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Kriminalprävention: Wie Minderjährige unter Kinderpornografie-Verdacht geraten

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Bei „Kinderpornografie“ denken die wenigsten Menschen an zwei Teenager, die sich über ihre Smartphones Nacktfotos voneinander senden. Im Interview spricht Thomas-Gabriel Rüdiger über solche Fallkonstellationen minderjähriger Tatverdächtiger und erklärt, warum automatisierte Scans die Gefahr erhöhen, dass noch mehr Jugendliche unter „Kinderpornografie“-Verdacht geraten.
Wie sich eine KI ein Sexting-Bild vorstellt (Ausschnitt, Diffusion Bee)Es ist ein durchaus realistisches Szenario: Eine 14-Jährige versendet ein intimes Foto ihres erst 13-jährigen Freundes über einen Messenger in den Klassen-Chat, vielleicht aus Ärger über im Streit Gesagtes, vielleicht nur aus Versehen. Rein rechtlich gesehen ist nicht nur der Besitz des Fotos, sondern auch der Versand eine Straftat. Die 14-Jährige, ihr Freund, aber auch alle Teilnehmer des Klassen-Chats, eventuell auch weitere Personen, die beispielsweise automatisiert Kopien erhalten, wären nun vom Strafrecht der sogenannten „Kinderpornografie“ erfasst und potentielle Verbrecher.
Die Große Koalition aus CDU, CSU und SPD ist für strafrechtliche Verschärfungen im Bereich sogenannter „Kinderpornografie“ verantwortlich. Besonders kritisch ist dabei der § 184b Strafgesetzbuch (StGB). Er wurde 2021 dahingehend geändert, dass die Verbreitung und der Besitz „kinderpornografischer Inhalte“ zum Verbrechen hochgestuft wurde. Es droht eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr. Seither müssen Staatsanwälte in jedem Verdachtsfall ermitteln, unabhängig davon, ob ein intimes Foto einvernehmlich entstanden oder verschickt worden ist oder nicht.
Auf der Herbstkonferenz der Landesjustizminister im vergangenen Jahr war man sich bereits einig, die Verschärfung wieder rückgängig machen zu wollen. Die Bundesregierung gibt an, das Gesetz noch in diesem Jahr verbessern zu wollen.
Doch bis zu einer Änderung betreffen die Delikte von „Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte“ nach Polizeiangaben zu einem großen Anteil die Falschen (€), nämlich viele minderjährige Verdächtige. Das BKA versucht seit vergangener Woche, mit der Informationskampagne #dontsendit über die Rechtslage zu informieren und Eltern und Kinder zu sensibilisieren.
Wir haben mit Thomas-Gabriel Rüdiger über minderjährige Tatverdächtige im Zusammenhang mit Paragraph 184b StGB gesprochen. Prof. Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger ist Leiter des Instituts für Cyberkriminologie an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Er forscht und arbeitet zu digitalen Formen der Polizeiarbeit und digitalen Straftaten. Er sprach bereits im vergangenen Jahr in einem Interview mit netzpolitik.org über das Deliktfeld „kinderpornografische Inhalte“ und „sexueller Kindesmissbrauch“ sowie über minderjährige Tatverdächtige bei „Kinderpornografie“-Fällen.
Rüdiger verweist auf die Gefahr, die von automatischer Bilderkennung ausgeht, etwa bei aktuellen EU-Plänen. Die geplante EU-Verordnung zur Chatkontrolle, die sich eigentlich gegen sexuelle Gewalt gegen Kinder richten soll, umfasst eine neue Form anlassloser Massenüberwachung, die automatisierte Scans einsetzt. Dadurch könnten die Fallkonstellationen mit Selbstaufnahmen von Minderjährigen zunehmen.
Was Minderjährige in die Strafbarkeit bringt
netzpolitik.org: Das BKA möchte Minderjährige mit der Kampagne #dontsendit für die Strafbarkeit bei pornografischen Inhalten sensibilisieren. Welche Altersgruppe ist besonders betroffen von den angedrohten Strafen?
Rüdiger: Ich betreibe zwar keine Sanktionsforschung, aber ich halte es persönlich für richtig und relevant, dass der Staat, wenn er Delikte unter Strafe stellt, hierüber auch aufklärt. Minderjährige müssen zumindest die Möglichkeit erhalten, überhaupt zu wissen, dass man sich strafbar machen kann. Es wissen meiner Erfahrung nach selbst viele Erwachsene nicht genau, was hier strafbar ist. Das zeigt beispielsweise der aktuelle Fall einer Lehrerin.
netzpolitik.org: Was ist praktisch der typische Fall, der Minderjährige in die Strafbarkeit bringt?
Rüdiger: Hier muss differenziert werden. Zunächst zeigt die Polizeiliche Kriminalstatistik tatsächlich leicht schwankend einen Anteil zwischen 40 bis 50 Prozent minderjährige Tatverdächtige bei § 184b StGB über das Tatmittel Internet. Wie sich diese Zahlen genau zusammensetzen, ist aber gar nicht so klar.
So gibt es minderjährige Tatverdächtige, die Abbildungen von sexuellem Kindesmissbrauch im Internet suchen, besitzen und auch in Chats teilen. Dann haben wir auch minderjährige Tatverdächtige, die beispielsweise Cybergrooming betreiben, über das sie kindliche Opfer zur Anfertigung entsprechender Medien bringen. Beispielsweise wenn ein 17-Jähriger auf eine 11-Jährige einwirkt und diese dann beispielhaft erpresst, damit sie ihm intime Bilder und Videos von sich sendet. Cybergrooming ist ein riesiges Problem. Diese Tatgruppierungen würde ich eher als klassische Delikte bezeichnen, da hier mit Unrechtsgehalt gehandelt wird.
netzpolitik.org: Die Präventionsvideos der aktuellen BKA-Kampagne stellen aber andere Fallkonstellationen dar. Welche sind das?
Rüdiger: Die Präventionsvideos spielen auf Fallkonstellationen an, bei denen es schwerfällt, überhaupt von Delikten zu sprechen. Wenn beispielsweise SchülerInnen Teil eines Schulchats sind und jemand dort entsprechendes Material – auch gegen den Willen der TeilnehmerInnen – postet und diese nicht den automatischen Download ausgeschaltet haben, lädt sich das Material auf deren Smartphones herunter. In diesem Moment kann bereits der Anfangsverdacht für eine Besitzstrafbarkeit von § 184b StGB für die TeilnehmerInnen entstehen, was allein zu einer immens hohen Anzahl von Ermittlungen führen dürfte.
Sexting unter Minderjährigen
netzpolitik.org: Ist das sogenannte Sexting unter Minderjährigen eine weitere Fallkonstellation?
Thomas-Gabriel Rüdiger, Leiter des Instituts für Cyberkriminologie, Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg.
Rüdiger: Ja. Unter Sexting kann der Austausch von intimen Selbstaufnahmen und Chats verstanden werden. Das ist etwas, das gegenwärtig vermutlich in allen Altersstufen stattfindet. Aber auch Minderjährige betreiben Sexting. Vor allem bei ihnen ist Sexting sowohl von den persönlichen als auch von den strafrechtlichen Auswirkungen besonders riskant. Wenn ein 13-jähriges Kind von sich ein intimes Video oder Bild herstellt, dann kann hier juristisch gesehen ein „kinderpornografischer Inhalt“ entstehen, ein Verbrechenstatbestand. Dieses Material darf man aber nicht anfertigen, auch nicht besitzen oder weiterverbreiten – und damit beispielsweise auch nicht an die 14-jährige Freundin oder den Freund senden, da auch sie sich damit strafbar machen würden.
Nur welche Kinder oder auch Jugendlichen wissen darüber wirklich Bescheid? Daher sollte zumindest über diese Risiken des Sextings mit Minderjährigen gesprochen und aufgeklärt werden.
netzpolitik.org: Was bedeuten Ermittlungen wegen solchen „kinderpornografischen Inhalten“ für Betroffene?
Rüdiger: Viele bedenken nicht, dass bereits die Einleitung von polizeilichen Ermittlungen wegen eines solchen Vorwurfs für die Betroffenen eine sehr belastende und gegebenfalls auch sozial ausgrenzende Erfahrung sein kann – vor allem dann, wenn sie eigentlich nichts gemacht haben. Als Gesellschaft müssen wir uns fragen, ob es wirklich das ist, was auch unter diesem Tatbestand erfasst werden soll.
netzpolitik.org: Droht mit automatisierten Bild-Scans, etwa bei der geplanten EU-Verordnung zur Chatkontrolle, die Gefahr, dass noch mehr Minderjährige unter Verdacht geraten könnten?
Rüdiger: Sollte beispielsweise ein automatisierter Scan gerade in Sozialen Medien, Messenger und Co. auch nach neuem Material erfolgen, kann es passieren, dass wir vermehrt Fallkonstellationen von Selbstaufnahmen von Minderjährigen erleben werden. Beispielsweise wenn ein 13-jähriges Kind von sich eine intime Aufnahme macht, auch wenn sie diese nicht versendet, und nicht daran denkt, dass ihre Medien in der Cloud gesichert werden. Die Polizei wird dann in der jetzigen rechtlichen Konstellation immer Ermittlungen einleiten müssen, da es sich um Verbrechenstatbestände handelt und sie ja den Hintergrund der Aufnahme nicht kennt.
Ein Fall aus den USA zeigt die Gefahr der geplanten Chatkontrolle

Überarbeitung angekündigt
netzpolitik.org: Sie regten an, dass der § 184b StGB anders gefasst werden sollte. Was schlagen Sie vor?
Rüdiger: Ich habe keinen eigenen konkreten Vorschlag. Mir geht es aber darum, dass wir beim § 184b StGB unterscheiden müssen zwischen Abbildungen, die aus schwersten Gewalt- und Missbrauchsprozessen an wehrlosen Kindern entstehen, und solchen, die beispielsweise zwei 13-Jährige von sich selbst im Rahmen von Sexting oder ein Kind ganz allein für sich auf dem Smartphone angefertigt haben. Diese Fälle sollten nicht gleich behandelt werden.
Zudem halte ich es für notwendig, dass es staatliche Mechanismen gibt, diese Delikte zur Anzeige zu bringen, ohne sich selbst der Gefahr eines Strafverfahrens auszusetzen. Selbst die aktuelle Diskussionen über die Reform greift hier zu kurz, da erst die Staatsanwaltschaft wieder Handlungsspielraum erhält, nicht aber die Polizei. Daher hier auch der Hinweis: Niemals ohne Rücksprache mit der Polizei von solchen Medien in irgendeiner Form einen Screenshot – auch nicht zur Dokumentation – anfertigen oder es sich weiterleiten lassen!
Es muss möglich sein, dass ein Gesetz geschaffen wird, das all jene angemessen bestraft, die schwerste Delikte begehen, das aber nicht die dargestellten Konstellationen erfasst. Denn dies bindet auch dringend notwendige Ressourcen, um zum Beispiel effektiv gegen Cybergrooming und vernetzte TäterInnen vorzugehen. Entsprechend bin ich auf die angekündigte Überarbeitung des Gesetzes gespannt.

CSAM
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netzpolitik.org: Halten Sie #dontsendit und die Kampagnenvideos für zielgruppengeeignet?
Rüdiger: Ich halte es für wichtig und richtig, über diese Themen aufzuklären. Dass hier auf Social Media gesetzt wird, ist für mich auch ein nachvollziehbarer und richtiger Weg. Man wird am Ende aber nicht alle erreichen, deswegen müssen wir diese Themen in den Schulen behandeln – altersangemessen, aber durch eine verpflichtende Vermittlung von Medienkompetenz.
Übrigens müssen wir alle Erwachsenen, aber vor allem auch Eltern und beispielsweise LehrerInnen handlungssicher machen, wenn Entsprechendes im Schulchat oder woanders passiert. Das halte ich persönlich für eine wichtige Form der digitalen Kriminalprävention.
netzpolitik.org: Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen!

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Author: Constanze

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