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Medienfreiheitsgesetz: EU-Parlament will nur noch betreutes Löschen für Musk und Zuckerberg

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Das Europäische Parlament will am Dienstag seine Position zum Europäischen Medienfreiheitsgesetz beschließen. Der Vorschlag enthält auch neue Vorgaben zum Verhältnis von Online-Plattformen und Medien. Es ist nicht der einzige Streitpunkt zwischen Parlament und Mitgliedstaaten, es geht auch um das staatliche Hacken.
Das EU-Parlament beschließt am 3. Oktober seine Position zum Europäischen Medienfreiheitsgesetz (Symbolbild). – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Panama PicturesOrban, Kaczyński, Zuckerberg, Musk. Diese ungewöhnliche Quadriga wird die morgige Abstimmung im EU-Parlament zum Europäischen Medienfreiheitsgesetz (EMFA) vermutlich genau verfolgen. Denn die Verordnung enthält neben Pflichten für die EU-Staaten auch neue Vorgaben für sehr große Online-Plattformen. Das ist aber nicht der einzige zu erwartende Streitpunkt in den anstehenden Verhandlungen zwischen Parlament, Mitgliedstaaten und EU-Kommission.
Vor etwa einem Jahr hat die EU-Kommission den EMFA vorgeschlagen. Er soll die Pressefreiheit in der EU schützen – einerseits vor Staaten wie Ungarn, Polen und Griechenland, wo kritische Journalist*innen aus staatlich finanzierten Medien behindert oder gleich mit Staatstrojanern überwacht werden. Andererseits sollen journalistische Beiträge auch vor der Willkür von Facebook und Co. geschützt werden. Hier macht der morgen abzustimmende Vorschlag aus den Parlamentsausschüssen einen weitreichenden Vorschlag: Plattformen sollen journalistische Inhalte nicht mehr einfach einschränken oder entfernen können.
Sonderstatus: Anerkanntes Medium
Nach Artikel 17 des Vorschlags bekommen Medienanbieter auf sehr großen Online-Plattformen, den sogenannten VLOPs, eine Art Sonderstatus. Dafür müssen sie unter anderem erklären, dass sie unabhängig von Regierungen sowie Parteien sind und generative KI nur mit redaktioneller Aufsicht einsetzen. Falls die VLOPs einem Medium diesen Status nicht zugestehen, entscheidet die nationale Medienaufsicht oder ein Selbstregulierungsgremium wie der deutsche Presserat.
Will nun etwa Facebook oder Twitter (jetzt X) den Inhalt eines solchen anerkannten Medienanbieters einschränken, muss die Plattform diesen 24 Stunden vor der Löschung informieren und die Einschränkung explizit mit der entsprechenden Stelle seiner AGBs begründen. Legt der Medienanbieter Einspruch ein, entscheidet wieder die zuständige nationale Aufsicht. Petra Kammerevert (SPD), die den Entwurf mitverhandelt hat, sagt dazu auf Anfrage von netzpolitik.org: „Meiner Meinung nach darf es nicht eine Online-Plattform wie Facebook oder Twitter sein, die letztlich darüber entscheidet, welche Medien Menschen in der EU sehen dürfen und welche nicht.“
„Nicht mit weniger zufrieden geben“
Mit seiner Position zu Artikel 17 geht das Parlament deutlich weiter als der Ministerrat der EU. In diesem sind die Mitgliedstaaten vertreten. Die Position des Ministerrats sieht zwar ebenfalls vor, dass die VLOPs Medienanbieter über die geplante Löschung ihres Inhalts informieren, belässt die letzte Entscheidung aber bei den Plattformen selbst.
Der Deutsche Journalistenverband DJV kritisiert beide Vorschläge. Am ehesten sei noch der Entwurf des Kultur-Ausschusses des Parlaments mit der Presse- und Rundfunkfreiheit vereinbar. Im Vergleich zum Ratsentwurf und zum Kommissionsentwurf gewähre dieser den weitestgehenden Schutz, schreibt der DJV in einer Stellungnahme. „Allerdings darf auch hier die VLOP journalistische Inhalte erst einmal wegen AGB-Verstößen beschränken oder sperren. Der Mediendiensteanbieter trägt außerdem die Beweislast, und man fragt sich, wie dieser Beweis zu erbringen sein soll.“
Mehrere europäische Medienverbände zeigten sich in einem offenen Brief zufriedener mit dem Vorschlag aus dem Parlament. Dieser verschaffe Medienanbietern zumindest grundlegende Schutzvorkehrungen vor willkürlicher Einflussnahme durch die VLOPs. Die Organisationen, darunter der European Publishers Council und die European Federation of Journalists warnen aber: „Das Europäische Parlament darf sich nicht mit weniger zufrieden geben, weder im Plenum noch im Trilog.“
Letzterer kann direkt nach einer Einigung im Parlamentsplenum starten. In einem Trilog verhandeln die zuständigen Personen aus Rat, Parlament und Kommission über den finalen Text. Neben den unterschiedlichen Vorstellungen zu Plattformregulierung sind jetzt schon weitere Streitpunkte absehbar.
Staatstrojaner gegen Journalist*innen
Der größte Brocken in den Verhandlungen dürfte das Hacken von Journalist*innen sein. Eigentlich sollte das Europäische Medienfreiheitsgesetz Journalist*innen vor staatlicher Überwachung schützen, auch damit die Kommunikation mit Hinweisgeber*innen nicht abgehört werden kann. Dass strengere Regeln hier bitter notwendig sind, zeigte sich vor allem durch die Erkenntnisse rund um Pegasus und Predator. Mit den beiden Staatstrojanern haben Behörden unter anderem in Ungarn und Griechenland Journalist*innen ausspioniert.
Die EU-Staaten wollen sich beim Hacken von Journalist*innen jedoch nicht reinreden lassen. Frankreich wollte in den Verhandlungen im Ministerrat zuerst eine generelle Ausnahme für das Hacken und Überwachen von Journalist*innen aus Gründen der „nationalen Sicherheit“. Letztlich schaffte es die Formulierung eines „übergeordneten öffentlichen Interesses“ in den aktuellen Ratsvorschlag. Ein solche Formulierung gilt bereits in Frankreich und wird dort stark kritisiert, etwa als vor kurzem der französische Inlandsgeheimdienst die Wohnung und Geräte einer französischen Investigativjournalistin durchsuchte.
Absoluter Schutz oder Blankoscheck?
Auch das Parlament schließt das Hacken von Journalist*innen nicht aus. Allerdings setzt es Durchsuchungen und Staatstrojanern strengere Grenzen. Solche Maßnahmen seien nur zulässig, wenn sie nicht im Zusammenhang mit der Arbeit eines Medienanbieters stünden und „nicht im Zugang zu journalistischen Quellen resultieren“. Laut Kammerevert sei das ein sehr guter Kompromiss. „Und diesen gilt es nach der Plenarabstimmung mit aller Kraft in den Verhandlungen mit dem Rat zu verteidigen.“
Ursprünglich hätten sie und die sozialdemokratische Fraktion einen absoluten Schutz journalistischer Quellen vorgeschlagen. „Im für diesen Textteil zuständigen Innenausschuss haben vor allem die Konservativen vehement versucht, den Schutz zu verwässern.“ Die CDU-Abgeordnete Sabine Verheyen, Berichterstatterin für den EMFA, sagte auf einer Pressekonferenz zu dem Parlamentskompromiss: „Wir können nicht jedem Individuum, was journalistische Arbeit macht, einen Blankoscheck in allen Lebenslagen und Situationen bezüglich Rechtsstaatlichkeit ausfüllen.“ Sie verweist vor allem auf den Richtervorbehalt, der beim Ausspähen und Durchsuchen von Journalist*innen immer greife.
Über 80 zivilgesellschaftlichen Organisationen geht dieser Schutz allerdings nicht weit genug. Sie fordern ein bedingungsloses Verbot des Einsatzes von Spionagesoftware gegen Journalist*innen. „Spyware ist ein mächtiges Werkzeug, das die journalistische Arbeit, die Meinungsfreiheit und letztlich die demokratischen Werte gefährdet. Die Fähigkeit von Spyware, auf alle Daten zuzugreifen und die volle Kontrolle über ein Gerät zu übernehmen, kann technisch nicht eingeschränkt werden“, warnen die Unterzeichner*innen, darunter European Digital Rights, der Chaos Computer Club und viele weitere Organisationen. Sei das Gerät eines Journalisten einmal infiziert, würde die Behörden nichts davon abhalten, Daten abzugreifen, die im Zusammenhang mit der journalistischen Arbeit stehen.
Weiterer Knackpunkt: Öffentlicher Rundfunk
Als weiterer Streitpunkt im Trilog werden auch immer wieder die Gesetzespassagen zum öffentlichen Rundfunk genannt. Auch für diesen schreibt der EMFA neue Regeln vor. Einig ist man sich beispielsweise, dass die Ernennung und Abberufung der obersten Führungsebene transparent und gesetzmäßig erfolgen müssen. Darüber hinaus fordert das EU-Parlament unabhängige Strukturen, die auf nationaler Ebene den Finanzbedarf des öffentlichen Rundfunks feststellen. Das soll anhand transparenter, unparteiischer, objektiver und gesetzlich festgeschriebener Regeln geschehen. Dies entspräche in Deutschland der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Eigentlich liegt der öffentlich Rundfunk in der alleinigen Kompetenz der Mitgliedstaaten, so haben diese es im sogenannten Amsterdamer Protokoll von 1997 festgehalten. Die Sorge vor einer Kompetenzüberschreitung der EU begleitet den EMFA von Anfang an. Die deutschen Bundesländer hatten etwa im letzten Dezember gerügt, dass der Vorschlag der Kommission nicht dem Subsidiaritätsprinzip entspreche.
Ambitionierter Zeitplan
Trotz der vielen offenen Punkte haben sich Rat und Parlament einen ambitionierten Zeitplan gesteckt. Laut Sabine Verheyen (CDU) peile die spanische Ratspräsidentschaft die Finalisierung beim Trilog Ende November an, die EU-Abgeordnete selbst sprach von Februar als Deadline.
Die Eile hat auch mit dem politischen Kalender des nächsten Jahres zu tun. Im Juni wird ein neues Parlament gewählt, die politischen Mehrheiten könnten danach wieder ganz anders liegen. Zudem übernimmt im Juli 2024 Ungarn die Ratspräsidentschaft, danach ist Polen dran. Von beiden Ländern ist wenig Engagement für Pressefreiheit zu erwarten. Sie gelten als Begründung, warum es den EMFA überhaupt braucht.

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Author: Leonhard Pitz