Drücken Sie „Enter“, um den Inhalte zu überspringen

Selbstbestimmungsgesetz: Unter Generalverdacht

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Menschen sollen in Zukunft selbst erklären können, mit welchem Geschlecht sie im Personenstandsregister stehen wollen. Eigentlich simpel. Doch die Bundesregierung baut im Selbstbestimmungsgesetz irrationale Klauseln ein – und will die Daten hemmungslos an den Sicherheitsapparat weitergeben. Ein Kommentar.
Schafft es selbst Herzensprojekte zu ramponieren: Die Ampel beim Selbstbestimmungsgesetz. – Alle Rechte vorbehalten Imago / Christoph HardtDie letzte große Keule kam vom Innenministerium. Schon zuvor waren jede Menge Generalverdachts-Klauseln in das Selbstbestimmungsgesetz reingepresst worden, vom Saunabesuch bis zum Dienst an der Waffe. Aktivist:innen sprechen deswegen inzwischen von einem „Appeasement-Gesetz“ aus dem Justiz- und Familienministerium, gespickt mit Zugeständnissen. Beruhigungsklauseln selbst für jene, die trans oder nicht-binären Personen teils nicht mal den Respekt entgegenbringen, sie mit dem korrektem Namen und Pronomen anzusprechen.
Kurz vor der Ziellinie im Juni fielen dann selbst dem Innenministerium noch Möglichkeiten für einen kreativen Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes auf: Kriminelle könnten das neue Gesetz dazu nutzen, um bei laufenden Ermittlungen unterzutauchen. Deswegen müsse die Änderung des Namens und Geschlechtseintrags bitte automatisch an den gesamten Sicherheitsapparat der Bundesrepublik Deutschland gemeldet werden. Und wenn hier gesamt steht, dann ist wirklich gesamt gemeint. Wer seinen Geschlechtseintrag ändert, wird nämlich an folgende Behörden zum Datenabgleich gemeldet:

Bundeskriminalamt,
Bundespolizei,
Bundesverwaltungsamt zum Nationalen Waffenregister und zum Ausländerzentralregister
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, (für alle, die nicht nur die deutsche Staatsangehörigkeit haben)
Bundesamt für Verfassungsschutz,
Bundesamt für den militärischen Abschirmdienst,
die jeweils zuständigen Landeskriminalämter,
Zollkriminalamt,
Hauptzollämter, Finanzkontrolle Schwarzarbeit sowie
Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen.

Wie bitte? Nach einem Moment der Fassungslosigkeit fallen einem dazu vor allem Fragen ein. Etwa: Warum um alles in der Welt sollte eine Person, die einen Anschlag plant oder aus dem Umfeld der organisierten Kriminalität kommt, ausgerechnet zum Standesamt laufen um abzutauchen? Was würde so eine Person nach der Änderung ihres Geschlechtseintrags und Namens genau tun? Sich mit neuem Personalausweis in die Provinz absetzen? Trotz laufender Fahndung unbemerkt ausreisen? Selbst ohne kriminelle Vorerfahrung fallen einem spontan zig einfachere Möglichkeiten ein, um in den Untergrund zu gehen.
Wer kontrolliert die Löschung der Daten?
Selbst wenn so ein Szenario theoretisch denkbar wäre – man sollte ja nun wirklich nichts ausschließen, wenn es darum geht, Grundrechte zu gewähren – müssten bei so einer Forderung alle Alarmglocken angehen. Denn auf der anderen Seite der Gleichung in dieser Abwägung stehen die persönlichen Daten von Menschen, die ohnehin schon mit hoher Wahrscheinlichkeit gehasst, angegriffen und bedroht werden. Für deren Anerkennung, Menschenwürde und Rechte dieses Gesetz eigentlich sein soll. Und die nun im Tausch für ihr Recht hinnehmen müssen, dass sie wie Betrüger:innen und Kriminelle gehandelt werden.
Zwar sollen die Daten unverzüglich gelöscht werden, wenn nichts gegen eine Person vorliegt. Aber wie soll das bitte bei einem Verfassungsschutz gehen, der sowieso nicht richtig kontrolliert wird? Wie schnell ist eigentlich unverzüglich? Und ist die größere Gefahr nicht, dass ein Inlandsgeheimdienst irgendwelche geheimen Datenbanken von trans Personen anlegt? Oder dass irgendjemand in einer dieser vielen Behörden das Wissen um den abgelegten Namen und alten Geschlechtseintrag eines Menschen missbraucht? Statistisch gesehen sind trans Personen nicht Täter:innen, sondern Opfer von Gewalt. Sie alle werden mit diesem Teil des Gesetzes unter Generalverdacht gestellt.
Absurde Zugeständnisse
Aber sicher ist sicher. Die Liste der Behörden steht jetzt im Kabinettsentwurf. Ein weiteres Zugeständnis in einem Gesetz voller Zugeständnisse – in diesem Fall an die eigene Koalition. Offenbar hat man im zuständigen Familien- und Justizministerium ohnehin schon aufgegeben, sich bei diesem Vorhaben von der Vernunft leiten zu lassen. Verhindern könnte den Paragrafen jetzt nur noch der Bundestag, der das Gesetz als nächstes beraten muss.
Das Selbstbestimmungsgesetz war eigentlich ein Herzensprojekt der Ampelkoalition. Es hätte ein großer Moment werden können, eine lange fällige Befreiung für unzählige Teenager und Erwachsene, für die ihr amtlich zugeschriebenes Geschlecht nur ein Gefängnis ist. Und ein Versprechen: Ab jetzt wollen wir anders und respektvoll mit euch umgehen. Jetzt hat sich die Ampel diesen Moment kaputt gemacht. Zu verdanken hat sie das nur sich selbst.

Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen. Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
Zur Quelle wechseln
Zur CC-Lizenz für diesen Artikel

Author: Chris Köver

Die sozialdemokratie im stadtbezirk köln chorweiler. Das ist die honey pot seite, die wp statistics benutzt. Dieses bild teilen :.