu bekämpfen gilt. Derartige Vorstellungen sind wiederum anschlussfähig für populistische Denkmuster der extremen Rechten. Da wird dann beispielsweise das gute »Volk« einer angeblich korrupten Elite gegenübergestellt, die es um jeden Preis zu bekämpfen gilt. Differenzierte Betrachtungen haben innerhalb eines solchen Weltbilds dann keinen Platz mehr.
Völkischer Elitismus
Braune Esoterik ist stark von Elitedenken geprägt. Die Anhängerschaft meint, über den Dingen und anderen Menschen zu stehen sowie über exklusives Geheimwissen zu verfügen. Wenn eine solche Überhöhung des eigenen Selbst zur Grundlage der Bewertung von gesellschaftlichen Phänomenen wird, lassen sich Brücken zu hochproblematischen Weltbildern schlagen.
Nationalismus ist ebenfalls eine Form von Elitismus, weil damit die Idee einhergeht, dass die eigene Nation über allen anderen stehen sollte. Sich selbst als elitär und überlegen wahrzunehmen, steht dabei wohlgemerkt nicht im Widerspruch dazu, gegen andere Gruppen zu hetzen, die man als vermeintlich böswillige Elite oder geheime Verschwörung beschimpft. Umgekehrt wird eher ein Schuh daraus: Man sieht vermeintlich mächtige Akteure als Feinde an, weil man insgeheim eine neue Machtordnung mit der eigenen Gruppe an der Spitze durchsetzen will.
Autoritäre Gesellschaftsvorstellungen
Autoritarismus meint die Idee, dass die Geschicke der Welt von starken Führungspersönlichkeiten bestimmt werden sollten. Aber was hat das mit Esoterik zu tun? Wenn man an esoterisch-spirituelle Gruppierungen denkt, erscheint bei vielen Menschen schließlich ein Bild im Kopf, das bestimmt wird von antiautoritären und liberalen Idealen in Anlehnung an die 1968er.
Etwa freie Liebe und das Recht auf Selbstentfaltung. Nicht wenige Strömungen innerhalb der Esoterik verbreiten jedoch tatsächlich Lehren, in denen Autoritarismus sozusagen weichgespült wird. Egal ob Guru, Schamane oder Lifestyle-Coach – die »Weisheit« des Anführers wird über alles gestellt. Innerhalb eines solchen Weltbilds wird Demokratie und Wissenschaft abgelehnt, gesellschaftliche Entscheidungen sollen stattdessen von der vermeintlich spirituell „erleuchteten“ Führungsperson getroffen werden. Ein solcher Autoritarismus kann zum Türöffner für antidemokratische und faschistische Überzeugungen werden.
Sozialdarwinismus
Sozialdarwinismus beschreibt eine menschenverachtende Theorie, in der das Recht des Stärkeren idealisiert wird. Das vom britischen Evolutionsforscher Charles Darwin formulierte Konzept der natürlichen Selektion wird dabei auf menschliche Gesellschaften übertragen und zur Norm erhoben. Sozialdarwinismus geht davon aus, dass nur die Stärksten im gesellschaftlichen Konkurrenzkampf bestehen können und es demnach wertvolleres und weniger wertvolles Leben gebe.
Diese Art zu denken bildete die Grundlage für die NS-Rassenlehre, die zum millionenfachen Mord sowie der Schoa führte. Menschen mit körperlichen, geistigen oder psychischen Erkrankungen oder Behinderungen wurden durch die NSDAP systematisch kaltblütig ermordet, weil sie als »lebensunwert« galten. Sozialdarwinistische Ansichten finden sich heute in unterschiedlichen Strömungen der braunen Esoterik. Solche Überzeugungen können eine Brücke zwischen unterschiedlichen Milieus bauen, da Sozialdarwinismus in rechtspopulistischen und rechtsextremen Kreisen extrem anschlussfähig ist.
Menschenfeindliche Weltbilder
Immer wieder stößt man im Esoterik-Milieu auf extrem menschenfeindliche Weltbilder. Die Übergänge zwischen vermeintlich auf Spiritualität fokussierte Gruppierungen und einem stramm rechtsextremen Weltbild sind dabei oft fließend. Das Oberhaupt der christlich-fundamentalistischen Gruppierung Organische Christus-Generation (OCG), Ivo Sasek, gründete etwa 2008 die Anti-Zensur-Koalition (AZK), ein Zusammenschluss, in dem rechte Esoterik, Verschwörungserzählungen, Antisemitismus, Rassismus und Geschichtsrevisionismus zusammenkommen.
Bei einer Veranstaltung in Jahr 2012 leugnete eine Referentin offen die Schoa und wurde dafür zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt. Laut Recherchen von Zeit-Online heißt es in einer Predigt von Sasek, bei dem antisemitischen Pamphlet »Die Protokolle der Weisen von Zion« – welches in der NS-Propaganda eine große Rolle spielte und nachweislich eine reine Fantasiegeschichte ist – handele es sich um eine authentische Quelle. Aus dem Umfeld OCG stammt außerdem das Video-Angebot kla.TV bzw. klagemauerTV, wo unter anderem die Behauptung verbreitet wurde, Israel würde Organhandel betreiben, um sich für die Schoa zu rächen.
Antimoderne Haltungen
Viele esoterische Weltbilder sind von romantisierten Vorstellungen der Vergangenheit und einer Ablehnung der vermeintlich degenerierten modernen Welt geprägt. Aber egal, ob es um Frauenrechte, Rassismus oder soziale Gerechtigkeit geht – „früher“ war vieles eben doch extrem problematisch. Antimoderne Haltungen richten sich zu Ende gedacht oft gegen eine liberale, offene Gesellschaft. Das äußert sich beispielsweise in Form von Hetze gegen geschlechtergerechte Sprache oder Abwertung von berufstätigen Frauen, die sich aus Sicht einiger Esoteriker »ihrer natürlichen spirituellen Rolle« verweigern.
Ein solcher esoterisch begründeter Antifeminismus ist äußerst anschlussfähig für rechtsextreme Weltbilder, in denen »die gute alte Zeit« ebenfalls verklärt wird. Antimoderne Ressentiments münden zudem innerhalb der braunen Esoterik immer wieder in Antisemitismus. Egal ob Finanzkrise oder Impfungen – durch die Brille der antisemitischen Logik werden Juden für jegliche als bedrohlich empfundenen Phänomene der Moderne verantwortlich gemacht. Hierbei spielen gängige antisemitische Stereotype eine große Rolle.
Völkische Antiglobalisierung
Gerade in Zeiten der Klimakrise gewinnt die Hinwendung zum Lokalen an Attraktivität. Die Idee eines Ausstiegs aus der konsumorientierten Gesellschaft wird aber leider immer wieder von esoterisch geprägten Rechtsextremisten völkisch uminterpretiert. Da heißt es etwa, es gelte das »Volk« vor »schädlichen Einflüssen« durch Migration und einer als »degeneriert« geltenden, liberalen Gesellschaft zu »schützen«. Bei völkischen Siedlungsprojekten geht es eben nicht nur darum, autark zu leben.
Eine strategische »Landnahme« soll vielmehr »national befreite Zonen« schaffen, innerhalb deren Grenzen die eigenen rassistischen und antidemokratischen Vorstellungen umgesetzt werden. Eines der bekanntesten rechts-esoterischen Siedlungsprojekte ist die Anastasia-Gruppierung. Die Grundlage der Anastasia-Ideologie bildet die vom russischen Esoteriker Megre verfasste Buchreihe Die klingenden Zedern Russlands, in der antisemitische und verschwörungsideologische Inhalte bis hin zur Holocaust- Relativierung propagiert werden. Nach außen hin präsentiert sich die Gruppierung hingegen gerne als eine Mischung aus Hippietum und Ökoprojekt.
Apolitische Selbstinszenierung
Die Fokussierung auf Spiritualität wird von rechtsoffenen Esoterik-Gruppierungen gerne vorgeschoben, um den Eindruck zu erwecken, man sei eigentlich unpolitisch. Das daraus resultierende Fehlen einer klaren Abgrenzung nach rechts fungiert als extrem effektives Einfallstor für menschenfeindliche Ideologien. Auf diversen Esoterik-Events dürfen nicht nur dubiose Heiler ihre Produkte anpreisen – auch Verschwörungsideologen und Antisemiten bekommen eine Bühne geboten.
Als Rechtfertigung wird gerne vorgeschoben, es gehe lediglich um »Vielfalt« und »Meinungsfreiheit« – man selbst sei schließlich »unpolitisch« und stehe für den »gesunden Menschenverstand«. Viele Corona-Proteste folgten einer ähnlichen Logik. So liefen dann mancherorts Yogis neben bekannten Neonazis, und Esoteriker verbreiteten gemeinsam mit QAnon-Fans Umsturzfantasien. Im Manifest von Querdenken 711 hieß es lapidar: »Wir reden mit allen, die friedlich und gewaltfrei agieren, egal wie sie von Dritten bezeichnet werden.« Was das in der Praxis bedeutet, zeigt folgendes Beispiel: Querdenken-Gründer Michael Ballweg traf sich 2020 mit Deutschlands bekanntestem Reichsbürger und Esoteriker Peter Fitzek, um mögliche Kooperationen zu bereden.
Verschwörungsideologien
Im Esoterik-Milieu stolpert man früher oder später unweigerlich über Verschwörungserzählungen. Wenn Esoterik mit der Idee einer großen Verschwörung vermengt wird, spricht man auch von conspirituality. Der Begriff beschreibt die Überlappung zwischen Verschwörungserzählungen (conspiracy theories) und Spiritualität (spirituality). Innerhalb solcher Weltbilder ist alles mit allem verbunden, nichts ist, wie es scheint, nichts passiert durch Zufall, und die Welt wird durch im Verborgenen wirkende Kräfte gesteuert.
In derartigen Milieus heißt es oft, Menschen müssten eine »Transformation« durchlaufen und ihre spirituellen Kräfte wecken, damit die Menschheit eine »höhere Bewusstseinsstufe« erreiche, um die vermeintliche Verschwörung aufzuhalten. Beispiele für conspirituality gibt es viele: Während der Pandemie begannen etwa einige reichweitenstarke Esoterik-Accounts, die sich zuvor vor allem mit Ganzheitlichkeit und Spiritualität befasst hatten, radikale QAnon-Inhalte mit Esoterik aufzuladen und erreichten so vor allem weibliche Milieus. In Teilen der QAnon-Community wird Donald Trumps Rolle zudem mit Elementen aus Religion und Mystik vermischt – bis hin zu kitschigen Abbildungen als himmlischer Prophet mit Heiligenschein, Engelsflügeln und flammendem Schwert.
Fazit: Eine unterschätzte Gefahr?
Esoterik, New Age und Mystizismus sind nicht automatisch faschistisch oder rechtsextrem. Auch innerhalb dieser Szenen gibt es Gruppen, die sich klar nach rechts abgrenzen – manchmal sogar gegen erbitterte Widerstände aus den eigenen Reihen. Trotzdem ist es wichtig, die Verbindungslinien klar zu benennen, mit denen sich völkischem Denken, Rechtsextremismus, Antisemitismus oder Rassismus an esoterische Weltbilder andocken lassen.
Ein esoterischer Sozialdarwinismus, der Hang zu Verschwörungserzählungen und ein antimodernes Weltbild können in Kombination mit der Sehnsucht nach autoritären Führern und einer Selbstüberhöhung zu Türöffnern für rechtsextreme Mobilisierung werden. Die Gefahren der Esoterik, als Einfallstor in extrem rechte Welten zu fungieren und dabei zu helfen, solche Ideologien in die Gesellschaft zu tragen, wurden jedoch lange nicht ernst genommen. »Die Behörden unterschätzen die Gefahr, die von der rechten Esoterik ausgeht«, warnte 2020 Matthias Pöhlmann, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. »Die Situation wirkt für mich wie damals bei den Reichsbürgern. Man hat die bis zur Tötung eines Polizisten 2016 völlig unterschätzt. Esoterik wird zum trojanischen Pferd für Rechtsextremismus, Verschwörungsglauben und Antisemitismus. Das Wut- und Hasspotenzial in dieser Szene ist erschreckend.«
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Artikelbild: CC-BY-SA – Lisa „Mullana“ Schmidt. Katharina Nocun, Pia Lamberty. Bastei Lübbe, bearbeitet durch Volksverpetzer