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Öffentliches Geld – Öffentliches Gut!: Die Demokratie vorwärtsverteidigen durch ein Transparenzgesetz

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Die Bundesregierung hat für diese Legislatur ein Bundestransparenzesetz angekündigt. Das würde Wissen zugänglich machen, bei einer effizienter Verwaltung helfen und Vertrauen in die Demokratie stärken. Aber wie kommen wir dahin?

Eine transparente Treppe von unten fotografiert.
Transparent und stabil. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com James Haworth

Das Jahr 2024 begann mit einem großen demokratischen Momentum: Hunderttausende Menschen traten in den letzten Wochen für eine wehrhafte Demokratie, für ein demokratisches Miteinander in unserem Land ein. Doch so sehr diese Demonstrationen Hoffnung geben, so wenig täuschen sie über den Anlass hinweg.

Wir merken alle: Die Gefahr für unsere Demokratie ist real. Teile der AfD stuft der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem ein. In Umfragen ist die Partei seit einiger Zeit zweitstärkste Kraft. Nach den Demokratie-Demonstrationen fragen wir uns oft: Wie geht das eigentlich, die Demokratie wehrhaft zu machen?

Demokratie bleibt stabil, wenn sie flexibel ist

Die Demokratie ist nicht erst seit gestern unter Druck. Der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble erklärte bereits 2021: „Wenn die Demokratie beweglich und offen ist für Neues – dann bleibt sie auch stabil.“ Die Demokratie muss als System attraktiv sein, indem sie gute Lösungen produziert, sich neuen Problemen und einer veränderten Umwelt anpasst.

Die Ampelregierung hat diese Notwendigkeit früh erkannt. Selten standen in den letzten Jahrzehnten in einem Koalitionsvertrag so viele demokratiepolitische Reformvorhaben. Einiges wurde bereits umgesetzt. Doch ein demokratiepolitisches Reformprojekt wird seit bald drei Jahren stiefmütterlich angegangen: Das Bundestransparenzgesetz. Und das ist ein riesiges Problem.

Möchten politisch Interessierte, Journalist*innen oder die Zivilgesellschaft bisher an staatliche Informationen kommen, müssen sie sich durch einen Webseitendschungel verschiedener Behörden kämpfen. Eine andere Möglichkeit: dutzende unterschiedliche rechtliche Regelungen wie beispielsweise das Informationsfreiheitsgesetz (IFG), das Umweltinformationsgesetz (UIG) oder das Verbraucherinformationsgesetz (VIG). Die ermöglichen es allen Interessierten, selbst Anfragen an Behörden stellen. Die Anforderungen sind allerdings schwer zu durchblicken.

Ein Bundestransparenzgesetz würde die Regierung und Behörden verpflichten, für die Öffentlichkeit wichtige Informationen von sich aus offenzulegen. Die verschiedenen Informationen, die aktuell nach unterschiedlichen Gesetzen und Verordnungen an verschiedenen Stellen veröffentlicht werden, müssten dann auf einer Plattform geordnet zugänglich gemacht werden. Es entstünde „One single point of truth“ – also eine zentrale verlässliche Informationsquelle. Dort könnte man alles Wichtige finden, etwa Gutachten, Verträge oder Geodaten.

Transparenz schafft Vertrauen

Warum ist ein Bundestransparenzgesetz gerade jetzt so wichtig? In einer Studie der Bertelsmann-Stiftung äußerten kürzlich 52 Prozent der Befragten zwischen 18 und 30 Jahren Misstrauen gegenüber der Regierung, 45 Prozent mangelt es an Vertrauen ins Parlament. Das gibt Anlass zur Sorge: Repräsentation lebt von Vertrauen, dass der demokratische Wille der Bevölkerung aufgegriffen wird, dass die Regierung funktioniert.

Ist das Vertrauen in verschiedene Regierungen über mehrere Legislaturperioden gering, vertraut die Bevölkerung irgendwann nicht mehr in die Demokratie selbst. Das Gefühl von „Die da oben machen eh, was sie wollen“ wächst.

Einige Bundesländer haben bereits Transparenzgesetze. Öffentliche Stellen monierten dabei teilweise, der Aufwand für die Verwaltung sei hoch, der Nutzen für die Bevölkerung jedoch gering. Die Nachvollziehbarkeit politischer Entscheidungen, die stärkere politische Kontrolle, ein wachsendes Vertrauen in die Politik – all diese Versprechen würde ein Transparenzgesetz gar nicht einlösen, war zu hören.

Schaut man in die Evaluationen der bestehenden Gesetze, zeichnet sich ein anderes Bild ab. Die Wirkung der Transparenzgesetze in Hamburg, Rheinland-Pfalz und Thüringen wurde bereits ausgewertet. Die Evaluationen zeigen: Je besser die Informationsrechte in dem Bundesland ausgestaltet sind, desto eindeutiger gaben Nutzende des Transparenzportals an, dass ihr Vertrauen in Verwaltung und Politik gestiegen ist. Am deutlichsten wird die Evaluation des Hamburgischen Transparenzgesetzes:

Die Befunde im Hinblick auf ein möglicherweise gesteigertes Vertrauen in das Handeln von Politik und Verwaltung sowie eine potenzielle Erleichterung politischer Partizipation sind eindeutig. In beiden Bereichen sahen sowohl die Portalnutzerinnen und -nutzer als auch die Beiratsmitglieder mehrheitlich positive Auswirkungen der Veröffentlichung von Informationen auf dem Transparenzportal.

Auch in Rheinland-Pfalz ließen sich leicht positive Effekte durch das Transparenzportal auf die Nutzenden beobachten, vor allem mit Blick auf das Vertrauen in die Verwaltung. Selbst in Thüringen, wo die Mehrheit der Befragten angab, dass durch das Transparenzgesetz nicht signifkant mehr politische Informationen für die Bürger*innen zugänglich sind, als im Vergleich zum vorher geltenden IFG, wurde der Nutzen des Transparenzportals für die Bildung einer fundierten Meinung von vielen Beteiligten geschätzt.

„Transparenz schafft Vertrauen“ war deshalb nicht zufällig der richtige Slogan des Bündnisses aus Mehr Demokratie e. V., Chaos Computer Club und Transparency International Deutschland. Das Bündnis bewirkte 2012 per Volksinitiative, dass ein Transparenzgesetz für Hamburg eingeführt wurde.

In sechs Bundesländern gibt es in Deutschland bereits Transparenzgesetze. Der Bund muss beim Thema Transparenzgesetz das Rad also nicht neu erfinden. Eine Übersicht über die Regelungen schafft das Transparenzranking von Mehr Demokratie und der Open Knowledge Foundation.

Transparenz ist ein Effizienz-Booster für die Verwaltung

Die Transparenzgesetze haben auch noch eine andere Wirkung: Sie sorgen in den Verwaltungen für eine Transparenzkultur. Informationen müssen durch die gesetzlichen Vorgaben eines Transparenzgesetzes elektronisch zugänglich gemacht und deshalb vorher aufbereitet werden. Deshalb wurden bei ihrer Einführung in Verwaltungen flächendeckend Schulungen durchgeführt wurden. Eine Konsequenz: In Rheinland-Pfalz wurden Anträge auf Informationszugang insgesamt schneller bearbeitet und häufiger positiv beschieden.

Das nützt aber nicht nur Interessierten aus der Bevölkerung: 2019 sagte der Leiter des Transparenzportals Hamburg in einer Anhörung zum Transparenzgesetz in Berlin, dass Informationen auf dem Hamburger Transparenzportal innerhalb von 48 Stunden nach ihrer Erstellung zu finden sind – so gut sei der Workflow, der sich etabliert hat. Aus der Hamburger Evaluation geht zudem hervor, dass ein erheblicher Teil der Seitenzugriffe auf das Transparenzportal von den öffentlichen Stellen selbst kommt.

Das Transparenzgesetz fördert also Informationsflüsse zwischen Behörden ebenso wie die Verwaltungsdigitalisierung und Effizienz. Es ist somit ein Beitrag zum von allen Seiten geforderten Bürokratieabbau. Und da, wo staatliche Infrastruktur gut funktioniert, wächst am Ende auch das Vertrauen durch die Bürger*innen in den Staat.

Wo das Gegenteil der Fall ist, wird Vertrauen verspielt. Ein Beispiel: Das Programm „Neustart Kultur“ war das bisher größte Kulturförderungsprogramm der Bundesrepublik. Das Rettungspaket sollte Kulturschaffenden durch die Corona-Pandemie helfen. Insgesamt zwei Milliarden Euro standen zur Verfügung. Eine Recherche des Deutschlandfunk Kultur deckte vor einigen Wochen Auffälligkeiten und Regelverstöße bei der Verteilung der Fördergelder auf.

Die Recherche dazu dauerte eineinhalb Jahre. Der Deutschlandfunk fragte, wie die Gelder verteilt wurden. Auf die Antworten mussten die Journalist*innen teils monatelang warten. Sie kamen nicht einheitlich und in verschiedenen Formaten, mussten also erst aufbereitet werden. Für ihre Anfragen nutzen die Journalist*innen auch das Informationsfreiheitsgesetz. Das Problem: Es gibt kein zentrales Transparenzportal.

Warum wir es uns nicht leisten können, nicht transparenter zu werden

In der Corona-Pandemie in Deutschland kursierten besonders viele Falschinformationen und -nachrichten über politisches Handeln. Wie soll eine gesellschaftliche Aufarbeitung stattfinden, wenn grundlegende Informationen über die Verteilung von Fördergeldern nicht leicht zugänglich sind? Wie sollen Journalist*innen und das Parlament selbst die Maßnahmen evaluieren können?

Der Fall zeigt eindringlich: Hier verspielt der Staat die Chance auf einen Vertrauensgewinn. Ein zentrales Transparenzportal entbindet Journalist*innen und Politik nicht davon, Informationen zu interpretieren. Aber es hätte dazu geführt, dass Informationen leichter zugänglich gewesen wären. Eine Aufbereitung der Informationen wäre innerhalb der Verwaltung von Anfang an mitgedacht worden.

Das Transparenzgesetz wird die Demokratie allein nicht retten. Aber wir verspielen eine Chance darauf, Vertrauen in Politik zu stärken. Das können wir uns gerade jetzt nicht mehr leisten.

Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung formulierte es bereits 2016 so: „Mit der Forderung nach mehr Transparenz und konkreten Schritten der Umsetzung wird man – unterm Strich – weder ‚Reichsbürger‘ überzeugen noch Verschwörungstheoretiker entlarven können. Aber wenn man damit diejenigen stärkt, die sich ihnen in den Weg stellen, ist schon ein erster Schritt in die richtige Richtung getan.“


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Author: Marie Jünemann

Das kommt davon, wenn die bildungspolitik in der eigenen landesregierung nur nebenfach ist.