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Gigabit Infrastructure Act: Eine Extrawurst für Deutschland

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Mit dem Gigabit Infrastructure Act will die EU den Breitbandausbau beschleunigen und dabei einheitliche Regeln festschreiben, etwa für die Mitnutzung von Leerrohren. Doch im Gesetz fällt eine Ausnahmeregelung auf, die kleinere deutsche Netzbetreiber schützen soll.

Eine exquisite Wurstsemmel. Dahinter scheint Digitalminister Volker Wissing zu lugen.
Es ist angerichtet: Deutschland bekommt seine Extrawurst im Breitbandbereich. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / CHROMORANGE / Ministerie van Buitenlandse Zaken. Montage: netzpolitik.org

Digitalminister Volker Wissing und seine FDP werden nur selten dafür kritisiert, sich nicht ausreichend für die deutsche Wirtschaft einzusetzen. Derzeit blockiert die Partei etwa im EU-Rat ein eigentlich fertiges EU-Gesetz zu Plattformarbeit. Auch beim Verbrennerverbot trat der wirtschaftsfreundliche Politiker mächtig auf die Bremse, bis er dem Rest der EU seine Ausnahme für E-Fuel-Autos abringen konnte.

Eine praktisch passgenau auf Deutschland zugeschnittene Sonderregelung hat es nun auch in den Gigabit Infrastructure Act (GIA) geschafft. Mit dem als Verordnung angelegten Gesetz will die EU den Breitbandausbau ankurbeln, um die Ziele der „Digitalen Dekade“ zu erreichen – bürokratische Hürden abbauen, mehr Digitalisierung und eigentlich auch einfacherer Zugang zu Leerrohren für alle Marktteilnehmer.

Nun soll letzterer Punkt doch nicht verpflichtend werden. Deutschland setzte im EU-Rat eine Ausnahme durch, offenkundig aus Rücksichtnahme auf kleinere deutsche Anbieter: Demnach müssen Netzbetreiber unter bestimmten Bedingungen ihren Wettbewerbern keinen direkten Zugang zu passiver Infrastruktur gewähren, etwa zu bereits verlegten Leerrohren.

Gleichwohl müssen sie der Konkurrenz zumindest ein Vorleistungsprodukt anbieten, also einen virtuellen Zugang zum Netz, zu diskriminierungsfreien Bedingungen und fairen Preisen. Das soll zugleich regionale Monopole sowie sogenannten Überbau verhindern, bei dem neben einem bestehenden Netz ein neues errichtet wird – was unnötig Zeit wie Geld kostet und volkswirtschaftlich fragwürdig ist.

Maßgeschneiderte Ausnahme

Das Gesetz befindet sich inzwischen auf der Zielgeraden. Anfang der Woche einigten sich EU-Parlament, die EU-Länder und die Kommission grundsätzlich auf der politischen Ebene. Auch wenn einige technische Details und der fertige Gesetzestext noch auf sich warten lassen, steht eines jetzt schon fest: Über die maßgeblich von Deutschland hineinverhandelte Ausnahmeregelung freuen sich hierzulande vor allem die Konkurrenten der Marktführerin Telekom Deutschland.

Seit Jahren werfen sie der Ex-Monopolistin vor, strategisch ihre Netze zu überbauen, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Verpflichtende Mitnutzungsrechte von Leerrohren könnten das Problem verstärken, fürchten sie. Wie gravierend das Problem wirklich ist und ob hier jemand schmutzig spielt, wird derzeit systematisch untersucht.

„Immerhin hat das Engagement der deutschen Bundesregierung und einzelner Mitglieder des EU-Parlaments dafür gesorgt, dass der GIA keine Regelung erhält, die das akute Problem des strategischen Doppelausbaus von Glasfasernetzen weiter verschärfen würde“, sagt Stephan Albers, Geschäftsführer des Bundesverbands Breitbandkommunikation (BREKO). Der Verband vertritt hunderte Wettbewerber der Ex-Monopolistin, viele davon sind hauptsächlich regional tätig – im Übrigen eine Besonderheit, die den deutschen Telekommunikationsmarkt im Vergleich zu anderen EU-Ländern auszeichnet.

Doch auch die scheinbar kleineren Anbieter haben Macht, wenn sie an einem Strang ziehen: Mit der Absichtserklärung, in den kommenden Jahren insgesamt rund 50 Milliarden Euro in den Gigabit-Ausbau zu stecken, rannten sie bei Wissing offene Türen ein. Auch der Minister steht unter Druck, ähnlich hochgesteckte Ausbauziele wie die EU zu erreichen – und machte sich daraufhin für die deutsche Sonderregelung in Brüssel stark.

Digitalministerium sorgt sich um Investitionen

Tatsächlich strömten in den vergangenen Jahren viele Investoren in den neuen deutschen Glasfasermarkt. Zum einen gibt es hierzulande besonders großen Nachholbedarf. Zum anderen versprechen sich die Geldgeber zwar moderate, aber langfristige Rendite von dem Marktanteil, den sie sich jetzt sichern wollen. Zuletzt mehrten sich jedoch die Anzeichen, dass die Dynamik abflacht. Mehr Verunsicherung konnte oder wollte Wissing dem Markt offenbar nicht zutrauen. Im EU-Rat soll er sogar mit einem Veto gedroht haben, sollte das Gesetz keine Investitionsschutzklausel enthalten.

„Für uns ist es wichtig, dass unter dem GIA Investitionsanreize für den Glasfaserausbau erhalten bleiben“, sagt ein Sprecher des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV). Unternehmen, die Gebiete erstmalig mit Glasfaser erschließen wollen, sollten dem BMDV nach nicht zwangsläufig verpflichtet sein, Wettbewerbern Zugang zu ihrer physischen Infrastruktur zu gewähren – solange sie alternativ auch aktive Zugangsprodukte anbieten, beispielsweise mittels Bitstrom-Zugang, einem in Deutschland gängigen Vorleistungsprodukt.

Hier spielt noch eine weitere deutsche Besonderheit hinein: „Anders als in vielen anderen Mitgliedstaaten sind in Deutschland Leerrohrkapazitäten nicht in ausreichendem Umfang vorhanden, sodass die Glasfaser häufig nur mit kostenintensiven Tiefbauarbeiten zum Kunden verlegt werden kann“, sagt der BMDV-Sprecher. „Wir wollen, dass sich diese Investitionen für den First Mover gerade in wirtschaftlich weniger attraktiven Gebieten lohnen.“ Zumindest beim BREKO ist die Botschaft angekommen: Die GIA-Regelung sende laut Albers „ein wichtiges Signal in den Markt: Glasfasernetze sind weiterhin eine zukunftssichere Investition!“

Parlament hatte Kostenfalle Telefonie im Blick

Gegenteilig sieht das die Telekom Deutschland. Wie das BMDV will sich das Unternehmen vorerst nicht zu Details der GIA-Einigung äußern, solange nicht der offizielle Text vorliegt. Doch „nach den bekannten groben Eckpunkten ist unsere grundsätzliche Einschätzung als größter europäischer TK-Netzbetreiber und -investor, dass hier eine Chance vergeben wurde, den Ausbau in Europa durch EU-weite Harmonisierungen entscheidend voranzubringen“, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit.

Ebenfalls wenig angetan vom Kompromiss ist der Grünen-Abgeordnete Niklas Nienaß, der als Vertreter seiner Fraktion mit am Verhandlungstisch saß: „Meine Begeisterung hält sich in Grenzen“, sagt der EU-Parlamentarier. Eine einheitliche Lösung für die gesamte EU wäre ihm lieber gewesen, letztlich aber sei der Widerstand Deutschlands und von Ländern wie Italien im EU-Rat zu stark gewesen. Vor allem aber wollte sich das Parlament einen großen Erfolg nicht wegnehmen lassen: Den künftigen Wegfall zusätzlicher Telefoniekosten im EU-Ausland für sogenannte Intra-EU-Anrufe – ein Punkt, der im ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission nicht enthalten war und den das Parlament mit aller Kraft hineinreklamierte.

Ein Schritt zu mehr Open Access?

Wie sich die Ausnahmeregelung auf den hiesigen Ausbau auswirken wird, bleibt vorerst offen. Sie könnte aber dazu führen, dass sich quasi durch die Hintertür vermehrt der Open-Access-Ansatz auf dem Markt etabliert. Hierbei baut ein Netzbetreiber die physische Infrastruktur und bietet anschließend diskriminierungsfreie Zugänge für andere Anbieter an – im Grunde also das, was Wissing im GIA durchgeboxt hatte. Der Wettbewerb würde dann nicht mehr um die Netze selbst stattfinden, sondern sich auf die Netze und die Dienste-Ebene verlagern.

Das Open-Access-Zugangsmodell, das sich beispielsweise in Schweden seit Jahrzehnten bewährt, wird auch hier regelmäßig in unterschiedlicher Intensität gefordert. Bislang wollte sich aber noch keine deutsche Regierung zu dem Modell bekennen und es verpflichtend einführen. Selbst der Begriff an sich ist umstritten, derzeit ringt etwa das vom BMDV ins Leben gerufene Gigabitforum um einen längst überfälligen Statusbericht, der Prinzipien eines marktweiten Open Access festschreiben soll.

So will auch der BMDV-Sprecher den Begriff nicht in den Mund nehmen, wenn es um die GIA-Ausnahmeregelung geht, trotz aller damit verbundener Auflagen: „Von wesentlicher Bedeutung ist, dass der Zugang fair und angemessen ist“, sagt der Sprecher und fügt hinzu: „Der Begriff ‚Open Access‘ ist im Telekommunikationsrecht nicht fest definiert.“

Aus Sicht der Telekom Deutschland, die als Ex-Monopolistin asymmetrischer und damit besonders strenger Regulierung inklusive Zugangsverpflichtungen unterliegt, macht dies keinen sonderlich großen Unterschied. So müsse schon heute einzig die Telekom ihre Leerrohre für Wettbewerber öffnen, sagt die Unternehmenssprecherin – was ihnen den Überbau von Telekom-Netzen erleichtern würde. Auch Open Access gebe es schon längst in Deutschland, gelte aber bloß für die Marktführerin. „Der Wille zu verbindlichen Standards für die gesamte Branche ist bei den Wettbewerbern bisher nicht vorhanden“, sagt die Sprecherin.


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Author: Tomas Rudl

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