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Werbetracking: Das System kann weg

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Unsere Datenhändler-Recherche hat gezeigt, wie die Online-Werbeindustrie uns in kleinteilige Schubladen steckt. Jetzt wird es Zeit, das gesamte System der personalisierten Werbung in Frage zu stellen. Das Geschäft mit unseren Daten muss aufhören. Ein Kommentar.
Die Industrie handelt mit unseren zugeschriebenen Eigenschaften (Symbolbild) – CC0 Midjourney („minimalistic drawing of a business men, outlines, surrounded by weird packages, hilarious“)Das digitale Werbesystem ist entgrenzt. Unsere Recherche zu Datenhändlern gemeinsam mit The Markup zeigt, wie wir von der Online-Werbeindustrie in Hunderttausende Schubladen einsortiert werden, teilweise geht es um intimste Eigenschaften.
Die Liste mit über 650.000 sogenannten Segmenten des Datenmarktplatzes Xandr liefert bedenkliche Einblicke. Sie zeigt, wie auch deutsche Firmen am Markt als Datenlieferanten mitmischen, wie Infos von unter anderem Websites, Apps und Kreditkarten kursieren – und wie die Adtech-Industrie offenbar selbst unsere Krankheiten und Schwächen zu Geld machen will.
Es geht nicht nur darum, in welcher Altersgruppe wir sind; ob wir uns eher für Toyotas oder Teslas interessieren. Mit den Datenspuren, die wir hinterlassen, versuchen uns die Datenhändler Labels wie „Moms who shop like crazy“ aufzukleben. Sie können uns auch vermeintliche psychische Erkrankungen zuschreiben, oder zumindest ein Interesse daran.
Die Rechtsfertigungsversuche der Datenindustrie
Wir haben zahlreiche Datenhändler mit den Ergebnissen unserer Recherche konfrontiert. Aus ihren Antworten wird deutlich, wie sie sich zu rechtfertigen versuchen. Dabei fallen mir vor allem drei Muster auf, die ich problematisch finde.
Da wäre einmal, dass die Industrie zwei Versionen ihrer Geschichte präsentiert. Einerseits suggerieren die Firmen ihren Kund:innen: Sie wissen so genau über uns Nutzer*innen Bescheid, dass sie uns perfekt mit Werbung targeten können. Aber sobald wir uns kritisch nach Privatsphäre und Datenschutz erkundigen, klingt das anders. Dann stellen die Werbekategorien bloß noch „allgemeine Interessen“ dar. Aussagen etwa zum Gesundheitszustand oder sonstigen sensiblen Eigenschaften treffe die Industrie sowieso keine. Wohlgemerkt, in den Daten fanden wir auch Kategorien wie „Opiate Addiction“, „Depression“,  Diabetes Type II“.
Zweitens beschreibt die Werbeindustrie gerne, wie wenig ihre Daten mit einzelnen Menschen zu tun hätten. Man sei ja nicht am Profil der einzelnen Nutzer:innen interessiert, es gehe nicht um personenbezogene Daten. Klar, da steht nicht wörtlich, dass sich Petra Musterfrau für Sportwetten interessiert, sondern da steht ihre Werbe-ID. Es mag auch sein, dass die Datenbanken der Industrie nicht nach den Werbe-IDs sortiert sind, sondern nach den Segmenten. Zu Petra gehört vielleicht nicht nur eine ID, sondern mehrere – je nachdem, ob Petra auf ihrem Smartphone surft, eine App nutzt oder an einer Telefonumfrage teilnimmt. Manche Dienstleister haben sich allerdings genau darauf spezialisiert, solche IDs zu matchen. Und auch wenn es der Industrie primär darum geht, Petra passgenaue Autoreifenwerbung zu zeigen: Es ist vermutlich naiv zu glauben, aus der Masse an Daten ließe sich nicht auf Petra zurückschließen – auf uns alle.
Das dritte Muster ist die Behauptung, wir hätten in all das eingewilligt. Freiwillig und informiert, wie es die Datenschutzgrundverordnung will. Alles rechtlich sauber. Das Problem: Wie „freiwillig“ ist es eigentlich, wenn ich mich täglich zigfach durch die Ablehnungsdialoge von Gängel-Cookie-Bannern kämpfen muss, die alles dafür tun, dass ich irgendwann aufgebe und einfach auf „Alles akzeptieren“ klicke? Wie „informiert“ ist es eigentlich, wenn mich schwer zugängliche Bleiwüsten ausführlich belehren, welche drölfhundert Werbepartner meine Daten verarbeiten wollen?
Informiert und freiwillig
In den Datenschutzbestimmungen einer beliebten Wetterseite beispielsweise kann ich mich über 1.400 Unternehmen informieren, die für die „Datenerhebung zur Auslieferung von nutzungsbasierter Online-Werbung“ zuständig sind. Ich kann auf die verlinkten Partner klicken und mir sogar durchlesen, was etwa Exit Bee Limited, VUUKLE DMCC oder 北京泛为信息科技有限公司 so tun. Bis ich damit fertig bin und top-informiert meine Einwilligung geben, ist der anstehende Gewitterschauer, für den ich mich interessiert habe, längst vorbeigezogen.
Dass dieses System mit der Datenschutzgrundverordnung vereinbar sein soll, erscheint mir wie die (Über-)Lebenslüge einer milliardenschweren Industrie, die sich in unserem Online-Leben eingenistet hat und damit ihr Geschäftsmodell betreibt. Mit dem Ziel, dass andere uns am Ende besser Dinge verkaufen können, die wir meist sowieso nicht brauchen.
Wir müssen dringend näher hinschauen und dem entgrenzten Markt seine Grenzen aufzeigen. Datenschutzbehörden müssen sich die tausenden kaum bekannten Player vornehmen. Es reicht längst nicht mehr aus, Seitenbetreiber aufzufordern, ihre Cookie-Banner fairer zu gestalten. Es geht um diejenigen, über die wir fast nichts wissen, die aber alles über uns wissen wollen.
Dabei kann jede:r von uns mithelfen. Wir haben beschrieben, wie man Auskunft von den einzelnen Datenhändlern bekommen kann. Das sollten wir tun. Und wenn uns etwas komisch vorkommt, sollten wir uns beschweren und die Behörden zum Handeln auffordern. Doch selbst das ist nicht genug.
Es geht auch anders
Wir müssen auch das gesamte System des Targeted Advertising in Frage stellen. Ein System, dass nicht nur unsere Interessen nutzt, um uns das vermeintlich passende Produkt anzuzeigen. Es will offenbar auch unsere Schwächen zu Geld machen: Unsere angebliche Depression, ob wir angeblich pleite sind, ob wir angeblich mit dem Rauchen aufhören wollen. Es macht uns manipulierbar, es formt unsere Sicht auf die Welt und auf uns selbst.
Wir dürfen personenbezogene Werbung nicht einfach als alternativlos hinnehmen. Wenn man uns schon Werbung zeigen möchte, dann geht das auch inhaltsbezogen. So wie früher in der Zeitung, als die Uhrenwerbung im Wirtschaftsteil auftauchte. Und das kann laut einem Test des niederländischen Rundfunks auch ohne Einnahmenverluste für die Seitenbetreiber funktionieren.
Für die Datenhändler wäre das natürlich ein herber Verlust. Denn dann wäre allen klar: Diese Industrie braucht vor allem sich selbst. Ohne sie gäbe es weniger Datenschutzprobleme, weniger Missbrauchspotenzial und auch nebenbei weniger Energieverbrauch. Das Geschäft mit unseren Daten kann einfach weg.

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Author: Anna Biselli

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