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Offenes Internet: USA führen Netzneutralität wieder ein

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Offenes InternetUSA führen Netzneutralität wieder ein

Die USA bekommen wieder Regeln zur Netzneutralität. Die lange Zeit blockierte Regulierungsbehörde FCC verpflichtet Internetanbieter, alle Daten im Netz gleich zu behandeln. Sorgen bereiten aber neue Technologien, die womöglich doch noch „Überholspuren“ schaffen könnten – auch in Europa.


Tomas Rudl – in Netzekeine Ergänzungen
Die demokratische FCC-Vorsitzende Jessica Rosenworcel, hier bei einer Anhörung im US-Kongress, setzt sich für Netzneutralität ein. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / SOPA Images

US-Internetnutzer:innen können sich wieder über Regeln zur Netzneutralität freuen. Heute hat die US-Regulierungsbehörde Federal Communications Commission (FCC) erneut Richtlinien erlassen, die unter Ex-Präsident Barack Obama eingeführt und von seinem Nachfolger Donald Trump wieder zurückgenommen wurden.

Die Corona-Pandemie habe ein für alle Mal gezeigt, dass Breitband „essenziell“ ist, sagte die demokratische FCC-Vorsitzende Jessica Rosenworcel im Vorfeld. Doch ohne entsprechende Regeln habe die FCC nicht sicherstellen können, dass Verbraucher:innen von einem „schnellen, offenen und fairen“ Internet profitieren könnten. „Eine Rückkehr zum überwältigend beliebten Standard der Netzneutralität wird es der FCC ermöglichen, erneut als starke Anwältin für ein offenes Internet aufzutreten.“

Das Prinzip der Netzneutralität schreibt fest, dass alle Datenströme im Internet gleich behandelt werden müssen, unabhängig vom Absender oder Empfänger. Es genießt breite Unterstützung, Umfragen in den USA zeigen immer wieder, dass Verletzungen der Netzneutralität wie künstlich gedrosselte oder blockierte Internetverbindungen ausgesprochen unbeliebt sind.

Dennoch hat es mehr als drei Jahre nach dem Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden gedauert, bis die Demokraten die Regeln wieder erlassen konnten. Schuld war eine politisch motivierte Blockade der FCC, mit der die Republikaner die Behörde bis zuletzt lahmgelegt hatten.

Netzbetreiber erbringen grundlegende Dienste

Erst im vergangenen Oktober konnte eine vollständig besetzte FCC unter Mehrheit der Demokraten einen ersten Vorschlag beschließen und zur Debatte stellen. Im Kern gleicht das Regelwerk der Open Internet Order aus dem Jahr 2015. Demnach gelten Netzbetreiber als „Common Carrier“, erbringen also eine grundlegende Dienstleistung wie die Versorgung mit Wasser und sind entsprechend streng zu regulieren.

Ihnen ist es grundsätzlich verboten, den Zugang zu Online-Diensten zu drosseln oder zu sperren. Netzbetreiberverbände haben bereits angekündigt, die Regeln vor Gericht zu zerren. Vergleichbare juristische Auseinandersetzungen haben sie in der Vergangenheit jedoch verloren.

Selbst ohne bundesweite Auflagen scheuten sich Betreiber in den letzten Jahren vor krassen Verletzungen der Netzneutralität. Zum einen waren die Augen der Öffentlichkeit auf sie gerichtet, zum anderen hatte eine Reihe an Bundesstaaten, darunter Kalifornien und Washington, zwischenzeitlich eigene Gesetze erlassen.

Diese haben etwa den Mobilfunkriesen AT&T dazu gebracht, ein sogenanntes „Zero Rating“-Produkt einzustellen – nicht nur in diesen Bundesstaaten, sondern landesweit. Solche Angebote nehmen den Zugriff auf ausgewählte Partnerdienste vom monatlichen Datenvolumen aus, behandeln sie also notwendigerweise unterschiedlich.

Vom Experimentieren hat das die Betreiber indes nicht abgehalten. Manche lassen sich etwa den Zugriff auf hochaufgelöste Videos extra bezahlen, während sie alle anderen Videos künstlich in einer schlechteren Auflösung ausliefern. Solche Praktiken könnten künftig zunehmen, auch weil sie technisch leichter umsetzbar werden.

Überholspuren im Fokus

Der neue 5G-Mobilfunkstandard sieht sogenannte „Network Slices“ vor, mit denen sich Netze in Scheibchen schneiden und unterschiedlich gut behandeln lassen. Weltweit schielen Netzbetreiber auf diese Technik, die Deutsche Telekom sieht sie etwa als „Schlüssel zu 5G“. Nur damit seien industrielle Anwendungen umsetzbar, etwa Industrieroboter oder selbstfahrende Autos, gibt der Konzern an.

Genau solche Überholspuren erfassen die neuen FCC-Regeln jedoch nicht vollständig. Zwar dürfen sich Netzbetreiber von den jeweiligen Online-Anbietern für eine Vorfahrt nicht bezahlen lassen. Außerdem beteuert die FCC, solche Angebote einzeln prüfen zu wollen. Dennoch könnte dies letztlich dazu führen, dass Netzbetreiber bestimmten Online-Diensten Vorfahrt gestatten, während sich die restlichen Internet-Dienste samt ihrer Nutzer:innen mit zunehmend verstopften Straßen begnügen müssten. Davor warnt etwa die Stanford-Professorin Barbara van Schewick.

So könnte ein Angebot eines fiktiven Netzbetreibers aussehen, sollten schwach regulierte Überholspuren zur Normalität werden. CC-BY 3.0 Elaine Adolfo

Mit der Netzneutralität kompatibel wäre hingegen eine Ausgestaltung, mit der Netzbetreiber Überholspuren nicht nutzen könnten, um den Wettbewerb zu verzerren, erklärt die Expertin gegenüber netzpolitik.org. Dabei müsste gesichert sein, dass die Überholspur offen ist für alle Anwendungen; die Nutzer:innen entscheiden, ob, wenn, und für welche Anwendungen sie die Überholspur verwenden; keine Gebühren für den Dienste-Anbieter selbst entstehen; und die Überholspur die Qualität des regulären Internets nicht verschlechtert.

Zu strenger Kontrolle ruft deshalb auch die Nichtregierungsorganisation Public Knowledge auf, die sich für ein offenes Internet einsetzt. Es sei zu erwarten, dass Netzbetreiber ihre alten Tarife in neuem Gewand auf den Markt bringen und weiterhin versuchen werden, das Internet in langsame und schnelle Spuren aufzuteilen, schreibt John Bergmayer nach der FCC-Abstimmung. Dabei müsse die FCC sicherstellen, dass Breitbandanbieter nicht einfach Allerwelts-Apps nehmen und sie als separaten „Nicht-Breitband“-Dienst bündeln.

Gefahr eines Zwei-Klassen-Internets

Auch in Europa weckt die Technik Begehrlichkeiten. Einem „5G-Manifest“ der Industrie war vor Jahren etwa die Unterstützung des damaligen Digital-Kommissars Günther Oettinger gewiss. Darin warb die Branche unter anderem für vertikal integrierte Dienste, die Vorschläge reichen von autonomem Fahren bis hin zu virtueller Realität. Dies trage nicht nur zu besseren Anwendungen bei, sondern helfe auch bei der Finanzierung der Netze, so das Lobbypapier.

Bislang haben solche Vorstöße jedoch kaum gefruchtet, weil die EU-Regeln zur Netzneutralität eklatante Verstöße untersagen und solche Spezialdienste nur unter strengen Auflagen möglich sind. Insbesondere dürfen Spezialdienste nicht zu Lasten anderer Nutzer:innen gehen und damit das offene Internet einschränken. Auch EU-Regulierer hatten wiederholt klargestellt, dass sich damit kein Zwei-Klassen-Internet durch die Hintertür schaffen lässt.

Allerdings zeichnet sich kein Ende der Debatte ab. Zuletzt forderte der italienische Ex-Ministerpräsident Enrico Letta in einem Bericht über den EU-Binnenmarkt eine umfassende Überarbeitung der europäischen Regeln. Betreiber sollen demnach einfacher Überholspuren für bestimmte Dienste anbieten können, denkbar seien beispielsweise „KI-gestützte Anwendungen wie autonomes Fahren“.

Auf eine grundlegende Reform des Telekommunikationssektors drängt auch der amtierende Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Er will Netzbetreibern künftig einträgliche, aber bislang verbotene oder fragwürdige Zusatzgeschäfte ermöglichen, etwa mittels einer Datenmaut für Online-Dienste.

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Author: Tomas Rudl

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