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FDP-Parteitag: Digitalpolitische Realitätsverzerrung

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Auf ihrem Parteitag präsentierte sich die FDP als die treibende Kraft einer „Bundesdigitalrepublik Deutschland“. Tatsächlich aber zeigen die politischen Beschlüsse des vergangenen Wochenendes vor allem eines: Dass die Liberalen dringend einen Realitäts-Check brauchen.
Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, auf dem Bundesparteitag der FDP – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Achille Abboud (Bearbeitung: netzpolitik.org)Am Wochenende traf sich die FDP zu ihrem Bundesparteitag in Berlin. Im Fokus standen dabei die Wirtschafts- und die Finanzpolitik – sowie das Bemühen, sich von dem grünen Koalitionspartner abzugrenzen.
Besonders deutlich macht dies ein von den Delegierten verabschiedeter Leitantrag. Ihn durchziehen traditionell liberale Themen wie Innovation, Wachstum und die „Entfesselung der Leistungsbereitschaft aller“. Um Wohlstand wie Weltklima zu bewahren, setzen die Liberalen vor allem auf den Markt und die dort feilgebotenen technischen Lösungen, konkret auf Kernenergie und -fusion, Wasserstoff, E-Fuels und Gentechnik.
Dass sich die FDP damit die Realität nach Belieben zurechtbiegt, zeigen auch die digitalpolitischen Beschlüsse der Delegierten. Denn gerade hier schwächelt ebenjene Partei, die sich „Digital first, Bedenken second“ auf die gelben Wahlkampffahnen geschrieben hatte – und obwohl mit Volker Wissing einer der ihren das Digitalministerium führt.
„Bundesdigitalrepublik Deutschland“
Laut Leitantrag will die FDP nicht weniger als die „Bundesdigitalrepublik Deutschland verwirklichen“. Den Treibstoff für den dafür notwendigen „digitalen Aufbruch“ soll die sogenannte Digitalstrategie von Minister Wissing liefern.
Zur Erinnerung: Die Digitalstrategie, die „den übergeordneten Rahmen für die Digitalpolitik bis 2025“ bildet, hatte die Bundesregierung im August vergangenen Jahres vorgelegt. Das Thema flackerte noch einmal kurz in der medialen Öffentlichkeit auf, als im November offiziell die Umsetzungsphase begann.
Danach aber wurde es verdächtig still um den „digitalen Aufbruch“. Etliche der in der Digitalstrategie verheißenen Leuchtturmprojekte glimmen inzwischen nur noch schwach vor sich hin. Und laut Medienberichten könnte die Ampel nun auch noch das versprochene Digitalbudget, mit dem zentrale Vorhaben der Digitalstrategie umgesetzt werden sollen, still und leise beerdigen.
Auf tönernen Füßen
Währenddessen hapert es auch gewaltig bei den Themen digitale Identifizierungsverfahren und dem Breitbandausbau – beides notwendige Voraussetzungen für die Digitalisierung. Oder im FDP-Sprech: Sie sind der asphaltierte Untergrund, auf dem die „Bundesdigitalrepublik Deutschland“ errichtet wird.
Dieser Untergrund steht auf tönernen Füßen. Denn zum einen drohen Bürger:innen, die sich im Netz sicher und bequem ausweisen wollen, in ein Dickicht unterschiedlicher Ausweisverfahren zu geraten. Auch das FDP-geführte Digitalministerium werkelt an einer eigenen Lösung, die etwa der Smart-eID des Bundesinnenministeriums Konkurrenz machen soll. Dieses Durcheinander garantiert vor allem eines: Dass die Digitalisierung weiterhin schleppend verläuft.
Ähnlich kopflos agiert das Digitalministerium zum anderen beim geförderten Breitbandausbau. Dieser kam in den vergangenen Monaten gehörig ins Stocken, weil das zuständige Digitalministerium die Gigabit-Förderung gedeckelt hatte, ohne längerfristig zu planen. Im Oktober waren die Töpfe dann wenig überraschend leer. Länder und Kommunen konnten daraufhin keinen Bundeszuschuss für den dringend benötigten Ausbau des Glasfasernetzes mehr beantragen – und machten ihrem Ärger öffentlich Luft. Erst Anfang April, und damit ein knappes halbes Jahr später, legte Wissing seine „Gigabitförderung 2.0“ vor, die den staatlich geförderten Breitbandausbau wieder voranbringen soll.
Die Einmalzahlung als Paradebeispiel?
All das konnte die Stimmung der FDP-Delegierten am vergangenen Wochenende jedoch nicht trüben. Stattdessen preist deren Leitantrag ausgerechnet die 200-Euro-Einmalzahlung für Studierende und Fachschüler:innen als Beispiel dafür, „wie datenschutzkonform und vollständig digitalisiert ohne Medienbrüche eine direkte Auszahlung einer staatlichen Leistung auf Konten von Millionen von Bürgerinnen und Bürgern machbar ist.“
Doch auch hier stellt sich die Realität bekanntlich anders dar, zumindest aus Sicht der Betroffenen. Denn diese mussten nicht nur monatelang auf die Auszahlung der Energiepauschale warten. Sondern sie waren obendrein dazu gezwungen, sich für die Beantragung der Mittel ein BundID-Konto zuzulegen.
Datenschutzexpert:innen äußerten massive Bedenken an dem Verfahren. Doch die Kritik ließ die Regierung kalt. Sie nutzte vielmehr die materielle Not junger Menschen dazu, die BundID endlich aus ihrem Schattendasein zu holen und sich für diesen „Digitalisierungserfolg“ medienwirksam selbst auf die Schulter zu klopfen. Die Delegierten auf dem FDP-Parteitag taten es ihr am Wochenende gleich.
Die FDP vor dem Realitäts-Check
Doch den Liberalen sollte klar sein, dass sie alsbald die Realität einholen wird – und zwar auch in den eigenen Reihen.
Denn die Delegierten fordern in dem Leitantrag explizit „ein Verbot der biometrischen Überwachung im öffentlichen Raum“. Diese Forderung findet sich fast wortgleich im Koalitionsvertrag wieder. Dessen ungeachtet setzt sich Digitalminister Volker Wissing höchstpersönlich in Brüssel für die retrograde biometrische Identifizierung bei Videoüberwachungssystemen ein, also für eine nachträgliche Auswertung von Bild- und Videomaterial.
Angesichts dieses eklatanten Selbstwiderspruchs steht wohl auch der FDP selbst ein Realitäts-Check bevor – spätestens am 14. Mai. Dann nämlich wählt das kleinste Bundesland Bremen eine neue Bürgerschaft. In den Umfragen stehen die Liberalen derzeit bei 6 Prozent.

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Author: Daniel Leisegang

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