Drücken Sie „Enter“, um den Inhalte zu überspringen

Rede zur Lage der Union: Kein Wort zur Chatkontrolle

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
In ihrer vermutlich letzten Rede zur Lage der Union feierte Kommissionspräsidentin von der Leyen die EU als weltweite Vorreiterin für digitale Rechte. Sie lobte abgeschlossene Gesetzesvorhaben und drängte auf einen Abschluss des AI Acts. Ein wichtiges Thema aber ließ sie aus.
Sie sprach über vieles, aber nicht über Chatkontrolle. – Alle Rechte vorbehalten European Union 2023Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, hat heute ihre jährliche Rede zur Lage der Europäischen Union gehalten. Darin setzt sie traditionell Schwerpunkte für die Politik des kommenden Jahres. Für von der Leyen ist es die letzte dieser Reden – zumindest, wenn sie ihren Posten nicht für weitere fünf Jahre übernimmt. Sie sprach eine lange Liste an digitalen Projekten der EU an, das geplante Gesetz zur Chatkontrolle (CSA-Regulierung) erwähnte sie aber nicht.
„Die viel kritisierte CSA-Regulierung ist in der Rede verdächtig abwesend“, sagte dazu Ella Jakubowska von der europäischen Digitalrechte-Gruppe EDRi zu netzpolitik.org. „Könnte das ein Beweis sein, dass die Europäische Kommission endlich auf die juristischen Einschätzungen mehrerer EU-Institutionen gehört hat, dass das Vorhaben nach EU-Recht illegal wäre?“ Zivilgesellschaftliche Organisationen hätten wiederholt darauf hingewiesen, dass das Gesetz auf einem fundamentalen Missverständnis von Technologie fuße.
Dem schließt sich auch Konstantin Macher von Digitalcourage an. Die beiden Organisationen haben heute, zusammen mit dutzenden anderen, einen offenen Brief zum Thema an die Kommission geschickt. „Von der Leyen hat über die Lage der Europäischen Union gesprochen, aber verschließt die Augen vor der Realität“, sagte Macher nun zur Rede von der Leyens.
„Die Lage ist ernst: Mit der Chatkontrolle gefährdet die EU-Kommission die Sicherheit von Millionen Menschen in der EU“, so Macher weiter. „Jetzt müssen die EU-Mitgliedstaaten die Reißleine ziehen und ihr Überwachungspaket stoppen.“ Die EU-Kommission antwortete nicht auf eine Anfrage von netzpolitik.org, ob das Fehlen des Vorschlags in der Rede eine besondere Bedeutung hatte.
Vorreiter für Online-Rechte, mehr Befugnisse für Frontex
Von der Leyen konzentrierte sich stattdessen auf die zwei großen Plattformgesetze der Kommission, den Digital Services Act und den Digital Markets Act. Diese würden Fairness gewährleisten und einen sicheren digitalen Raum schaffen. „Das ist eine historische Errungenschaft, und wir sollten stolz auf sie sein“, sagte die Kommissionspräsidentin in Straßburg. „Wir haben den Weg für den digitalen Wandel geebnet und sind weltweit Vorreiter bei den Online-Rechten.“
Gleichzeitig forderte sie für den Migrationsbereich neue Rechtsvorschriften und eine neue Führungsstruktur. „Wir brauchen eine strengere Anwendung des Gesetzes, strafrechtliche Verfolgung und mehr Befugnisse für unsere Agenturen – Europol, Eurojust und Frontex.“
KI-Gesetz noch nicht abgeschlossen
Zum Thema des Jahres, der Künstlichen Intelligenz (KI), zitierte von der Leyen einen Aufruf, den unter anderem OpenAI-Chef Sam Altman und Ex-Microsoft-Chef Bill Gates unterzeichnet haben: „Die Verringerung des Risikos, dass die KI zum Aussterben des Menschen führt, sollte neben anderen gesellschaftlichen Risiken wie Pandemien und Atomkriegen eine globale Priorität darstellen.“ Es gebe immer weniger Möglichkeiten, KI in verantwortungsvolle Bahnen zu lenken.
Die EU arbeitet dafür gerade an ihrem AI Act. Momentan befinden sich Kommission, Rat und Parlament in den Trilog-Verhandlungen, in denen die drei Institutionen ihre verschiedenen Entwürfe auf einen gemeinsamen Nenner bringen müssen. Dabei gibt es Befürchtungen, dass die Entwürfe von Parlament und Rat KI-Unternehmen ein Schlupfloch bieten könnten, die Bestimmungen für Hochrisiko-Systeme zu umgehen. Der AI Act wird aber, abgesehen von China, das international erste große KI-Gesetz sein – die USA sind bei der Regulierung ihrer Digitalindustrie weiterhin politisch gelähmt.
Von der Leyen sieht hier eine ähnliche Vorbildfunktion wie mit der Datenschutz-Grundverordnung, die weltweit als Blaupause für Datenschutzgesetze diente. Das sei der AI Act auch bereits, sagte sie. Er müsse nun so schnell wie möglich fertig werden.
EU muss sich verteidigen, andere bitte nicht
Nicht ganz eindeutig äußerte sich die Kommissionspräsidentin zum Handel. Hier kündigte sie einerseits an, eine Untersuchung chinesischer E-Autos starten zu wollen, weil diese gegen den fairen Handel verstoßen würden. Das könnte dazu führen, dass die EU Strafzölle auf die Autos erhebt. Sie habe auch nicht vergessen, wie chinesische Konkurrenten die europäische Solarindustrie vom Markt verdrängten. Europa müsse sich gegen unfaire Praktiken wehren.
Andererseits setzt sich die EU im Rahmen der E-Commerce-Verhandlungen, die seit Jahren bei der Welthandelsorganisation laufen, für ein dauerhaftes Verbot auf digitale Zölle ein. Viele ärmere Länder wehren sich gegen dieses mögliche Verbot, weil sie ihre wachsenden Digitalindustrien gegen die gewaltige Übermacht amerikanischer und chinesischer Tech-Riesen schützen wollen. „Schlauer Handel schafft gute Arbeitsplätze und Wohlstand“, wie von der Leyen heute sagte. Die WTO-Verhandlungen zu E-Commerce erwähnte sie ebenfalls nicht.

Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen. Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
Zur Quelle wechseln
Zur CC-Lizenz für diesen Artikel

Author: Maximilian Henning