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Wie steht es um die Freiheit des Internets? Dieser Frage geht der jährlich erscheinende „Freedom of the Net“-Bericht der NGO Freedom House nach. In diesem Jahr liegt der Fokus auf Künstlicher Intelligenz. Die Technologie ist noch nicht ausgereift und doch berge sie großes Potenzial für Diktatoren.
Die Karte zeigt den Status der Internefreiheit in den von Freedom House untersuchten Staaten. Grün bedeutet frei, Gelb teilweise frei und lila unfrei. (Grafik: Freedom House; Screenshot: netzpolitik.org)Künstliche Intelligenz (KI) ist die nächste Gefahr für die Freiheit des Internets. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest der neue „Freedom of the Net Report“. In diesem untersucht die Nichtregierungsorganisation Freedom House jährlich die Internetfreiheit rund um den Globus. Die neuen KI-Werkzeuge ergänzen laut dem Bericht Repressionsmechanismen, die Autokrat*innen seit Jahren nutzen.
Eine Gefahr für Internetfreiheit – und damit auch die Demokratie – ist Desinformation. Dass Autokrat*innen hier bereits auf KI setzen, zeige sich etwa in Nigeria. Dort wurde laut Freedom House im Februar diesen Jahres ein KI-generierter Audio-Clip verbreitet. Dieser implizierte, dass ein oppositioneller Präsidentschaftskandidat die Wahl fälschen wollte. In einem anderen Fall verbreiteten venezuelanische Staatsmedien den Clip eines mit KI generierten Nachrichtensprechers, der auf einem fiktiven, englischsprachigen Nachrichtensender regierungsfreundliche Botschaften vortrug.
In mindestens 16 Staaten wurde laut Freedom House KI genutzt, um den politischen Diskurs zu sabotieren. Die Hauptarbeit im Bereich Desinformation erledigten aber immer noch Menschen und nicht Maschinen, heißt es im Bericht. Im diesjährigen Bericht zählt Freedom House 46 Staaten, in denen regierungsnahe Kommentator*innen Online-Diskussionen manipulierten.
KI macht Desinformation kostengünstiger
Dennoch biete KI großes Potenzial für die Störung des öffentlichen Diskurses:
Die Erschwinglichkeit, Benutzerfreundlichkeit und Zugänglichkeit der generativen KI-Technologie für Verbraucher haben die Eintrittsbarrieren in den Desinformationsmarkt gesenkt. Diejenigen, die die finanziellen oder politischen Anreize haben, können mit diesen Werkzeugen falsche und irreführende Informationen erstellen und dann bestehende Netzwerke nutzen, um sie in großem Umfang zu verbreiten.
Quantität und Qualität von Desinformation würden zunehmen, warnt der Bericht, und so die Kapazitäten von Moderator*innen und Fact-Checker*innen weiter übersteigen.
KI-Fälschungen müssen nicht immer überzeugen, um den Diskurs zu zerstören. Schließlich können Politiker*innen mit Verweis auf generative KI die Echtheit von Videos oder Audioaufnahmen einfach leugnen. Im „Freedom of the Net“-Bericht findet sich dazu ein Beispiel aus dem indischen Bundesstaat Tamil Nadu: Dort führten mehrere Videos zu einem Skandal. Sie zeigten einen führenden Politiker dabei, wie er seine Kolleg*innen verunglimpfte. Der Beschuldigte, Palanivel Thiagarajan, bezeichnete die Videos als KI-generiert. Forschende stellten jedoch später fest, dass mindestens eines der Videos echt war.
Zensur durch KI?
KI mache auch Zensur ausgefeilter, behauptet Freedom House. Beweise für die direkte Anwendung von KI für Zensur bleibt der Bericht aber schuldig. Allerdings würden in mindestens 21 Staaten Löschanordnungen mit kurzen Fristen Online-Plattformen zum KI-Einsatz zwingen. In Indien gelte beispielsweise ein Gesetz, das soziale Medien dazu verpflichte, KI-gestützte Moderationstools zu verwenden, um etwa die Weiterverbreitung von bereits verbotenen Inhalten zu verhindern. Dem fiel laut Freedom House etwa eine BBC-Doku zum Opfer, die kritisch über die frühere Amtsausübung des jetzigen Premiers Narendra Modi berichtet.
Viel häufiger geht es allerdings auch hier noch komplett ohne KI. So wurden nach Zählung von Freedom House in 41 der 70 untersuchten Staaten Websites aus politischen Gründen blockiert. Das iranische Regime sperrte auch den Zugang zu Whatsapp und Instagram, laut Freedom House die einzigen beiden sozialen Netzwerke, die im Iran bis zu diesem Zeitpunkt erreichbar waren. Unter dem Vorwand der „Blasphemie“ richtete das Regime außerdem zwei Menschen wegen Meinungsäußerungen auf Telegram hin.
Transparenz-Pflicht statt Selbstregulierung
Eine zentrale Einsicht aus vergangenen Kämpfen um Internetfreiheit ist laut Bericht: „Übermäßiges Vertrauen auf die Selbstregulierung privater Unternehmen“ habe zu vielen Bedrohungen der Rechte im digitalen Zeitalter geführt. „Um das freie und offene Internet zu schützen, sollten demokratische Entscheidungsträger – Seite an Seite mit Experten der Zivilgesellschaft aus der ganzen Welt – starke menschenrechtsbasierte Standards für staatliche und nichtstaatliche Akteure festlegen, die KI-Tools entwickeln oder einsetzen.“
Die Regulierung von KI müsse sich an den Prinzipien der Menschenrechte, Transparenz und unabhängigen Aufsicht orientieren.
Die Autor*innen des Berichts stellen auch konkrete Forderungen, etwa an die Europäische Union: Deren AI Act solle sicherstellen, dass Firmen KI-erzeugte Medieninhalte als solche kennzeichnen müssen. Außerdem sollen Unternehmen die Risiken von KI-Anwendungen für Menschenrechte fortlaufend analysieren. Zudem müsse die Verordnung den Einsatz von KI bei Gesichtserkennung, Predictive Policing und der Live-Erkennung biometrischer Daten verbieten.
Netzfreiheit global verschlechtert
Insgesamt habe sich die Internet-Freiheit 2023 nach der Untersuchung von Freedom House zum 13. Mal in Folge verschlechtert, so der Bericht. In 29 der 70 untersuchten Staaten sank der Freiheits-Wert, der anhand eines von Expert*innen ausgefüllten Fragebogens ermittelt wird. In immerhin 20 Staaten stieg der Freiheitswert. Wie in den vergangenen Jahren ist China Schlusslicht, diesmal knapp vor Myanmar. Island ist demnach der Spitzenreiter in Bezug auf Internetfreiheit. Das Internet in Deutschland und den USA ist laut Skala von Freedom House ebenfalls frei.
Laut Bericht von Freedom House leben nur etwa 17 Prozent der Weltbevölkerung in Staaten mit freiem Internet. Jeweils etwa 35 Prozent leben in Staaten mit teilweise freiem und unfreiem Internet. 12 Prozent leben in Staaten, die nicht untersucht wurden.
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Author: Leonhard Pitz