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Selbstbestimmungsgesetz: Datenweitergabe an den gesamten Sicherheitsapparat

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Das Selbstbestimmungsgesetz sollte längst verabschiedet sein. Dann kam das Innenministerium mit einem Wunsch: Änderungen von Namen und Geschlecht sollen an den gesamten deutschen Sicherheitsapparat gemeldet werden. Ist das wirklich notwendig?
Menschen demonstrieren auf dem CSD Berlin. – Alle Rechte vorbehalten ImagoDie Liste ist so lang, sie zieht sich fast über eine Seite. Sie beginnt mit dem Bundeskriminalamt und geht weiter mit dem gesamten Sicherheitsapparat der Bundesrepublik, von Inlandsgeheimdienst bis zum Zoll. All diese Behörden sollen laut dem neuen Selbstbestimmungsgesetz in Zukunft aktiv benachrichtigt werden, wenn eine Person in Deutschland ihren Namen und Geschlechtseintrag ändert. Es wirkt wie Einschüchterung.
Gelandet ist dieser neueste Zusatz im Entwurf von Justizminister Marco Buschmann und Familienministerin Lisa Paus, weil das Bundesinnenministerium kurz vor der Sommerpause noch Bedenken anmeldete, das berichtet der Spiegel. Die Sorge: Kriminelle könnten die neuen Regelungen missbrauchen, um mit einer neuen Identität unterzutauchen. Ermittlungen würden dann ins Leere laufen.
Aber stimmt das wirklich?
Neuer Name in den Registern
Das neue Selbstbestimmungsgesetz ist eigentlich für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen gedacht. Wollen sie ihren Geschlechtseintrag und Namen ändern, mussten sie bisher zwei psychologische Gutachten vorlegen und die Änderung vor Gericht anerkennen lassen. Das Verfahren ist teuer und entwürdigend, das Verfassungsgericht hat das geltende Gesetz mehrfach für verfassungswidrig erklärt. Das neue Gesetz soll es einfacher machen: Eine Erklärung beim Standesamt genügt.
Doch genau dieser einfache Weg könnte jetzt missbraucht werden, fürchtet man im BMI. „Die Sicherheitsbehörden – insbesondere die Polizei – müssen wissen, wer eine Person ist und erfolgte Änderungen müssen nachvollziehbar sein“, sagt auch Alexander Poitz von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Eine Änderung der Identität einer Person dürfe nicht zur unnötigen Hürde für die Strafverfolgung werden.
Das Problem liegt im so genannten Offenbarungsverbot. Der alte Name, Deadname genannt, und der alte Geschlechtseintrag dürfen nach einer Änderung nur im Ausnahmefall offengelegt werden. Im Melderegister wird dieser alte Eintrag mit einer Sperre versehen. Dafür gelten nur einige wenige Ausnahmen.
Eine davon laut Kabinettsentwurf: Die Änderung darf an das Bundeszentralregister gemeldet werden. In dem Register beim Bundesamt für Justiz stehen die Daten aller Personen, die von einem deutschen Gericht zu einer Strafe verurteilt wurden. Strafen auf Bewährung stehen dort ebenso wie eine Sperre der Fahrerlaubnis. Ändert eine Person ihren Namen und Geschlechtseintrag, dann geht vom Standesamt automatisch eine Nachricht ans Register. Ist jemand vorbestraft oder musste den Führerschein abgeben, kommt in die Akte ein Hinweis: Das ist der neue Name.
Polizei will mehr Tempo
Diese Regel ist nicht neu, sie steht bereits im alten Transsexuellengesetz (TSG). Auch im Waffenregister etwa wird eine Änderung des Namens automatisch eingetragen. Warum fordert das BMI dann trotzdem eine aktive Meldung an alle Behörden? „Wir vermuten, dass die Quantität eine andere wird“, sagt Poitz von der GdP. Auf dem neuen Weg sei eine Änderung des Eintrag schließlich einfacher.

Außerdem geht es ums Tempo. Anfragen an das Bundeszentralregister können Ermittlungsbehörden schon heute stellen, das würde aber länger dauern. „Mit dem neuen Paragrafen wird ein Automatismus geschaffen.“ Eine direkte Meldung zu Änderungen des Identität sorgten für „ein schnelleres, effektiveres Handeln der Polizei. Informationsdefizite führen zu Zeitverzug und möglicherweise zu Erkenntnis- und Beweisverlusten.“
Das Bundesinnenministerium sorgte sich vor allem um den Bereich Extremismus und die organisierte Kriminalität. Gibt es nicht effektivere Methoden um abzutauchen als den Gang zum Standesamt, etwa mit gefälschten Papieren? Poitz hält die Meldeverpflichtung für gerechtfertigt. Schließlich trage die Bundesregierung politische Verantwortung. „Es geht um ein neues, zu verabschiedendes und dann geltendes Gesetz. Da sollte man mögliche Risiken rechtzeitig identifizieren und korrigieren, zumindest minimieren.“
Wer hat Zugriff?
Der Kabinettsentwurf muss noch um Bundestag debattiert und verabschiedet werden. Kommt er durch, würde das bedeuten: Die persönlichen Daten von Menschen, die ihren Geschlechtseintrag ändern, gehen automatisch an bis zu zehn verschiedene Bundesbehörden. Für Menschen mit mehr als einer Staatsangehörigkeit ist darunter auch das Bundesamt für Migration. Findet sich in den Datenbanken der Behörden oder Register kein Treffer zur Person, sollen sie die Daten „unverzüglich“ löschen.
Anders gesagt: Um Sicherheitsrisiken auszuschließen, nimmt das Gesetz nun in Kauf, dass diese Daten mit einem sehr weiten Personenkreis geteilt werden. Ist das gerechtfertigt? Die Antwort darauf liegt vermutlich im Detail: Was passiert, wenn es tatsächlich einen Treffer gibt? Wie viele Menschen würden die vorherigen Daten und damit die Änderung der Identität danach noch sehen können? Wie schnell müssen die Daten gelöscht werden, wenn kein Treffer vorliegt. Und vor allem: Wer überprüft das?
Zu all diesen Fragen hat die Bundesregierung bisher keine einzige Person befragt, die von dem neuen Gesetz tatsächlich betroffen wäre. Der Zusatz zu den Meldungen wurde über die Sommerpause in den Entwurf eingebaut und geht nun so direkt in den Bundestag. Eine neue Verbändebeteiligung gab es nicht.
In den Verbänden für trans und nichtbinäre Personen sortiert man sich derweil noch. Der Verein Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) schreibt in einer Pressemitteilung: „Die Aufzählung, an wen Daten übermittelt werden dürfen trotz Offenbarungsverbot, verunsichert und lässt an dunkle Zeiten erinnern, wo Listen über queere Menschen geführt wurden.“ Aber auch, dass die Weitergabe der Daten die Rechtslage kaum verschlechtere.
„trans* Personen unter Generalverdacht“
Im Bundesverband Trans* ist man dabei, juristische Einschätzungen einzuholen, sagt Kalle Hümpfer. Der Verband hatte den Entwurf ausführlich kritisiert, das war noch bevor dort der neue Melde-Paragraf aufgetaucht ist. Schon damals schrieb der Verband: „Es ist sehr dringend zu hinterfragen, an welcher Stelle das Offenbaren eines abgelegten Vornamen oder Geschlechtseintrags aus Gründen des öffentlichen Interesses erforderlich ist und diese Erforderlichkeit gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person überwiegt.“
Aufgenommen wurden die Kritikpunkte nicht. Den aktuellen Entwurf nennt Hümpfner „historisch“, sagt aber auch: „Regelungen, die trans* Personen unter einen Generalverdacht stellen und das Diskriminierungsrisiko erhöhen, müssen ersatzlos gestrichen werden.“

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Author: Chris Köver

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