Köln | Was für ein Bild: Drei Gänse stehen in einer Pfütze an einer der einzigen Ein- und Ausfahrten auf das Kölner Großmarktgelände. Kommen Fahrzeuge auf sie zugefahren treten sie ein wenig zur Seite, den Abflug machen sie nicht. Teile der SPD Landtagsfraktion und SPD-Vertreter aus der Kommunalpolitik aus dem Rat und Bezirken, trafen heute Morgen um 4.30 Uhr Markthändler und ihre Vertreter. Der SPD geht es um Ernährungssicherheit und den Erhalt des Kölner Großmarktes.
Ortstermin auf dem Kölner Großmarkt
Es ist kurz nach vier Uhr Morgens im Kölner Stadtteil Ehrenfeld: Einbahnstraße Venloer Straße. Ein Lkw fährt unerlaubt rückwärts durch die fast menschenleere Straße entgegen der Fahrtrichtung. Sein Alarmsystem piept. Die Mehrzahl der Ehrenfelderinnen und Ehrenfelder befinden sich in diesem Moment sicher noch im Tiefschlaf. Der schwere Lkw bringt Lebensmittel für eine Supermarktkette, denn später am Tag wollen die Ehrenfelder sich versorgt wissen. Auf der Inneren Kanalstraße in Richtung Großmarkt ist zu der Zeit schon viel los: Vans, Lkw und Kleintransporter streben nach Raderberg. Dort wuselt es. Eine schier unzählbare Anzahl an Gabelstaplern sausen mit oder ohne Paletten umher. Ameisen werden geschoben. Kleintransporter stehen neben großen Lkw und frische Ware wird umgeladen. Es ist 4.30 Uhr und der Pulsschlag des Kölner Großmarktes kommt schon fast wieder zur Ruhe, denn die Deals sind gemacht, die Paletten mit dem frischen Spargel, Salat oder Erdbeeren werden jetzt verladen und in die Stadt und Region gebracht.
Im südlichen Teil des Großmarktgeländes stehen Baukräne und, auch an anderen Stellen, Bauzäune. Die Fläche auf dem Raderberger Großmarkt wird kleiner, die Stadt rückt dem Markt auf die Pelle. Denn dort, wo heute noch der Großmarkt ist, soll ein Wohn- und Gewerbeviertel entstehen. Feinster und teuerster Kölner Grund- und Boden, der gewinnbringend vermarktet werden kann. Die Händler sagen, dass sie nicht dagegen sind. Aber sie fordern eine Alternative, einen alternativen Standort für ihren Handel, für ihre Lager und die damit einhergehende Logistik.
Kleine und mittlere Betriebe
Wer sich die Mühe macht, den Schreibtisch zu verlassen und sich eine Stunde auf dem Kölner Großmarkt umsieht, wird das, was die Händler sagen nachvollziehen können. Michael Rieke als Vertreter der Händler führt über den Großmarkt. Rund 160 Händler haben sich angesiedelt und 2.000 Menschen arbeiten in Köln-Raderberg. Rieke beschreibt die Funktionalität eines zentralen Großmarktes, der Lager und Logistik-Drehscheibe für die Versorgung der Stadt und Region ist. Ware kommt mit großen Fahrzeugen an, wird gehandelt und mit kleineren Fahrzeugen dezentral in der Stadt verteilt. Es ist eine funktionierende Struktur, die neben den großen Supermarktketten, die Versorgung der Stadtgesellschaft sicherstellt. Die etwa die Gastronomen oder Wochenmärkte versorgt. Die Gastronomen kämen heute zwar nicht mehr selbst, aber über eine Lieferkette seien diese mit den Händlern ihres Vertrauens auf dem Großmarkt verbunden. Zudem hebe das Netzwerk auf dem Großmarkt Synergieeffekte. Rieke macht sich stark für einen zentralen Ort, an dem die Versorgung der Stadt organisiert werde.
Rieke beschreibt auch die Schwierigkeiten, die es gibt, wenn die Stadt sich gefräßig in die Flächen des Großmarktes bewegt. Für die Logistik wird es immer enger. Wer früh aufsteht, kann sich das dort ansehen. Sorgen macht den Händlern die Deadline 31. Mai 2025, wenn das Licht auf dem Großmarkt ausgeht und es keine Alternative gibt. Die Alternative ist, trotz jahrzehntelanger Debatte, aber nicht in Sicht. Die Stadt und die Kommunalpolitik spiele Ping Pong und biete keine Planungssicherheit für die Händler. Was das bedeutet, beschreibt Rieke klar und deutlich: Wenn ein Händler in Raderberg eine neue Kühlung benötige und diese finanzieren wolle, erhalte dieser von seiner Bank eine negative Auskunft, denn das Gelände werde ja aufgegeben. Banken investieren nun mal in Zukunft.
„Wir lieben den Wettbewerb hier“
Michael Rieke, Vertreter der Händler auf dem Kölner Großmarkt zur Struktur des Marktgeschehens
Die Händler seien sensibilisiert und bereit umzuziehen. Aber es fehlt die Alternative, ob Kölner Norden oder Köln-Marsdorf. Die Fläche müsse zudem so groß sein, dass sie ein Entwicklungspotenzial für Handel mit Showroom und Logistik biete, der für einen mittelfristigen Zeitraum von 30 Jahren ausreiche. Rieke macht deutlich, dass die Händler aufgeschlossen seien für eine Genossenschaft, in der auch die Stadt Köln eine Rolle spiele. Händler Heep machte deutlich, dass er die Verantwortung für 35 Mitarbeitende trage und jetzt wissen müsse, wie es weitergehe. Bauen sei bei dem engen Zeitfenster schon nicht mehr möglich, sondern er müsse demnächst Lagerkapazität und Verkaufsflächen mieten, obwohl er eine Großmarktstruktur vorziehe.
Atomisierte Struktur nicht hilfreich
Der Idee der Grünen, mehr kleine Food Hubs zu etablieren, erteilen die Händler aus ihrer Markterfahrung heraus eine Absage. Dadurch würde der Handel atomisiert und mehr Ressourcen würden für Redundanzen verbraucht. Gerade ein zentraler Ort für den Handel biete die Möglichkeit, Synergien zu schaffen. Gerade in der Struktur der kleinen und mittleren Betriebe könne der eine nicht ohne den Anderen. Dies bestätigte auch ein Dienstleister, der zwischen den Händlern auf dem Großmarkt und Kölner Gastronomen mit seinem Lieferservice agiert. So fährt er heute einen zentralen Ort in Raderberg an, kauft und lädt. Anschließend beginnt die Logistik der Verteilung. Mehrere Orte für den Einkauf anzusteuern sei zeitlich gar nicht machbar, so der Dienstleister.
Regionale Produkte
Spargel aus Uedem liest René Schneider von der SPD-Landtagsfraktion vor und sieht sich bestätigt, dass auf dem Großmarkt regionale Produkte gehandelt würden. Auch durch das, was einer der Händler sagt: Wir verkaufen hier deutschen Spargel und deutschen Salat. Die kleinen und mittelständischen Produzenten vor Ort – also etwa Landwirte, die für die großen Supermarktketten uninteressant, weil zu klein, sind, verkaufen ihre regionalen Produkte über den Kölner Großmarkt. Die Händler unterstellen der Stadt Köln und der Kommunalpolitik, dass diese gar nicht wisse, was alles in ihrem Umland angebaut werde. Jochen Ott, Fraktionsvorsitzender der SPD-Landtagsfraktion fragt dann auch bei den Händlern nach, ob sie zu Veranstaltungen der Ernährungsräte geladen würden, was diese verneinen. Ott zeigt sich überzeugt, dass es wichtig sei, die richtigen Menschen zusammenzubringen und der Kölner Großmarkt eine zentrale Rolle spielen könne bei der Distribution regionaler Lebensmittel auch in Schulen, Großküchen oder Kitas.
„Wir sind nicht Deutsch genug für die“, sagt ein Mann mit internationalen Wurzeln. Ein deutscher Arbeiter entgegnet sofort: „Quatsch“. Der Mann zielt in seiner Frustration über die Hängepartie Großmarkt darauf ab, dass auf dem Großmarkt viele Menschen mit internationaler Familiengeschichte ihrer Arbeit nachgingen.
Die Großmarkt-Standorte in NRW
Die SPD Landtagsfraktion hat nachgezählt. In NRW gibt es noch acht Standorte mit Großmärkten. Neben dem in Köln, dessen Zukunft ungewiss ist, steht der Großmarkt in Düsseldorf auf der Kippe und soll schon dieses Jahr geschlossen werden. Die SPD Landtagsfraktion besuchte heute alle Standorte in unterschiedlicher Besetzung. Die SPD brachte in den Landtag einen Antrag ein (Drucksache 18/6386) mit der Forderung, die Ernährungssicherheit in NRW zu gewährleisten und alternative Vertriebswege offen zu halten. Sie stellt fest: Ohne Großmarkt kein Wochenmarkt. Denn für die Wochenmärkte seien die Großmärkte die zentralen Vertriebszentren. Die SPD befürchtet nicht nur eine Lücke bei der Versorgungssicherheit der Bevölkerung, sondern auch eine weitere Stärkung der Marktmacht der großen Supermarktketten. Die Sozialdemokraten sprechen von einem Oligopol.
Die Sozialdemokraten weisen zudem auf die Entscheidungen des Europäischen Parlaments hin, das die Großmärkte als strategisch wichtig für die Ernährungssicherheit erachtete. Zudem seien die Großmärkte wichtige Absatzmärkte für die regionale Landwirtschaft. Vor allem im Krisenfall, wie es die Corona-Pandemie bewiesen habe, seien sie wichtige Glieder in der Versorgungskette. Unter anderem will die SPD mit ihrem Antrag erreichen, dass das Vorhalten einer funktionierenden Großmarktstruktur zur Daseinsfürsorge gehöre und Aufgabe der öffentlichen Hand sei. Die Landesregierung solle eine Studie beauftragen, die die Vertriebswege landwirtschaftlicher Erzeugnisse in NRW untersuche und die Stärken und Schwächen der acht Großmarktstandorte benenne. Zudem fordert die SPD auf der Basis dieser Erkenntnisse eine Strategie zu entwickeln, die die Lebensmittelversorgung resilient mache und die Beschlüsse auf EU-Ebene auch im Land NRW umsetzen könne. Die Landesregierung solle vermitteln, so eine Forderung der SPD und sich für die Großmärkte einsetzen. In der Pflicht sehen die Sozialdemokraten Ministerpräsident Wüst, aber auch das Umwelt- und Landwirtschaftsministerium.
Und für den Kölner Großmarkt? Die Händler sagen, dass sie den Wettbewerb untereinander auf dem Großmarkt lieben würden. Sie brauchen Planungssicherheit. Der 31. Mai 2025 steht kurzfristig bevor. Eine Verlängerung des Großmarktgeländes in Raderberg scheint die einzig gangbare Alternative. Denn in so kurzer Zeit kann kein Alternativstandort geplant, genehmigt und gebaut werden. Die Kölner Kommunalpolitik manövrierte sich mit ihrer Idee, den FC in Marsdorf anzusiedeln in eine Sackgasse. Das Fußballunternehmen auf Aktien erteilte der Kommunalpolitik jetzt eine Absage für Marsdorf. Die Händler fordern daher Planungssicherheit und, dass sie so lange in Raderberg weiter wirtschaften können, bis es eine Alternative gebe. Denn eines ist auch klar: sollten am 31. Mai 2025 die Lichter auf dem Großmarkt ausgehen, dann steht nicht nur das Marktgeschehen still dort, sondern jahrzehntelange Geschäftsverbindungen stehen auf dem Spiel.
Jochen Ott stellte die Entscheidung pro Großmarkt in den Kontext einer politischen Willensbildung für die er warb und damit für kleinere und mittlere Betriebe, die oft im politischen Getriebe keine Lobby oder Traktoren hätten. Aber wer weiß, vielleicht rollern ja bald Gabelstapler vor den Spanischen Bau, wenn dort Ratssitzung ist.
Die SPD-Politikerinnen und Politiker naschten auf dem Kölner Großmarkt erst einmal an roten Früchten: frischen Erdbeeren. Die Gänse in der Pfütze sind, wie die Händler, noch nicht aus Raderberg abgeflogen oder weitergezogen. Es ist ja auch noch unklar, wo der nächste Halt Großmarkt sein kann oder ob es diesen überhaupt noch geben werde.