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Geplante Reform: Medienaufsicht soll Pornoseiten den Geldhahn abdrehen dürfen

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Die deutsche Medienaufsicht könnte im Kampf gegen Pornoseiten bald mächtig aufrüsten. Möglich macht es die Reform des Jugendmedienschutzes. Laut Entwurf soll es noch mehr Netzsperren geben – und Zugriff auf den Zahlungsverkehr.

Eine Hand, ein Wasserhahn, der Header der Website Pornhub.
Der Griff nach dem Geldhahn (Symbolbild) – Hand und Hahn: Pixabay; Screenshot: pornhub.com; Montage: netzpolitik.org

Seit Jahren gibt es ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Pornoseiten und der deutschen Medienaufsicht. Die Medienaufsicht will, dass Pornoseiten das Alter ihrer Nutzer:innen rigoros überprüfen. Sie sollen etwa ihren Ausweis vorlegen oder ihr Gesicht biometrisch scannen lassen, bevor sie einen Porno schauen dürfen. Andernfalls drohen den Seiten Netzsperren. Große Pornoseiten wie Pornhub weigern sich aber, ihre Nutzer*innen solch invasiven Kontrollen zu unterwerfen.

Bald könnte sich das Kräfteverhältnis in diesem Katz-und-Maus-Spiel ändern. Die Medienaufsicht handelt nämlich auf Grundlage des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV), und der soll eine Reform verpasst bekommen. Im Entwurf dazu stehen zwei neue, mächtige Werkzeuge.

Erstens soll die Medienaufsicht das Recht bekommen, Pornoseiten den Geldhahn abzudrehen. Konkret heißt es im Entwurf:

Darüber hinaus kann die zuständige Landesmedienanstalt den am Zahlungsverkehr Beteiligten, insbesondere den Kredit- und Finanzdienstleistungsunternehmen, […] die Mitwirkung an Zahlungen für diese Angebote untersagen.

So etwas Ähnliches ist in den USA schon einmal passiert, allerdings nicht auf Anordnung einer Behörde: Im Jahr 2020 haben Visa und Mastercard freiwillig entschieden, keine Zahlungen mehr für Pornhub abzuwickeln. Anlass dafür waren wiederholte Fälle von sexualisierter Gewalt auf der Plattform. Der Rückzug der Zahlungsdienstleister war ein empfindlicher Einschnitt für die Plattform und dürfte eine entscheidende Rolle dabei gespielt haben, dass Pornhub mehrere Millionen nicht-verifizierter Videos gelöscht hat.

Zahlungsdienstleister sind also eine Achillesverse für Pornoseiten, und genau hier könnte die Medienaufsicht künftig ansetzen. Bei großen Plattformen wie Pornhub sind zwar viele Inhalte kostenlos. Geld fließt dennoch, etwa für Werbeanzeigen oder Premium-Angebote. Daran hängt nicht nur die Existenz der Website-Anbieter, sondern auch die von teils prekär beschäftigten Darsteller*innen, die oft als Selbstständige ihre Inhalte auf den Plattformen anbieten.

Ein Gesetz für xHamster

In den Anmerkungen zur geplanten JMStV-Änderung steht: „Die Ergänzung soll insbesondere die Erfahrungen der Landesmedienanstalten bei der Durchsetzung von Maßnahmen gegen Anbieter großer Porno-Plattformen adressieren“. Das heißt: Dieses neue Werkzeug ist eine direkte Folge des Vorgehens gegen Pornoseiten in Deutschland; allen voran Deutschlands einst meistbesuchte Seite xHamster. Man könnte insofern von einem Lex xHamster sprechen – die Auswirkungen könnten freilich weit darüber hinausgehen.

Vor diesem Hintergrund steht auch das zweite neue Werkzeug, das die Medienaufsicht bekommen soll: Sie soll häufiger und einfacher Netzsperren anordnen können. Schon jetzt darf die Medienaufsicht Netzsperren für Pornoseiten erlassen, die sich gegen die vorgeschriebenen Alterskontrollen wehren. Eine Netzsperre bedeutet: Internet-Provider wie Vodafone, 1&1 oder Telekom sollen verhindern, dass Kund*innen eine Website wie gewohnt abrufen können. Um so eine Sperre zu erwirken, muss die Aufsicht derzeit zeitaufwendige Verwaltungsverfahren führen – die teils ins Leere laufen.

So hatte die Pornoseite xHamster die Medienaufsicht im Frühjahr 2022 vorgeführt. Die Aufsicht hatte mit viel Aufwand eine Netzsperre für die Domain „de.xhamster.com“ erwirkt. Doch innerhalb kurzer Zeit änderte xHamster seine Domain zu „deu.xhamster.com“ und die Netzsperre war wirkungslos. Ein solcher Fall könnte sich durchaus wiederholen: Viele große Pornoseiten betreiben mehrere alternative Domains für ihre Angebote. Eine neue Netzsperre gegen Pornhub ist bereits auf dem Weg.

Netzsperren für „inhaltsgleiche“ Angebote

Genau hier setzt das geplante, neue Werkzeug ein. Es bezieht sich auf Angebote, die „mit bereits zur Sperrung angeordneten Angeboten ganz oder im Wesentlichen inhaltsgleich sind“. Für sie soll die Medienaufsicht künftig deutlich einfacher Netzsperren anordnen können – ohne „erneutes aufwendiges Verfahren“, heißt es in den Anmerkungen. Und wieder heißt es dort auch ausdrücklich: Dieses Werkzeug entstand durch „Erfahrungen der Medienanstalten bei der Durchsetzung von Maßnahmen gegen große Porno-Plattformen“.

Netzsperren sind ein scharfes Instrument, ihr Einsatz berührt neben der Netzneutralität auch die Meinungsfreiheit. Als wir im Jahr 2021 über Netzsperren für Pornoseiten berichteten, äußerten sich die netzpolitischen Sprecher der Ampel-Regierung kritisch: Jens Zimmermann (SPD) sprach von „ultima ratio“; Maik Außendorf (Grüne) von der „Büchse der Pandora“. Dennoch waren sich die Abgeordneten einig: Netzsperren könnten ein Druckmittel sein, um Anbieter zur Umsetzung des Jugendschutzes zu bewegen.

Für Beobachter*innen dürfte die geplante Reform nur konsequent sein. Schon im Frühjahr 2022 hatte der Direktor der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen, Tobias Schmid, mehr Befugnisse gegen Pornoseiten gefordert. Schon damals ging es auch um den Geldhahn für Pornoseiten. Offenbar haben diese Forderungen bei der zuständigen Rundfunkkommission der Länder Gehör gefunden.

Die geplante Reform stellt das jahrelange, ergebnislose Vorgehen der Medienaufsicht gegen Pornoseiten in ein neues Licht. Mit Beharrlichkeit kämpfte sich die Medienaufsicht durch zähe Verwaltungsverfahren gegen unter anderem Pornhub und xHamster – nur um Netzsperren zu erwirken, die betroffene Websites quasi mit einem Fingerschnipsen wieder umgehen können. Doch offenbar war es gerade dieser Kampf gegen Windmühlen, der die Grundlage lieferte, um per Reform mächtigere Werkzeuge zu schaffen.

Zweifel an Zuständigkeit der Medienaufsicht

Die geplante Reform des JMStV kommt allerdings auch zur Unzeit: Fachleute wie der Medienrechtler Marc Liesching bezweifeln, dass die deutsche Medienaufsicht überhaupt noch für die Regulierung von ausländischen Pornoseiten wie Pornhub oder xHamster zuständig ist. Liesching ist Professor für Medienrecht und Medientheorie an der Hochschule für für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig.

Aus einer Anmerkung von Liesching zu einem einschlägigen Gerichts-Urteil geht hervor: Grund für den möglichen Wegfall der Zuständigkeit könnte eine für Laien unauffällige, kürzliche Anpassung im deutschen Recht (JMStV) gewesen sein, die sich aufs Zusammenspiel mit dem EU-Recht (AVMD-RL) auswirkt. In der Folge wird demnach das sogenannte Herkunftslandprinzip gestärkt. Und dieses Prinzip besagt: Dienste sollen dort reguliert werden, wo sie auch ihren Sitz haben. xHamster und Pornhub haben Sitze in Zypern, nicht in Deutschland.

Heißt das, die geplanten, neuen Werkzeuge der Medienaufsicht gegen Pornoseiten kommen vielleicht doch nicht zum Einsatz? Die Medienaufsicht betrachtet sich jedenfalls weiterhin als zuständig, wie ein Sprecher gegenüber heise online mitteilte. Letztlich klären müssten das im Zweifel wohl Gerichte.

Und auch die Reform ist zunächst einmal nur ein Entwurf: Bis Dezember können ihn Fachleute und Interessierte im Rahmen der Anhörung kommentieren. Anlass für Debatten dürfte auch ein weiterer Aspekt aus dem Entwurf geben, über den wir bereits im Sommer 2022 berichtet haben: Nach wie vor planen die Gesetzgeber*innen, Jugendschutz neuerdings auch auf Ebene von Betriebssystemen umzusetzen.


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Author: Sebastian Meineck

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