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Trilog-Einigung: Kein effektiver Widerspruch gegen Nutzung von Gesundheitsdaten durch Dritte

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

EU-Parlament und Rat haben sich gestern Nacht auf einen Verordnungsentwurf für einen „Europäischen Gesundheitsdatenraum“ geeinigt. Versicherte sollen demnach der Weitergabe ihrer Daten widersprechen können. Die Einschränkungen sind mitunter aber so groß, dass die Patient:innenrechte zur Makulatur zu geraten drohen.

Vertreter:innen des EU-Parlaments und des Rats nach ihrer Einigung über den Europäischen Gesundheitsdatenraum
Sichtlich zufrieden: Vertreter:innen des EU-Parlaments und des Rats gestern Nacht – Alle Rechte vorbehalten LIBE Committee Press

Die Erleichterung unter den Vertreter:innen des EU-Parlaments und des Rats ist offenkundig groß. Gestern Nacht haben sie sich auf eine gemeinsame Position zum sogenannten Europäischen Gesundheitsdatenraum geeinigt. Die Zeit drängte, denn die entsprechende Verordnung soll noch vor den Europawahlen im Juni verabschiedet werden.

Im „Datenraum“ sollen ab dem Jahr 2025 die Gesundheitsdaten aller rund 450 Millionen EU-Bürger:innen gespeichert werden. Er soll den grenzüberschreitenden Austausch von Gesundheitsdaten erleichtern: zum einen bei der Primärnutzung, wo es um die Behandlung und Versorgung von Patient:innen geht; zum anderen bei der Sekundärnutzung, bei der die Gesundheitsdaten der Forschung zugutekommen sollen.

Bis zur buchstäblich letzten Minute wurde in den Trilog-Verhandlungen um die Frage gerungen, ob und inwieweit Bürger:innen der Weitergabe und Verwendung ihrer persönlichen Gesundheitsdaten widersprechen dürfen. Aus Gesundheitsdaten lassen sich überaus sensible Informationen zu jeder einzelnen Person ableiten. Deshalb sind sie besonders schützenswert.

Die nun erzielte Einigung sieht vor, dass die Patient:innen der Datennutzung in allen EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich widersprechen können. Gerade aber bei der Sekundärnutzung fasst die erzielte Einigung die Ausnahmen jedoch so weit, dass die Widerspruchsmöglichkeiten zur Makulatur zu geraten drohen.

Wo Versicherte widersprechen können

Dessen ungeachtet begrüßt der führende Berichterstatter Tomislav Sokol von der christdemokratischen EVP-Fraktion die Einigung: „Der Europäische Gesundheitsdatenraum wird den Bürgerinnen und Bürgern die Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten geben“, so Sokol, „indem er einen sicheren Rahmen für die Speicherung und den Zugriff auf ihre persönlichen Gesundheitsdaten bietet, der überall in der EU zugänglich sein wird“.

Auch Stella Kyriakides, EU-Kommissarin für Gesundheit, zeigt sich nach der Trilog-Einigung zufrieden. Der Europäische Gesundheitsdatenraum werde die Entwicklung lebensrettender Behandlungen sowie bessere gesundheitspolitische Entscheidungen ermöglichen, so die Kommissarin, „und das alles bei strengen Datenschutz- und Sicherheitsvorkehrungen“.

Im Detail sieht die Trilog-Einigung vor, dass Patient:innen hinsichtlich der Primärnutzung widersprechen können, dass Behandelnde auf ihre Daten zugreifen können – „es sei denn, dies ist zum Schutz der lebenswichtigen Interessen der betroffenen Person oder einer anderen Person erforderlich“. Unter keinen Umständen dürfen die Daten zu Werbezwecken und zur Beurteilung von Versicherungsanträgen genutzt werden. Darüber hinaus müssen Patient:innen darüber informiert werden, wenn Dritte auf ihre Daten zugreifen.

Bei der Sekundärnutzung gehen die Ausnahmen erheblich weiter und sie sind obendrein unscharf formuliert. Demnach dürfen sich Patient:innen gegen die Weitergabe und Nutzung ihrer Daten zu Forschungszwecken aussprechen. Allerdings gilt dies nicht „für Zwecke des öffentlichen Interesses, der Politikgestaltung oder der Statistik sowie zum Schutz von geistigem Eigentum und Geschäftsgeheimnissen“.

„Datenraum für Wirtschaft, nicht für Patient:innen“

Bianca Kastl vom Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit kritisiert die Einigung. „Die Ausnahmen des Opt-Outs von der Sekundärdatenutzung bieten leider den Interpretationsspielraum von der Größe eines Scheunentors“, sagte Kastl gegenüber netzpolitik.org. „Öffentliches Interesse? Politische Entscheidungen? Es gibt nun sehr viele Ausnahmen, die am Ende alles sein können.“

Noch bemerkenswerter aber sei es, dass explizit der Schutz von geistigem Eigentum und Geschäftsgeheimnissen aufgenommen wurde, so Kastl. „Hier zeigt sich der eigentliche Kern: Der Europäische Gesundheitsdatenraum ist für die Wirtschaft gemacht, nicht für Patient:innen.“

Auch Ralf Bendrath, der als Fraktionsreferent der Grünen an den Trilog-Verhandlungen teilgenommen hat, wertet die Einigung dahingehend als unzureichend. Die Patientendaten würden für sekundäre Zwecke verkauft, ohne dass es ein echtes Opt-out gebe, sagt Bendrath.

Damit untergrabe die Europäische Union dringend benötigtes Vertrauen, kritisiert Patrick Breyer, EU-Abgeordneter der Piratenpartei. „Die EU lässt sensibelste Patientenakten anhäufen, vernetzen und weitergeben, ohne aber die Kontrolle und Selbstbestimmung der Patienten über ihre Daten sicherzustellen“, so Breyer. „‚Alles geht, nichts muss‘ ist kein Ansatz, dem Patienten vertrauen können. Ohne Vertrauen kann ein Europäischer Gesundheitsdatenraum nicht funktionieren.“

Vor einem Monat hatten 13 europäische Organisationen und Gewerkschaften in einem offenen Brief ebenfalls angemahnt, dass ein unzureichendes Widerspruchsrecht die Vertraulichkeit zwischen Behandelnden und Patient:innen sowie zentrale Grundsätze des Datenschutzes beschädigen würde. Erst wenn Patient:innen eine umfassende Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten erhalten, so das Fazit des Briefes, verdiene der Europäische Gesundheitsdatenraum auch deren Vertrauen.

Die Hoffnung der Kritiker:innen ruht nun auf der finalen Abstimmung im EU-Parlament. Ende April wird das Plenum final über den Kompromissentwurf abstimmen. „Mit viel Lärm“ könne der Entwurf dort noch scheitern, so Ralf Bendrath. „Aber das erfordert koordinierte Kampagnenarbeit bis dahin.“


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Author: Daniel Leisegang

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