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Die Bundesregierung hatte im Koalitionsvertrag versprochen, gemeinnützigen Journalismus zu ermöglichen. Doch bei der aktuellen Reform der Gemeinnützigkeit stockt es damit. Das wäre ein fataler Fehler für unsere Demokratie, kommentiert David Schraven.
Gemeinnütziger Journalismus wäre gerade für ländliche Räume wichtig, aus denen sich kommerzielle Medien zurückziehen. – Public Domain midjourney (countless hands lifting up a stack of newspapers)Die Bundesregierung droht einen gewaltigen Fehler zu machen, wenn sie den gemeinnützigen Journalismus nicht – wie im Koalitionsvertrag versprochen – einführt. Der gemeinnützige Journalismus ergänzt Angebote dort, wo mit der Öffentlichkeit kein Geld mehr verdient werden kann. Bürger können mit ihren Spenden Projekte ermöglichen, die es sonst nicht geben würde.
Das ist vor allem für den ländlichen Raum wichtig. Gerade in Regionen, in denen der Markt keine Medienangebote mehr garantieren und der öffentlich-rechtliche Rundfunk keine Landesstudios errichten kann, droht die öffentliche Debatte zusammenbrechen. Mit allen Konsequenzen für die Demokratie.
Derzeit diskutiert die Bundesregierung in einer Arbeitsgruppe auf Ebene der Staatsekretäre mit Beteiligung aus den Ministerien für Finanzen, Wirtschaft und Familie über eine Reform der Gemeinnützigkeit.
Anlass für die Initiative ist das Jahressteuergesetz 2023. In diesem Rahmen soll die Gemeinnützigkeit bis zum Beginn des kommenden Jahres angepasst werden.
Medienstaatssekretärin nicht involviert
Wie aus der Runde der Staatssekretäre zu hören ist, soll es möglichst schnell gehen. Der E-Sport – also ein großer Teil der Videospiel-Industrie – ist als neuer gemeinnütziger Zweck wohl gesetzt. Der Journalismus aber noch nicht.
Die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, ist auch noch nicht in die Diskussionen involviert. Und das ist tragisch. Denn Roth ist dafür zuständig, dass der Journalismus gemeinnützig wird, so wurde es im Koalitionsvertrag festgelegt.
In der Vergangenheit gab es im Hause Roth eine Anhörung zum gemeinnützigen Journalismus. In diesem Kreis haben sich Vertreter der Gewerkschaften, der Unis, von Stiftungen und des Forums gemeinnütziger Journalismus klar für die Gemeinnützigkeit ausgesprochen. Lediglich die Vertreter der Großverlage in Deutschland haben gegen die Neuerung protestiert.
Nach diesem ersten Treffen ist allerdings aus dem Hause Roth wenig zum gemeinnützigen Journalismus gekommen. Die Diskussion wurde nicht vorangetrieben. Und offenbar sind auch die Ergebnisse der Diskussion nicht an die Staatssekretär-Runde weitergereicht worden.
Der ländliche Raum geht leer aus
Wird Claudia Roth nun in der Debatte um die Reform der Gemeinnützigkeit übergangen, wird es so bald keine Stärkung im Journalismus geben. Stattdessen werden weitere Medienprojekte gerade im ländlichen Raum eingehen – und Ersatz wird nicht entstehen.
Das wäre tragisch. Denn der gemeinnützige Journalismus setzt da an, wo der Markt versagt, aber er ersetzt nicht etablierte Zeitungshäuser. Der gemeinnützige Journalismus steht nicht im Wettbewerb. Er ergänzt Angebote dort, wo mit der Öffentlichkeit kein Geld mehr verdient werden kann. Zum Beispiel im ländlichen Raum: Dort verschwinden derzeit Redaktionen aus vielen Städten und Gemeinden. Hier könnten gemeinnützige Medienvereine mit Spenden von Bürgern neue Lokalangebote entwickeln. Dies ist unter derzeitiger Rechtslage nicht möglich.
Berücksichtigt die Bundesregierung den gemeinnützigen Journalismus nicht im Steuergesetz, werden SPD, Grüne und FDP unmittelbar vor dem Superwahljahr 2024 einen neuen Konflikt aufreißen. Denn das Sterben der Lokal-Medien ist mitursächlich für die Krise der Demokratie, gerade im ländlichen Raum.
Wo Lokalmedien schwächeln, leidet das Ehrenamt, blüht die Korruption und die Misswirtschaft, dafür geht die Beteiligung an der Gesellschaft zurück. Das Misstrauen in die Institutionen wächst. Das haben etliche Studien belegt. Zuletzt eine Studie von Stephan Weichert und Leif Kramp für die Otto-Brenner-Stiftung.
Den Koalitionsvertrag umsetzen
Sollte sich die Bundesregierung entscheiden, den Koalitionsvertrag nicht umzusetzen und den gemeinnützigen Journalismus zu ignorieren, wird sie einen neuen Keil zwischen die privilegierten Zentren und die vernachlässigten ländlichen Räume treiben, in denen kein Ersatz für wegbrechende Medien geschaffen werden kann.
Diesen Konflikt werden Demokratiefeinde zu nutzen wissen. Es ist ein fataler Irrtum zu glauben, wenn es keinen gemeinnützigen Journalismus gibt, würden Demokratiefeinde auf Medienangebote verzichten. Im Gegenteil: Sie werden die Lücken mit nicht-journalistischen Angeboten füllen, die sich weder an den Pressekodex noch an die Transparenzrichtlinien halten. Zu diesen hohen Standards bekennt sich kein Feind der Demokratie, dafür aber der gemeinnützige Journalismus.
Sollte die Bundesregierung den Koalitionsvertrag nicht erfüllen, würden SPD, Grünen und FDP zu den Totengräbern einer vielfältigen Gesellschaft im ländlichen Raum.
Ergänzung statt Wettbewerbsverzerrung
Der gemeinnützige Journalismus unterscheidet sich dabei grundsätzlich von Subventionen wie der Zustellförderung. Denn die Bürger entscheiden selbst mit ihren Spenden, was existieren kann und was nicht. Der gemeinnützige Journalismus muss sich diesem Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage stellen, um bestehen zu können. Er ist damit der liberalste mögliche Eingriff in einen nicht mehr funktionierenden Markt.
Dabei greift der gemeinnützige Journalismus auf ein sehr erprobtes Rechtssystem zurück. Das Gemeinnützigkeitsrecht definiert für Krankenhäuser schon lange, wie profitorientierte und gemeinnützige Hospitäler nebeneinander existieren und sich ergänzen können. Das gleiche gilt für Wohlfahrtsbetriebe und Sportvereine.
Die angebliche Wettbewerbsverzerrung durch gemeinnützige Journalismusunternehmen ist vorgeschoben, wie die bereits seit langem existierenden Pioniere des gemeinnützigen Journalismus in Deutschland zeigen. Es wird nichts verzerrt, sondern nur ergänzt. Das Wissen der Pioniere muss nun mit der Gesetzänderung in die Fläche gebracht werden, damit sich im ländlichen Raum Ersatzangebote entwickeln können.
Ich appelliere an die Staatssekretäre, die zur Reform des Gemeinnützigkeitsrecht tagen, den Koalitionsvertrag ernst zu nehmen und den gemeinnützigen Journalismus umzusetzen.
David Schraven ist Publisher bei Correctiv und Vorstand des Forums Gemeinnütziger Journalismus. Der Verein, in dem sich auch netzpolitik.org engagiert, setzt sich für bessere Rahmenbedingungen für den gemeinnützigen Journalismus in Deutschland ein.
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Author: Gastbeitrag