Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.
In den USA gibt es seit 2022 weniger Gewaltkriminalität. Doch die Bevölkerung denkt mehrheitlich, dass die Kriminalität steige. Dieses Phänomen ist auch in Deutschland immer wieder zu beobachten.
In den Vereinigten Staaten geht die Gewaltkriminalität seit Ende 2022 stark zurück. So sank laut Untersuchungen in mehr als 200 Städten im Jahr 2023 die Zahl der Morde um etwa zwölf Prozent. Auch andere Straftaten wie Raub oder Vergewaltigung sind in den USA laut einem Bericht des National Public Radio auf dem Rückzug. Der Trend ist bundesweit, in großen und kleinen Städten, an der Ost- und an der Westküste. Das Medium beruft sich dabei auf Untersuchungen des Kriminalitätsforschers Jeff Asher von AH Datalytics.
Doch die Bevölkerung nimmt entgegen dem tatsächlichen Trend einen Anstieg der Kriminalität wahr. In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup im vergangenen November sagten 77 Prozent, dass die Kriminalität in den USA insgesamt ansteige und immerhin eine Mehrheit von 55 Prozent, dass die Kriminalität in ihrer Gegend steige. Fast zwei Drittel der Befragten waren der Meinung, dass es ein „sehr“ oder „äußerst“ schwerwiegendes Kriminalitätsproblem gibt. Das ist der höchste Wert in der Geschichte der Umfrage, die immerhin bis ins Jahr 2000 zurückreicht.
Der Kriminalitätsforscher Jeff Asher sieht vor allem mediale Berichterstattung als einen der Gründe für das Phänomen. „Es gab noch nie eine Nachricht, in der stand: ‚Gestern gab es keine Raubüberfälle, niemand hat bei Walgreens gestohlen’“, sagt er gegenüber NPR.
Auch Deutsche nehmen Kriminalitätsentwicklung falsch wahr
Mit dem Phänomen sind die USA nicht alleine. In Deutschland ist die offiziell erfasste Kriminalität zwischen 2005 und 2019 um etwa 15 Prozentpunkte gesunken, hatte die Bundesregierung im November 2021 in ihrem Periodischen Sicherheitsbericht verkündet.
Gleichzeitig ist die Wahrnehmung von Kriminalität in der Bevölkerung in den Jahren sinkender Kriminalität entkoppelt von der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung. In einer Befragung der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Jahr 2021 gingen fast zwei Drittel von einer starken bis sehr starken Zunahme der Kriminalität in den letzten fünf Jahren aus, nur sechs Prozent der Befragten schätzten die Kriminalitätsentwicklung realistisch ein. Diese Zahlen decken sich mit einer Umfrage aus dem Jahr 2016, in der mehr als zwei Drittel der Befragten von dieser Fehlannahme ausgingen.
Die entkoppelte Wahrnehmung bei sinkender Kriminalitätsentwicklung ist auch ein Problem für die Grund- und Freiheitsrechte, weil sie eine höhere Akzeptanz von schärferen Gesetzen befördern könnte.
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Author: Markus Reuter