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Shoa-Gedenken? Verschoben.

Das Gedenken an die Shoa ist von den Überlebenden und ihren Verbündeten hart erkämpft worden. Zumindest in der demokratischen Mehrheitsgesellschaft war es lange unantastbar, diente es doch auch als Vorzeige-Ritual der “Wiedergutwerdung” und verdeckte ideologische und personelle Kontinuitäten. Doch nun scheint auch das zu bröckeln: In Sachsen-Anhalt musste die Holocaust-Gedenkveranstaltung des Landtags einem Bauernprotest weichen. In Freital wurde sie in Folge der versuchten Vereinnahmung durch die rechtsextreme AfD ganz abgesagt.

Gedenkveranstaltungen zur Shoa

“Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen.” Mit diesen bedeutungsschweren Worten proklamierte der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog (CDU) den 27. Januar als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Es hat nach der militärischen Niederlage der Nazis51 Jahre gedauert, ehe man sich auch parlamentarisch dazu durchringen konnte, diesen Tag als gesetzlich verankerten Gedenktag einzurichten. Man richtete sich dabei an der Befreiung des Ortes aus, der zum Synonym für die Grauen der Shoa geworden ist: die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945. Auch die Vereinten Nationen beschlossen 2005, dass der 27. Januar fortan dem Gedenken an die Shoa gewidmet sein sollte. 

Rund um diesen Tag werden üblicherweise langfristig Veranstaltungen geplant: Kranzniederlegungen, Ansprachen, Filmvorführungen, Gedichtlesungen, Gedenkstättenbesuche. Es sind Rituale einer Erinnerungskultur, die heute in vielerlei Hinsicht unter Druck steht. Für Veranstaltungen im parlamentarischen Kontext spielen dabei unterschiedliche Faktoren eine Rolle, wie z.B. die Plenarplanung. Der Deutsche Bundestag hat seine alljährliche Gedenkstunde, die am 31.1.2024 stattfinden wird, unter das “Zeichen der generationenübergreifenden Aufarbeitung des Holocausts” gestellt. 

Dafür ist „Erinnerungskultur“ da

Gedenkveranstaltungen anlässlich der Shoa finden in Deutschland nicht nur statt, um der Ermordeten zu Gedenken. Die heute versteinert anmutenden Rituale der Erinnerungskultur sind in harten und frustrierenden Kämpfen durch Überlebende und ihre wenigen Verbündete erkämpft worden. Ursprünglich sollten sie das Schweigen hinsichtlich der deutschen Täter*innenschaft beenden. Sie füllten die Erinnerungskultur mit Leben und forderten Verantwortung ein, nicht nur für das Gestern, sondern auch für die antisemitische und rassistische Gewalt, die bis in die Gegenwart weiterlebte.

Sie kämpften darum, wie diese Gesellschaft sich selbst versteht. Und genau dafür ist „Erinnerungskultur“ da. Sie soll mit Blick auf das gestern sagen, wie sich diese Gesellschaft heute begreift. Das betonte auch Deborah Hartmann, Leiterin der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz: “Der 7. Oktober zeigt, dass die Vergangenheit nicht vergangen ist. Gegenwartsbezüge sind notwendig, wenn wir die Relevanz der Vergangenheit vermitteln wollen.” Gegenwärtig, so Hartmann, werde Erinnerungskultur allerdings “in Deutschland oft als eine Bekenntniskultur wahrgenommen. Sie erschöpft sich in Appellen, man solle sich zur erinnerungskulturellen Verantwortung Deutschlands bekennen.” 

“Entkernte Erinnerung”

Doch heutzutage erleben wir immer häufiger, dass diese Rituale entkernt werden. Ihnen wurde nahezu jegliche kritische Impulse geraubt und sie werden zur Selbstbestätigung genutzt. Sie sollen Deutschlands Selbstbild bestätigen als “wiedergutgewordene” Nation. So schrieb der Essayist Eike Geisel: „Je heftiger sie sich mit den jüdischen Toten beschäftigten, desto lebendiger wurden sie selbst. Je gründlicher sie erforschten, was jüdisch sei, desto fundamentaler erfuhren sie sich als Deutsche“. Es gibt also nicht eine Erinnerungskultur, sondern unterschiedliche Impulse, die in ihr verflochten sind. 

Die logische Konsequenz dieser “Wiedergutwerdung” ist allerdings, dass schlussendlich ein Schlussstrich gezogen wird. Die Rituale sind von Bedeutung. Sie sind letzten Endes ein Bollwerk, das mit der Kraft der Geschichte versucht einer Gegenwart etwas entgegenzuhalten, in der die Kontinuitäten der Geschichte aufreißen. Sie sind Anerkennung des Leids für Überlebende und ihre Angehörigen. Und sie weisen, wie die diesjährige Gedenkstunde im Bundestag, auf das intergenerationelle Trauma hin, das auch die folgenden Generationen in sich tragen. 

Wenn die Erinnerungsrituale an die Shoa zur Verhandlungsmasse werden, ist das ein Schlag ins Gesicht. Für die Überlebenden, ihre Nachfahren, aber auch für diejenigen, die heute von Antisemitismus bedroht sind. Es zeigt, wie diese Gesellschaft priorisiert. In einer Situation, in der die antisemitische Gewalt jüdische Gegenwart bedroht, ob am 9. Oktober 2019 oder in Folge des 7. Oktober 2023, wird die Erinnerung geschwächt. Und in diesem Kontext müssen dann auch die Ereignisse aus Freital und Magdeburg gerückt werden. 

Absage in Sachsen und Verschiebung in Sachsen-Anhalt

Erst wurde öffentlich, dass turnusgemäß die extrem rechte AfD eine Rede bei der diesjährigen Gedenkveranstaltung am 27. Januar halten sollte. Der Ältestenrat des Freitaler Stadtrats bestätigte diese Entscheidung. Wer genau die Rede halten sollte, wurde nicht erklärt. Weil Störungsaktionen nicht auszuschließen seien, erklärte der Oberbürgermeister der Stadt, Uwe Rumberg (Wählervereinigung Konservative Mitte), das man die Veranstaltung absagen muss. Es sei so kein “würdiges und friedliches Gedenken […] möglich”, und man möchte “Schaden von der Veranstaltung und dem aufrichtigen Erinnern” abwenden.

Die sächsische AfD wird in Gänze vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. Dass gerade ein Vertreter dieser Partei die Rede halten sollte, ist besonders bizarr, stellte doch eine Repräsentativbefragung des American Jewish Committee Berlin 2022 fest, “dass antisemitische Einstellungen unter den Wählerinnen und Wählern der rechtsextremistischen Alternative für Deutschland (AfD) besonders weit verbreitet sind.” Hinzu werden in der Partei regelmäßig antisemitische Verschwörungserzählungen wie der “Große Austausch” verbreitet und der “Schlussstrich” hinter die Shoa gefordert. Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, nannte das Vorgehen in Freital darum “schamlos”.

Begründung

Genauso muss dann auch die Pressemitteilung des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt, Dr. Gunnar Schellenberger (CDU) vom 25. Januar 2024 eingeordnet werden. Darin wurde von der Entscheidung berichtet, die zentrale Gedenkstunde des Landes Sachsen-Anhalt aus Anlass des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus ebenso abzusagen, wie auch die vor der Gedenkstunde am Denkmal für die verfolgten und ermordeten Magdeburger Sinti*zze und Rom*nja am Domplatz der sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt vorgesehene stille Kranzniederlegung.

Als Begründung gab Schellenberger an, dass es am 27. Januar am Domplatz zu einer Bauern-Demonstration mit 2.500 Teilnehmenden sowie ca. 300 Traktoren kommen soll. Angemeldet wurde die Demonstration vom Landesbauernverband Sachsen-Anhalt. Im Plenarsaal und auf dem Domplatz sei kein “angemessenes, würdiges Gedenken” möglich und genauso wenig könnten Sicherheit und ungehinderte An- und Abreise gewährleistet werden. Besonders irritierend dabei: Der Organisator der Proteste ist ein Fraktionskollege von Schellenberger: Olaf Feuerborn, Landtagsabgeordneter für die CDU im Wahlkreis Köthen und seit 2016 Präsident des Bauernverbandes Sachsen-Anhalt.

Konsequenzen nur halbherzig

Nachdem der Skandal öffentlich wurde, traf der Bauernverband die Entscheidung seine Kundgebung zu verschieben. Bauernpräsident und CDU-Abgeordneter Feuerborn betont gegenüber der Jüdischen Allgemeinen, dass man in engem Austausch mit Landtagspräsidium und Versammlungsbehörde gestanden habe. So sollte verhindert werden, dass es zu einer Störung des Gedenkens kommt. Doch der Landtag erklärte ebenfalls gegenüber der Jüdischen Allgemeinen, dass sich an der Entscheidung der Verlegung des Gedenkaktes nichts ändern würde. Lediglich die Kranzniederlegung am Denkmal solle nun doch stattfinden. Der Bauernverband selbst gab ebenfalls ein Statement ab: “Diese Gedenkveranstaltungen zu beeinträchtigen, war vonseiten der Organisatoren nicht beabsichtigt. Aus Respekt nehmen wir Rücksicht auf den Gedenktag und planen die Verschiebung unserer Kundgebung auf den Sonntagnachmittag.”

Aus der Opposition hagelte es nach der ersten Absage Kritik: Die Fraktionschefin der Grünen, Cornelia Lüddemann sprach gegenüber der dpa von “Instinktlosigkeit” und einem Alleingang des Landtagspräsidenten. Auch Igor Matviyets, der für die SPD für den Landtag Sachsen-Anhalt kandidiert hat und Mitglied der Jüdischen Gemeinde Halle und Aktivist gegen Antisemitismus ist, äußert Kritik. Er empfinde es als “enttäuschend, dass dieses Bundesland immer wieder solche Schlagzeilen produziert.” Damit meint er Vorfälle, wie antisemitische Aussagen bei der Landespolizei, von Landtagsabgeordneten der CDU und “Gedankenspiele das ‘Soziale’ mit dem ‘Nationalen’ zu verbinden aus der Unionsfraktion.” Der ganze Vorfall “lindert die Lebensqualität für mich als Jude in Sachsen-Anhalt enorm”, führt Matviyets aus. Es stelle sich das “Gefühl” ein, “dass man eine Last ist, dass man bei der erstbesten Gelegenheit vergessen wird, ist sehr präsent.“

Fazit

Die Vorfälle in Freital und Magdeburg, wo das Shoa-Gedenken aufgrund von AfD-Redner:innen bzw. Bauernprotesten abgesagt wurde, sind beschämend und trotzdem nicht außergewöhnlich. Die Erinnerungskultur steht seit Jahren zunehmend unter Druck. Besonders durch einen Schlussstrich-Antisemitismus. So kritikwürdig ewig-gleiche Politiker*innenreden sind, so wichtig ist es doch, dass politisch-parlamentarisch die Notwendigkeit des Gedenkens an die Shoa bestärkt wird. 

Dabei ist es wichtig, dass die progressiven Impulse der Erinnerungskultur geborgen und wieder mobilisiert werden. Sie muss zu einer pluralen Gesellschaft passen und Verantwortung für das betonen, woran man ganz handgreiflich keine Verantwortung trägt. Wenn politische Entscheidungsträger*innen aber so unwürdig und verantwortungslos handeln, wie es in Freital und Magdeburg der Fall ist, dann ist das ein Schlag ins Gesicht für die Überlebenden, ihre Nachfahren und alle von Antisemitismus betroffenen. 

Artikelbild: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

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