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Superdatenbank EES zum vierten Mal verschoben: EU-Direktorin stellt keine Schadenersatzforderungen an früheren Arbeitgeber

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Das „Ein-/Ausreisesystem“ (EES) soll die größte europäische Biometriedatei schaffen. Für die inzwischen dreijährige Verschiebung des Systems wird unter anderem Atos verantwortlich gemacht. Zwei Führungspersonen des Konzerns haben hohe Posten in Brüssel inne, darunter auch zur Umsetzung des nun verspäteten Systems.
Die Grenzbehörden der EU-Mitgliedstaaten sollen Fingerabdrücke und Gesichtsbilder von sämtlichen Reisenden in die Union speichern. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Manfred SegererDie Inbetriebnahme des neuen europäischen „Ein-/Ausreisesystem“ (EES) wird sich abermals verzögern. Dies hat die Direktorin der Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen (eu-LISA) den EU-Innenminister:innen nach Informationen von netzpolitik.org auf ihrem jüngsten Ratstreffen mitgeteilt. Die in Tallinn ansässige Agentur ist für das Hosting und den Betrieb des EES verantwortlich.
Es ist die vierte Verschiebung des EES, das ursprünglich 2021 starten sollte. Als neuer Termin für die Bereitstellung des Zentralsystems gilt der Frühsommer 2024. Bis dahin müssen die einzelnen Mitgliedstaaten aber noch ihre nationalen Systeme einrichten, testen und in Betrieb nehmen.
Größte europäische Biometriedatei
Im EES speichern die Grenzbehörden der EU-Mitgliedstaaten Fingerabdrücke und Gesichtsbilder von sämtlichen Reisenden in die Europäische Union. Dabei erfolgt ein Abgleich mit einschlägigen Datenbanken von Polizei- und Grenzbehörden auf der Suche nach möglichen Ausschreibungen zur Fahndung oder anderen Auffälligkeiten. Anschließend werden die Daten für drei Jahre gespeichert. Mit mehreren hundert Millionen Einträgen soll das EES die größte europäische Biometriedatei werden.
Entgegen einer Aufforderung der EU-Innenminister:innen vom vergangenen März hat eu-LISA noch immer keinen exakten Zeitplan für den Start des EES vorgelegt. Sollte es sich weiter verzögern, könnte eine fünfte Verschiebung sogar deutlich länger andauern. Die Regierung in Paris besteht darauf, dass das System nicht während der Olympischen Spiele startet, die im Sommer 2024 in Frankreich abgehalten werden. Mit der Verarbeitung biometrischer Daten verlängern sich die Wartezeiten der Einreisenden deutlich, laut einer deutschen Schätzung sogar um das Dreifache. Bei der Abfertigung von Besucher:innen der Olympiade würde dies für große Probleme an den französischen Flughäfen sorgen.
Die verspätete Inbetriebnahme des EES hat Konsequenzen für die Einführung des damit gekoppelten Reiseinformationssystems ETIAS. Darüber sollen alle Reisenden aus Nicht-EU-Staaten, die kein Visum für die EU benötigen, ihren Aufenthalt vorher anmelden. Das EES soll zudem zentraler Bestandteil des ebenfalls schleppend vorankommenden „Projekts Interoperabilität“ werden, in dem die EU alle vorhandenen biometrischen Systeme zusammenführen will.
Firmen schuld an der Verschiebung
Die Verspätung des EES lastet eu-LISA den Firmen an, die für dessen Einrichtung verantwortlich sind. Die Ausschreibung über 142 Millionen Euro gewann 2019 die Firma Atos mit einem Konsortium aus IBM und Leonardo. Nach Angaben von eu-LISA haben sich die Kosten für den Auftrag bereits um rund 30 Millionen Euro erhöht. Jedoch wollen Atos & Co keine Verantwortung für die nunmehr dreijährige Verschiebung übernehmen, eine finanzielle Entschädigung wird bislang ebenfalls ausgeschlossen. Bislang hat eu-LISA dies auch noch nicht offiziell gefordert.
Die Zurückhaltung könnte an der neuen Direktorin von eu-LISA liegen. Im Januar hat der Verwaltungsrat der Agentur hierzu Agnès Diallo ernannt. Diallo arbeitete bis dahin in verschiedenen IT-Konzernen als Beraterin und hatte auch bei Atos „eine Reihe von Führungspositionen“ inne, schreibt eu-LISA in einer Pressemitteilung. In der Geschäftsleitung war sie dort unter anderem für die „Verbesserung der Verkaufsprozesse“ zuständig. Dabei hat Diallo auch mit eu-LISA zusammengearbeitet, bestätigt die Agentur.
„Zehn interne Lobbyisten in Brüssel“
Atos erhält seit mehr als zwei Jahrzehnten Großaufträge für die Einrichtung großer Datenbanken von der EU. Unter anderem war der Konzern in den 90er-Jahren für die Entwicklung des Schengener Informationssystems (SIS) verantwortlich, zusammen mit anderen Firmen auch für ein Upgrade auf das SIS II. Das erst 2014 in Betrieb gegangene SIS II hatte sich insgesamt um sieben Jahre verspätet. Weitere Arbeiten übernahm Atos für das Visumsinformationssystem (VIS). Auch am „Projekt Interoperabilität“ ist Atos im Rahmen eines Konsortiums beteiligt, das dafür 442 Millionen Euro erhält.
Die zahlreiche EU-Auftragsvergabe an Atos mag auch an der Lobbyarbeit der Firma liegen, die regelmäßig an Treffen mit der Kommission teilnimmt und „zehn interne Lobbyisten in Brüssel“ beschäftigen soll. Diese Kontakte dürften sich 2019 sogar deutlich verbessert haben: In dem Jahr hatte die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den damaligen Atos-Geschäftsführer Thierry Breton als Kommissar für Industrie und Binnenmarkt berufen.

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Author: Matthias Monroy

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