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Online-Wahlwerbung: Wie die EU Wahlen vor Manipulation schützen will

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Parlament und Rat haben sich auf neue Regeln für politische Online-Werbung geeinigt: Sie muss gekennzeichnet werden und zeigen, wer sie finanziert hat. Außerdem soll es eine europäische Datenbank für Forscher:innen geben. Aber kommt das alles noch rechtzeitig für die Europawahlen 2024?

Zwei Umschläge für Briefwahlen mit der Aufschrift "Landtagswahl" und "Bezirkswahl".
Die Regeln sollen Wahlen in der ganzen EU schützen, sogar in Bayern. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Markus Spiske

Der Skandal um Cambridge Analytica, der Wahlkampf von Donald Trump 2016, unzählige Desinformationskampagnen: In Europa gibt es seit Jahren Sorgen darum, wie sehr Wahlkämpfe online manipuliert werden können. Einige der großen Online-Plattformen haben deshalb auch schon Vorkehrungen getroffen, um Wahlen zu schützen. Wie unter anderem netzpolitik.org mehrfach aufgezeigt hat, konnten sie diese aber oft nicht konsequent durchsetzen.

Die EU-Kommission hat deshalb schon vor zwei Jahren ein Gesetzesvorhaben angekündigt, mit dem die Union zum ersten Mal politische Online-Werbung regulieren würde. Auch Parlament und Rat, die sich auf eine EU-Gesetzgebung einigen müssen, haben in den vergangenen Monaten unter Hochdruck verhandelt – denn 2024 stehen Europawahlen an, für die Verabschiedung neuer Gesetze bleibt deshalb nur wenig Zeit. Gestern Abend haben sich Parlament und Rat nun auf eine gemeinsame Position geeinigt, das geplante Gesetz ist damit so gut wie beschlossen.

Ab jetzt verpflichtende Transparenz

Das Gesetz soll an drei Stellen ansetzen: bei der Transparenz, bei der Finanzierung und beim Targeting von politischer Online-Werbung. Dabei definiert das Gesetz Online-Werbung als bezahlte Kommunikation. Die genaue Formulierung der Definition ist noch nicht bekannt, doch zwischenzeitlich laut gewordene Befürchtungen, die EU könnte auch politische Meinungsäußerungen in Form von Tweets oder Videos regulieren, sind damit vermutlich abgeräumt.

In Sachen Transparenz gibt es neue Regeln für politische Akteur:innen, also etwa Parteien, und für Werbedienstleister wie Instagram oder TikTok. So muss zukünftig jede politische Anzeige klar als solche gekennzeichnet werden. Einige der großen Plattformen machen das aktuell schon freiwillig, mit diesem Gesetz werden sie aber dazu verpflichtet. Außerdem muss für jede Anzeige offengelegt werden, nach welche Kriterien die Zielgruppen ausgewählt wurden und wer sie finanziert hat. Um ausländische Einflussnahmen zu verhindern, sollen Anzeigen nur noch von innerhalb der EU geschaltet werden dürfen.

Durchgesetzt hat sich das Parlament mit einer Forderung nach einer europäischen Datenbank für politische Online-Anzeigen. Aktuell bieten Plattformkonzerne wie Meta oder Google solche Werberegister schon an, teils freiwillig, teils wegen Vorgaben aus dem Digital Services Act. Die zentrale Datenbank soll nun von der EU-Kommission angelegt werden und für eine bessere Übersicht und lückenlosere Kontrolle sorgen.

Keine sensiblen Daten mehr fürs Targeting

Kernpunkt des Gesetzes ist das Targeting, also die Frage, wie genau Werbung auf eine Zielgruppe zugeschnitten werden darf. Hier gibt es ein weites Spektrum: vom Wahlplakat auf dem Marktplatz hin zu einer Anzeige, die beispielsweise nur für weiße, muslimische, bisexuelle Sportwagenfans zwischen 30 und 35 Jahren mit fünf Kindern gezeigt wird.

Das EU-Parlament hatte in diesem Bereich gefordert, die mögliche Datennutzung für das Targeting politischer Werbung stark einzuschränken. Durchsetzen konnten sich im Trilog jedoch die Mitgliedstaaten, die, unterstützt von der EU-Kommission, am Einwilligungsprinzip festhalten wollten. Grundsätzlich können EU-Bürger:innen deshalb auch künftig in weitreichende politischen Datensammlungen einwilligen.

Dieser Ansatz war unter anderem vom Europäischen Datenschutzausschuss harsch kritisiert worden, weil er keine Verbesserung gegenüber dem Status quo darstelle, bei der sich Datenverarbeiter mit Tricks und Schummeleien beim Einholen der Einwilligung weitgehende Rechte einräumen lassen, die von den Betroffenen weder verstanden noch kontrolliert werden können.

An diesem Punkt setzt auch die neue Verordnung ein. Hier hat sich das Parlament mit der Einführung von Schutzmaßen durchgesetzt, die die Autonomie der Bürger:innen schützen sollen. Wie auch schon der Digital Services Act verbietet das neue Gesetz die Nutzung sensibler Datenkategorien wie etwa die sexuelle Orientierung oder politische und religiöse Überzeugungen.

Zudem dürfen keine Daten von Drittanbietern für politisches Targeting genutzt werden. Nutzer:innen sollen zudem über die sogenannten Do-Not-Track-Funktion im Browser personalisierte politische Werbung ablehnen können. Außerdem darf die Einwilligung in politisches Targeting nicht zur Bedingung gemacht werden, um Internetportale zu nutzen.

Ein kleiner Fortschritt

Der Berichterstatter des Parlaments, der französische Liberale Sandro Gozi, äußerte sich sehr zufrieden mit der erzielten Einigung: „Das ist ein großer Schritt für den Schutz unserer Wahlen und für die digitale Souveränität in der EU.“ Das Gesetz würde rechtzeitig vor der anstehenden Europawahl gute Rahmenbedingungen für transnationale Wahlkämpfe schaffen.

Julian Jaursch, der die Gesetzgebung für den Thinktank Stiftung Neue Verantwortung eng begleitet hat, kommt zu einem verhalten positiven Schluss. Vieles hänge von konkreten Formulierungen ab, weshalb er zum aktuellen Zeitpunkt lediglich eine erste Einschätzung abgeben will. Doch dass es künftig einen Mindeststandard für Transparenz politischer Werbung gebe, sei sinnvoll. „Die Einigungen hierzu scheinen vielversprechend, zum Beispiel zur Kennzeichnungspflicht inklusive der Finanzierung der Werbung oder zu einem geplanten Onlinearchiv für politische Werbung.“

Bei der Einschränkung, welche persönlichen Daten die politischen Werbetreibenden und die Plattformen für ihre Anzeigen verwenden dürfen, hätte die EU jedoch weiter gehen können, so Jaursch. „Die guten Argumente, die Datennutzung stärker einzuschränken und es noch etwas schwerer zu machen, Menschen basierend auf der Überwachung ihres persönlichen Onlineverhaltens und Vermutungen über ihre Interessen gezielt anzusprechen, haben sich offenbar nicht durchgesetzt.“

„Eine große Frage bleibt jedoch die Durchsetzung der Regeln“, so Jaursch. Die Datenschutzbehörden bekämen eine wichtige weitere Verantwortung, aber auch andere nationale Behörden könnten und sollten eine Rolle haben. „Das Zusammenspiel dieser Stellen – auch in dem geplanten Behördennetzwerk auf EU-Ebene – wird wichtig, damit die neuen Regeln nicht im Sand verlaufen.“

Nicht mehr für die Europawahlen

Auch Alexandra Geese, Schattenberichterstatterin der Grünen, sieht das neue Gesetz als Fortschritt. Die Einigung dämme die schlimmsten Auswüchse von geheimer Manipulation ein, sagte sie. Die europäische Datenbank sei ein Grundstein dafür, dass Forscher:innen widersprüchliche Botschaften aufdecken und Einflussnahme erkennen könnten.

Aber, so Geese: „Leider hat der Rat die vom Europäischen Parlament geforderte weithergehende Einschränkung von Targeting verhindert.“ Damit würde Wahlwerbung in Europa ehrlicher, eine gemeinsame Öffentlichkeit gebe es aber immer noch nicht. Und ein weiteres Problem: Die neuen Regeln zu transnationalen Wahlkämpfen werden zwar direkt gelten, aber der Kern der Verordnung erst 18 Monate nach dem Inkrafttreten. „Dadurch hat die EU das Ziel verfehlt, die Europawahl 2024 durch starke Regeln zu schützen“, kritisiert die Abgeordnete.

Damit wird das Gesetz für die Europawahlen nicht mehr relevant sein, zumindest nicht in seiner verpflichtenden Form. Die EU-Kommission hat zwar bereits angekündigt, bei den Plattformen darauf hinzuarbeiten, dass sie die Bestimmungen schon vor dem wirklichen Inkrafttreten vollständig umsetzen. Dafür will sie etwa die Regeln des Desinformationskodex benutzen, die Kommission und Plattformen im vergangenen Jahr unterzeichnet haben.

Die Europawahlen 2024 werden nicht die letzten ihrer Art sein, und es werden zahllose Wahlen für Landtage, Stadträte und nationale Parlamente folgen, die unter das Gesetz fallen werden – aber wie sehr Wählende vor missbräuchlicher Online-Wahlwerbung geschützt sind, wird im kommenden Jahr noch ein letztes Mal vom guten Willen der Plattformen abhängen.


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Author: Ingo Dachwitz

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