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Rat der EU: Chatkontrolle-Abstimmung zum zweiten Mal vertagt

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Mehrere Länder lehnen die Chatkontrolle im EU-Ministerrat offenbar weiterhin ab. Eine geplante Abstimmung über die Ratsposition am Donnerstag ist vertagt. Solange die Mitgliedstaaten sich nicht einigen, können die finalen Verhandlungen zum Gesetzesvorschlag nicht beginnen.
Einzig der Straßenprotest ist noch klein, die Bandbreite der Kritik aus allen Bereichen der Gesellschaft jedoch groß. – CC-BY 4.0 cvenDer Rat für Justiz und Inneres wird nicht wie geplant bei seinem Treffen am Donnerstag und Freitag über die EU-Verordnung zur „Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern“ – auch bekannt als Chatkontrolle – abstimmen. Dennoch bleibt das Thema auf der Tagesordnung, die spanische Ratspräsidentschaft wird über die Fortschritte im Einigungsprozess berichten. Es wird jedoch „keinen Versuch einer Einigung“ geben, wie uns ein Sprecher des Rats bestätigt.
Gestern berichteten der EU-Piratenabgeordnete Patrick Breyer in einer Pressemitteilung und unabhängig davon das Medium Politico vom Scheitern einer gemeinsamen Ratsposition.
Breyer nennt die neuerliche Verschiebung einen „Riesenerfolg bei Verteidigung des digitalen Briefgeheimnisses“. Laut dem Europaabgeordneten hätten sich unter anderem Deutschland, Österreich, Polen und Estland klar gegen den aktuellen Entwurf positioniert, aber auch Frankreich habe Fragen. Damit wird die geplante Abstimmung im Rat nun bereits zum zweiten Mal vertagt.
Bevor sich Rat und Parlament nicht auf ihre jeweilige Position verständigt haben, kann der Trilog zwischen den beiden EU-Gremien und der Kommission nicht beginnen. Diese letzte Phase des Gesetzgebungsprozesses rückt demnach immer weiter ans Ende der EU-Legislaturperiode im Sommer 2024.
Spanischer Kompromiss gescheitert
Vor der geplanten Abstimmung hatte die spanische Ratspräsidentschaft einen Pseudo-Kompromiss vorgelegt. Dieser sollte kritische EU-Staaten offenbar zur Zustimmung bewegen: Die Art des Materials, nach dem Anbieter suchen müssen, soll vorerst eingeschränkt werden – bis die technischen Möglichkeiten sich geändert haben. Nicht abrücken wollte der Vorschlag hingegen davon, „dass verschlüsseltes Material in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen sollte“. Und das ist eben einer der umstrittenen Teile. Dieser „Kompromissvorschlag“ hat sich offenbar nicht als tragfähig erwiesen.
Am selben Tag hatte die deutsche Bundesregierung in einem Papier vorgeschlagen, die EU-Verordnung zur Bekämpfung von sexuellen Kindesmissbrauch im Internet „aufzuspalten“. Wie Euractiv berichtet hatte, solle das Dossier in zwei Teile aufgeteilt werden, in „allgemein akzeptable Bestimmungen“, die im Kompromisstext verbleiben, und in „umstrittene Bestimmungen“, die zunächst ausgeklammert werden.
Zu den umstrittenen Bestimmungen gehört laut dem Papier die Chatkontrolle, also das anlasslose Durchsuchen von Inhalten auf Anordnung. Etwa indem sie auf Smartphones und anderen Endgeräten vor der Verschlüsselung gescannt werden. Diese Teile sollen nach dem Willen Deutschland später in einen neuen Verordnungsentwurf aufgenommen und neu verhandelt werden. Die verbleibenden Teile könnten „schnell und einfach zwischen den Mitgliedstaaten geeint, im Rat vorangebracht und dann auch als Erfolg im Kampf gegen Darstellungen sexuellen Missbrauchs angesehen werden“, so Regierungskreise gegenüber netzpolitik.org.
Mehrere Mitgliedstaaten hätten sich demnach für den Vorschlag der Bundesregierung interessiert gezeigt. Ob dieser Weg jedoch eine wirkliche Option werden kann, ist zunächst offen.
Die nächste Ratstagung der Justiz- und Innenminister:innen wird Anfang Dezember stattfinden. Dennoch kann der Rat auch vorher das Verhandlungsmandat der Mitgliedstaaten auf Ebene der Ständigen Vertreter (COREPER II) festlegen. Dieses Gremium tagt wöchentlich, zum nächsten Mal am 23. Oktober. Der Chatkontrolle-Vorschlag findet sich bereits auf der vorläufigen Tagesordnung, mit dem Zusatz „möglicherweise“.
Breite zivilgesellschaftliche Kritik
Gestern hatte die Datenschutzkonferenz, der die 16 Landesdatenschutzbeauftragten und der Bundesdatenschutzbeauftragte angehören, darauf hingewiesen, dass es sich bei der vorgesehenen Chatkontrolle um eine anlasslose Massenüberwachung handele, die nicht mit den Grundrechten auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Vertraulichkeit der Kommunikation und zum Schutz personenbezogener Daten vereinbar sei.
Die Datenschützer:innen stehen mit ihrer Kritik nicht allein, denn die Kritik am Vorhaben der EU ist außergewöhnlich breit. Gegen die Chatkontrolle haben sich in seltener Einigkeit Kinderschutzexpert:innen, Betroffene von Kindesmissbrauch, Vertreter:innen der Polizei, europäische Regierungen, UN-Beamte, Wissenschaft, Unternehmen, Wirtschaftsverbände sowie Nichtregierungsorganisationen ausgesprochen.
Umstrittene Methoden der Innenkommissarin
In den letzten Wochen ist für die Chatkontrolle verantwortliche EU-Innenkommissarin Ylva Johansson zunehmend in die Kritik geraten. Zuletzt hatten investigative Recherchen ergeben, dass die EU-Innenkommissarin eine große Nähe zu Lobbynetzwerken hat, die auch mit finanziellen Interessen für die Chatkontrolle werben. Johansson war in der Vergangenheit mit Falschinformationen und irreführenden Aussagen zur Chatkontrolle aufgefallen.
Die sozialdemokratische EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hat zudem laut Medienberichten auf der Plattform X/Twitter Microtargeting genutzt, um für die Chatkontrolle zu werben. Die EU-Kommission hatte dafür in Ländern, die im Rat der EU kritisch gegenüber der Chatkontrolle sind, in der jeweiligen Landessprache Werbung geschaltet, deren Informationen auf einer umstrittenen Meinungsumfrage beruhen.
Gleichzeitig hatte die Kommission bestimmte Zielgruppen nach politischen und religiösen Kriterien von der Werbeanzeige ausgeschlossen. Diese Form der Werbung ist spätestens nach dem Cambridge-Analytica-Skandal und dem Brexit wegen möglicher Manipulationen in der Kritik, die EU selbst will solche Werbung strenger regulieren.
Der Datenschutzbeauftragte der EU hat eine Voruntersuchung zu der Sache eingeleitet, es gibt zudem eine parlamentarische Anfrage zu der Sache. Die grüne Fraktion wollte Johanssons Microtargeting auch im Europaparlament behandeln, der Antrag scheiterte an Gegenstimmen von Sozialdemokraten, Konservativen, Liberalen und Rechtsradikalen. Johansson wird sich aber am 25. Oktober Fragen des Innenausschusses (LIBE) im EU-Parlament stellen müssen.

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Author: Anna Biselli

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