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Mobilitätsdatengesetz: Mit Datenoffenheit zur Verkehrswende

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Das Mobilitätsdatengesetz der Bundesregierung soll die Verkehrswende vorantreiben – hin zu mehr Vernetzung und Nachhaltigkeit. Damit das Gesetz das volle Potenzial von Mobilitätsdaten jedoch freisetzen kann, muss es Daten noch zugänglicher machen als im vorliegenden Eckpunktepapier geplant.

Dichter Berufsverkehr am Abend in der Münchener Innenstadt
Wenn die Mobilitätsdaten fließen, fließt auch der Verkehr – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Wolfgang Maria Weber

Stefan Kaufmann ist Medieninformatiker und arbeitet als Referent Politik & Öffentlicher Sektor bei Wikimedia Deutschland e. V.

Mit der regelmäßigen Mitfahrgelegenheit vom Dorf an den Stadtrand, dann in der Straßenbahn zum Ziel und abends mit dem Sharingfahrzeug zum Einkaufen – diese intermodale Verknüpfung verschiedener Verkehrsmittel ermöglicht Freiheiten, die viele bislang nur von ihrem eigenen Auto kennen.

Um dies zu ermöglichen, ist eine Fahrtauskunft unerlässlich, die all diese Mobilitätsformen vereint. Dass dies vor allem mit Open Data hervorragend funktioniert, haben Initiativen des digitalen Ehrenamts in den vergangenen Jahren vielfach demonstriert.

Im Jahr 2016 übersetzte der Civic-Tech-Aktivist Maximilian Richt die in Helsinki eingesetzte Freie Software digitransit ins Deutsche und fütterte sie mit offenen Mobilitätsdaten. Die Aktivist*innen der Mitfahrdezentrale führten die Angebote verschiedener Mitfahr-Vermittlungsdienste im weltweit genutzten GTFS-Format zusammen. So können auch regelmäßige Mitfahrangebote oder gar Mitfahrbänke in Auskunftssystemen wie digitransit berücksichtigt werden.

Und als vor einigen Jahren Leih-Scooteranbieter begannen, auf den deutschen Markt zu drängen, setzten sich die Aktivist*innen von radforschung für eine „Regulierung durch Digitalisierung“ ein. Sie rieten den Kommunen, dem Vorbild vieler US-Städte zu folgen und E-Scooter-Anbieter dazu zu verpflichten,  die Verfügbarkeitsdaten ihrer Scooter für multimodale Auskünfte bereitzustellen. Diese Daten könnte dann der digitransit-Ableger stadtnavi nutzen, der bundesweit seit einigen Jahren in immer mehr Regionen eingesetzt wird. Leider folgten die meisten Kommunen dieser Empfehlung nicht.

Bundesverkehrsministerium will Mobilitätsdaten breiter nutzbar machen

Das Problem lag bislang unter anderem in der fehlenden Regulierungskompetenz der Kommunen. Vereinbarungen mit den E-Scooter-Anbietern waren letztlich weitgehend unverbindliche Absichtserklärungen, eine umfassende rechtliche Datenveröffentlichungspflicht gab es nicht.

Die EU will das schon seit langem ändern. Die nationale Umsetzung der Delegierten Verordnung 1926/2017 regelt seit 2022 – zunächst durch die Mobilitätsdatenverordnung – den Zugang zu allen Daten rund um den öffentlichen Personenverkehr. Da Mobilität auch jenseits von Bus, Bahn, Taxen und Mietwagen stattfindet, soll nun ein Mobilitätsdatengesetz alle Bereitstellungpflichten gebündelt regeln.

Ein Eckpunktepapier für ein solches Gesetz liegt seit Juli 2023 vor. Es unterscheidet sich wohltuend von anderen Datenregulierungsvorhaben. Der Gesetzgeber will offenbar den durch die EU geforderten stufenweisen Zeitplan straffen und die Fristen für die verpflichtende Bereitstellung – beispielsweise für Elektro-Ladeinfrastruktur – vereinheitlichen.

Der Entwurf sieht vor, dass es sich bei Mobilitätsdaten in der Regel um Faktendaten ohne geistige Schöpfungshöhe und Eigentumsrechte handelt. Standard soll nicht länger die nationale Insellösung der Datenlizenz Deutschlanddaher sein, sondern die international anerkannte Lizenz und Aufgabeerklärung Creative Commons Zero. Auch bei der Definition von Offenheit hält sich das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) eng an die entsprechende Definition der Open Knowledge Foundation. Sie erteilt damit sowohl Registrierungsschranken als auch Bezahlpflichten eine klare Absage.

Manche sträuben sich noch immer

Das ist ein deutliches Signal an einzelne Lobbyverbände für Sharing-Mobilität. Sie reklamieren teilweise noch immer ein Eigentum an Fakteninformationen und fordern verbindliche Bezahlschranken für Daten. Diese deklarieren sie einerseits als Geschäftsgeheimnisse, spielen sie andererseits notwendigerweise aber auch per Schnittstelle für ihre Buchungs-App öffentlich einsehbar an alle Welt aus.

Zwei Schlüsselbegriffe der Offen-Definition erwähnt das Eckpunktepapier indes nicht. Laut Definition darf eine Datenlizenzierung keine Person oder Gruppe diskriminieren und sie muss jegliche Nutzung erlauben – auch für gewinnorientierte Zwecke. Für Informationen der öffentlichen Hand soll dies offenbar das Datennutzungsgesetz gewährleisten. Für die Daten, die privatwirtschaftliche Anbieter bereitstellen, wäre hier eine weitere Begriffschärfung jedoch sinnvoll.

Wem teile ich mit, wenn Daten Fehler aufweisen?

Das Eckpunktepapier für das Mobilitätsdatengesetz sieht vor, die Datenbereitsteller zur Qualitätssicherung zu verpflichten und mit Sanktionen zu belegen, wenn sie gemeldete Mängel wiederholt nicht berücksichtigen. Unklar ist jedoch, wie und auf welchem Weg diese Qualitätsmängel gemeldet werden sollen.

Die beste Lösung bestünde darin, wenn die Anbieter die von ihnen bereitgestellten offenen Daten auch für die Angebote nutzen würden. Das Prinzip “Eating your own dog food” gilt nicht ohne Grund als wichtige Funktion für die Qualitätssicherung. Die Verkehrsministerkonferenz forderte nach ihrer Sitzung im Oktober dagegen, eine Lizenz mit verpflichtender Namensnennung einzuführen (PDF, Seite 8), um Datenlieferanten identifizieren und ihnen Fehler melden zu können. Das ist nicht nur rechtlich fragwürdig, sondern scheint auch weder notwendig noch hinreichend für die Qualitätssicherung.

Die Erfahrungen des digitalen Ehrenamts haben gezeigt, dass die größere Hürde nicht in der Identifikation des Datenlieferanten liegt. Vielmehr bereitet es oftmals Schwierigkeiten, eine Ansprechperson bei der Quelle zu finden, die tatsächlich Abhilfe schaffen und transparent Auskunft über erfolgte Problemlösung geben kann. Die Bringschuld liegt hier eindeutig bei den Datenanbietenden. Sie sollten dazu verpflichtet werden, einen Fehlermeldekanal einzurichten und zeitig Abhilfe zu schaffen.

Keine Bezahlschranke durch die Hintertür!

Damit Mobilitätsdaten möglichst vielen Menschen nutzen können, sollte die Bundesregierung die Forderung nach einer Ratenlimitierung für Echtzeitdaten aus dem Eckpunktepapier streichen.

Das BMDV will so nach eigener Auskunft verhindern, dass es zu Überlastung und Missbrauch kommt. Tatsächlich aber bereitet die Begrenzung einmal mehr den Weg dafür, dass angemeldete Nutzende und die öffentliche beschränkte Schnittstelle ungleich behandelt werden, derweil der praktische Nutzen überschaubar ist. Denn API-Keys lassen sich mit geringem Aufwand aus „offiziellen“ Apps extrahieren und nutzen. Und selbst wenn diese Schnittelstellenschlüssel vergeben würden, muss eine missbräuchlich oder versehentlich übermäßige Belastung ohnehin automatisiert erkannt werden, um den Key in einem solchen Fall wieder zu entziehen.

Wer ein solches Erkennungssystem einrichtet, könnte genauso gut durch eine vorübergehende Limitierung von IP-Ranges reagieren. Und wer das nicht macht, dem bringen auch API-Keys nichts.

Nicht zuletzt scheint sich bislang niemand Gedanken über ein funktionierendes Mirroring oder andere Lastverteilungsmechanismen zu machen, obgleich Mirrors seit Jahren vom Digitalen Ehrenamt als Ausgleichsmaßnahme für technisch fragwürdige offizielle Angebote genutzt werden, etwa mit Registrierungspflicht oder Loginpflicht für den Datenabruf.

Unerwartet gut, aber Luft nach oben

Allem Anschein nach hat das BMDV seine Hausaufgaben gemacht und Inputs aus der digitalen Zivilgesellschaft aufgenommen. Es bleibt zu hoffen, dass die weitsichtigen Teile des Eckpunktepapiers die Verbändebeteiligung überstehen und die Open-Data-Grundprinzipien sogar noch gestärkt werden, statt dass sie den Lobbyinteressen einzelner Vertreterverbände zum Opfer fallen.

Eine systematische Öffnung all dieser Mobilitätsdaten würde nämlich einen grundlegenden Wandel im Umgang mit vernetzter und intermodaler Mobilität bewirken. Erstmals wären damit flächendeckend genau die einfachen Auf-einen-Blick-Auskünfte möglich, die wir für die Mobilitätswende dringend benötigen. Die passende Routingsoftware steht seit dem Jahr 2016 in deutscher Übersetzung bereit.

Spannend bleibt darüber hinaus, ob auch Vorgaben für international kompatible offene Datenformate in das Gesetz aufgenommen werden und diverse Schlupflöcher – beispielsweise bei der Diskriminierungsfreiheit oder der Ratenlimitierung für Echtzeitinformationen – im finalen Gesetzesentwurf erhalten bleiben. Auch strategische Vorleistungen hin zu Linked Open Data bleiben bislang noch unerwähnt. Und nicht zuletzt fehlt für eine wirkliche intermodale Mobilität auch die Verpflichtung dazu, dass sich Tickets durch beliebige Apps buchen lassen. Zumindest für Letzteres macht sich mittlerweile auch die Europäische Union stark.

Wikimedia Deutschland hat im Rahmen der Verbändebeteiligung zum Eckpunktepapier eine Stellungnahme abgegeben. Wie üblich ist diese auf Wikimedia Commons öffentlich einsehbar. Transparenzhinweis: Der Autor hat die Weiterentwicklung von digitransit unterstützt und ist ehrenamtlich im transportkollektiv aktiv, das sich für Open Data im Mobilitätsbereich einsetzt und Handreichungen dazu verfasst.


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Author: Stefan Kaufmann