Gastbeitrag Anna-Sophie Heinze Jelena von Achenbach, zuerst erschienen bei Verfassungsblog
Die AfD ist die erste (populistische) Rechtsaußenpartei in der Bundesrepublik Deutschland, der der Einzug in alle 16 Landtage, den Bundestag sowie das Europäische Parlament gelang. Bis heute gibt es keine „Zauberformel“ im Umgang mit ihr, wenngleich die anderen Parteien mit der Zeit viel über ihre parlamentarische Arbeitsweise und populistische Funktionslogik gelernt haben.
Ein Grund dafür liegt darin, dass die AfD das Parlament als Bühne nutzt, um sich – auch und vor allem außerhalb der Parlamente – als Opfer der „Altparteien“ und als einzige „wahre Opposition“ zu inszenieren. Dazu arbeitet sie mit gezielten Provokationen und bricht formelle sowie informelle parlamentarische Spielregeln. In ihren eigenen Kanälen und Accounts sozialer Medien stellt sie diese parlamentarischen Prozesse dann – selektiv wie auch verzerrt – dar. In diesem Zusammenhang kommt auch ihre Missachtung der repräsentativen Demokratie immer wieder zum Ausdruck.
Missbrauch parlamentarischer Instrumente
Als parlamentarisch vertretene Kraft besitzt die AfD Frage- und Rederechte, die die anderen Parteien nicht einfach ignorieren können. Schnell offenbarte sich jedoch, dass die AfD diese missbräuchlich nutzt, um die parlamentarischen Prozesse zu blockieren und die anderen Parteien zu delegitimieren. Seit Beginn „flutet“ sie die Parlamente mit Kleinen Anfragen (als einem der einfachsten Instrumente der Regierungskontrolle) sowie Anträgen, die sich stark – aber nicht nur – auf die Themen Migration und Asyl fokussierten.
Der Austausch der etablierten Parteien über die Ländergrenzen hinweg ergab relativ schnell, dass die – teilweise sehr ähnlichen – Anträge der AfD durch alle Parlamente geistern und die Partei über eine Art bundesweiten Pool parlamentarischer Initiativen verfügen muss. Darüber hinaus bedient sie sich früherer Anträge der anderen Parteien, um sich als „normale“ Partei und den politischen Gegner als unglaubwürdig darzustellen. Dabei übernimmt sie vor allem frühere Forderungen der CDU, etwa im Bereich Familie und Schule, aber auch der linken Parteien, zum Beispiel im Bereich Bürgerbeteiligung.
„Instrument zur Feindbestimmung“
Zudem bringt die AfD die gleichen parlamentarische Initiativen immer wieder in die Parlamente ein, etwa sich inhaltlich stark ähnelnde Kleine Anfragen. In den Augen der etablierten Parteien geschieht dies nicht aus Interesse an inhaltlichen Fragen oder konstruktiven Problemlösungen, sondern dient als „Instrument zur Feindbestimmung“. So fragten AfD-Abgeordnete in den Landesparlamenten wiederholt sehr ähnliche Dinge ab, etwa die Anzahl und Herkunft von Geflüchteten, Details zur Anzahl und Diskriminierung von Homosexuellen oder Informationen zur Tätigkeit und Finanzierung gemeinwohlorientierter Einrichtungen in der politischen Bildungs- und Beratungsarbeit gegen Rechtsextremismus. Weiterhin dienen die Kleinen Anfragen der „Lahmlegungsstrategie“ gegen Ministerien und Behörden, da diese umfassende personelle sowie zeitliche Ressourcen zur Beantwortung dieser aufwenden müssen.
In Ausschüssen, die zum zentralen Bestandteil der deutschen Parlamentsarbeit gehören, wirkte die AfD von Anfang an nur wenig mit. Während ihre Abgeordneten dort eher passiv auftraten, lag der strategische Fokus der Partei auf ihrem wortgewaltigen Auftreten im Plenum, um eine möglichst große öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen.
Gezielte Provokationen und Opferinszenierung
Um Plenardebatten zu „befeuern“, nutzt die AfD gezielte Provokationen und eine harsche Rhetorik. Seit dem Eintritt der Partei in die Parlamente ist die Tonlage deutlich unsachlicher, aggressiver bis hin zu beleidigender geworden. Das rauere Klima spiegelt sich etwa im Anstieg der Ordnungsrufe wider, die größtenteils an die AfD verteilt werden, aber auch an alle anderen Parteien (wenn sich diese über die AfD empören und sich Debatten tatsächlich hochschaukeln).
Zur Erreichung maximaler öffentlicher Aufmerksamkeit arbeitet die AfD auch mit symbolischen Inszenierungen und „Pseudo-Ereignissen“, etwa verließen ihre Abgeordneten aus Protest geschlossen Plenarsitzungen (z.B. in Sachsen-Anhalt) oder nahmen aus Protest gegen die Corona-Regeln auf der Besuchertribüne des Plenarsaals Platz (u.a. in Nordrhein-Westfalen). Zudem versucht die AfD regelmäßig, ihre Redezeit auszudehnen, etwa indem sie immer wieder interveniert und Debatten gezielt hochschaukelt.
Insgesamt verhält sich die AfD gegenüber dem Hohen Haus unkooperativ und respektlos. Vor allem am Anfang agierte sie in den Augen der anderen Parteien unberechenbar, zum Beispiel indem sie entgegen ihrer bisherigen Position für Anträge oder Kandidierende der anderen Parteien abstimmte. Zu Beginn der Legislaturperiode in Baden-Württemberg brachte die AfD-Fraktion einen Gesetzentwurf mit den anderen Parteien ein, um diesen sowie die anderen Parteien dann in der Plenardebatte heftig zu kritisieren und damit die parlamentarischen Normen zu brechen.
Verzerrte Weiterverarbeitung in den eigenen (sozialen) Medien
Damit ihre parlamentarischen Aktivitäten eine möglichst große Aufmerksamkeit erreichen, ist die AfD auf die klassische Medienberichterstattung angewiesen. Daneben verbreitet die Partei diejenigen O-Töne und Ausschnitte von Plenardebatten in ihren eigenen (sozialen) Medien, um sich vor ihrer eigenen Anhängerschaft als Opfer der sie ausgrenzenden Parteien und als einzig wahre demokratische Opposition zu inszenieren, die für die Meinungsfreiheit kämpfe.
Für ihre Social Media-Kommunikation zieht die AfD teilweise irreführende bis falsche Informationen heran und arbeitet stark mit den Mitteln der Empörung und Vereinfachung. Zum Beispiel stellt sie sich als einzige Fraktion dar, die Wert auf die vollständige Anwesenheit ihrer Abgeordneten im Plenum lege, was in Arbeitsparlamenten nicht zwingend notwendig ist. So twitterte der AfD-Abgeordnete Jürgen Pohl zu Beginn der Legislaturperiode im Bundestag ein Foto, das volle Abgeordnetenbänke der AfD und sich langsam füllende Reihen der anderen Fraktionen abbildete – jedoch hatte Pohl das Bild deutlich vor Sitzungsbeginn aufgenommen. In ähnlicher Weise inszeniert sich die AfD regelmäßig als „aktivste“ Opposition, wobei der schiere Verweis auf die absolute Anzahl parlamentarischer Initiativen nichts über deren Qualität aussagen oder die Komplexität parlamentarischer Arbeit abbilden kann.
Um jene Frames zu streuen, baut die AfD zunehmend eigene Medien auf (etwa den YouTube-Kanal AfD-TV) und kooperiert mit alternativen Nachrichten-Plattformen wie Politically Incorrect News. 2019 lud die AfD-Bundestagsfraktion einzelne Medienakteur:innen zur „Ersten Konferenz der freien Medien“ ein und befeuert damit immer wieder die Behauptung, es gebe in Deutschland eine Zensur bzw. keine echte Meinungsfreiheit.
Formaler und inhaltlicher Umgang mit der AfD
Welchen (direkten und indirekten) Einfluss populistische Rechtsaußenparteien nehmen können, hängt maßgeblich vom Verhalten der anderen Parteien, Medien und der Zivilgesellschaft ab. In Deutschland wird die AfD auf der formalen Ebene bislang nahezu ausnahmslos ausgegrenzt, doch finden sich vor allem auf der inhaltlichen Ebene immer wieder Annäherungen.
Formal wurde die AfD von Anfang an nicht überall konsequent ausgegrenzt (s. etwa das oben angeführte Beispiel des gemeinsamen Gesetzentwurfs in Baden-Württemberg). Vor allem die CDU/CSU und FDP, deren inhaltliche Positionen am nächsten an denen der AfD liegen, stimmte immer wieder für Anträge und Kandidierende der AfD – teilweise auch entgegen parlamentarischer Funktionslogiken (etwa in Sachsen-Anhalt, wo sich die CDU in Regierungsverantwortung befand).
Tabubrüche
Auch die Besetzung parlamentarischer Ämter und Gremien durch AfD-Abgeordnete führt bis heute zu heftigen Kontroversen. Während viele Parteien der AfD nicht das grundsätzliche Recht absprechen, Kandidierende vorzuschlagen, verfehlen diese häufig die notwendige Mehrheit, z.B. alle bisherigen Kandidierenden für das Amt der Bundestagspräsident:in. Auch auf der Landesebene verweigerten Abgeordnete der etablierten Parteien AfD-Kandidierenden immer wieder ihre aktive Unterstützung und beriefen sich dabei auf ihr freies Mandat. Teilweise führte dies zu temporären Blockaden, die die AfD für ihre Opferinszenierung benutzen konnte, etwa als Stefan Möller in Thüringen monatelang nicht zum Vorsitzenden des Migrationsausschusses gewählt wurde (und dieser somit nicht ordnungsgemäß besetzt war). In einigen Ländern stellt die AfD hingegen bereits Verfassungsrichter:innen, die – anders als Mitglieder in den Medienräten – nicht zwangsläufig gewählt werden müssen, so etwa in Baden-Württemberg und Bayern.
Der bisher größte Tabubruch des cordon sanitaire war die Wahl Thomas Kemmerichs (FDP) zum Thüringer Ministerpräsidenten 2020 durch Stimmen der CDU, FDP und AfD, wenngleich Kemmerich nach wenigen Tagen heftiger (teilweise auch innerparteilicher) Kritik zurücktrat. Auch danach haben die thüringische CDU und FDP immer wieder mit der AfD zusammen abgestimmt. So verabschiedeten sie unter anderem 2023 das umstrittene Spielhallengesetz sowie die Senkung der Grunderwerbssteuer – ohne Folgen seitens der Bundesparteien (denn offiziell gilt auch unter dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz weiterhin das Motto „Keine Zusammenarbeit mit der AfD“).
Normalisierung und Mainstreaming als bleibende Herausforderungen
Inhaltlich gestaltet sich der Umgang mit der AfD ebenfalls bis heute schwierig. Zwar haben die Parteien mittlerweile gelernt, dass die ständige Empörung wie auch die prinzipielle „Andersbehandlung“ der Opferinszenierung der AfD in die Hände spielt. Dennoch ist es bis heute ein schwieriger Balanceakt, welche Aussagen der AfD sie ignorieren oder stärker debattieren sollten. Rote Linien, die dabei immer wieder benannt werden und bei denen sie teilweise auch geschlossen agieren, sind etwa die klare Zurückweisung von Rassismus und Antisemitismus.
Dennoch lassen sich immer wieder Prozesse der Normalisierung und des Mainstreamings von Rechtsaußenpositionen beobachten, vor allem, aber nicht nur, seitens der CDU/CSU. Zum Beispiel sprach Friedrich Merz vom „Sozialtourismus“ ukrainischer Geflüchteter und behauptete, abgelehnte Asylbewerber:innen ließen sich in Deutschland „die Zähne neu machen“. Auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) forderte im Oktober 2023, Deutschland müsse „endlich im großen Stil abschieben“ und bediente sich damit ebenfalls klassischer Rechtsaußenrhetorik.
Wie die AfD bereits mitregiert
Durch die Übernahme von Rechtsaußenpositionen und -frames durch die anderen Parteien können Parteien wie die AfD auch Einfluss nehmen, ohne an der Regierung beteiligt zu sein. Sie zählen daher zu den größten Herausforderungen für liberale Demokratien. So tolerierte zum Beispiel die Dänische Volkspartei von 2001 bis 2011 und 2015 bis 2019 verschiedene liberal-konservative Minderheitsregierungen und konnte auf diese Weise dazu beitragen, dass sich die dänische Immigrations- und Integrationspolitik maßgeblich verschärfte. Doch auch außerhalb der Parlamente oder gar der (indirekten) Regierungszusammenarbeit können sich die „Grenzen des Sagbaren“ schrittweise verschieben und Rechtsaußenpositionen und -frames als legitim wahrgenommen werden.
Mit der Übernahme von Rechtsaußenpositionen versuchen etablierte Parteien zumeist, Wähler:innen zurückzugewinnen – eine Hoffnung, die sich empirisch kaum halten lässt. Stattdessen geht damit die Gefahr der Legitimierung und langfristigen Stärkung von Rechtsaußenthemen und -positionen einher. Dies lässt sich zum Beispiel auch daran erkennen, dass es 80 % der AfD-Wähler:innen in Hessen und 85 % in Bayern egal war, dass Teile der Partei als rechtsextrem eingeschätzt werden. In ihren Augen ist die AfD eine „normale“ Partei, die bestimmte Themen als erste anspricht und die dann von den anderen Parteien aufgegriffen werden. Im Endeffekt entscheidet man sich dabei aber lieber für das „Original“.
Landtagswahlen 2024
Mit den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Herbst 2024 wird sich die Situation kaum entschärfen. Aktuell schneidet die AfD bei Meinungsumfragen in allen drei Ländern als stärkste Kraft ab. Insbesondere in Thüringen könnte sich die Regierungsbildung – erneut, und mehr denn je – als schwierig erweisen. Ihr Vorsitzender Björn Höcke spricht dort mittlerweile sehr offen über das ausgewiesene Ziel der 33,3 % der Stimmen. Ein solches Wahlergebnis würde der AfD eine Sperrminorität und somit ein großes Erpressungspotenzial auf alle Entscheidungen geben, die einer 2/3-Mehrheit bedürfen, etwa die Besetzung des Richterwahlausschusses. Damit hätte die AfD enormen Einfluss auf alle wesentlichen Entscheidungen – auch ohne in der Regierungsverantwortung zu sein.
Gleichzeitig würde es den anderen Parteien in einem solchen Szenario immer schwerer fallen, die AfD auf der formalen Ebene auszugrenzen, und die „Brandmauer“ damit weiter reißen. Bislang gibt sich die CDU zwar teilweise kämpferisch – etwa verkündete ihr Vorsitzender Mario Voigt jüngst siegessicher, der Anspruch seiner Partei sei es „natürlich, Höcke zu schlagen“ und stärkste Kraft in Thüringen zu werden. Dabei scheint Voigt jedoch auszublenden, dass seine Partei schon jetzt immer häufiger auch inhaltlich mit der AfD zusammenarbeitet (zuletzt etwa bei der gemeinsamen Verabschiedung einer Änderung des Thüringer Waldgesetzes durch Stimmen der CDU, FDP und AfD im Dezember 2023) und dies die AfD langfristig stärken kann.
Lücken schließen, bevor es zu spät ist
Vor dem Hintergrund ihrer bisherigen parlamentarischen Aktivitäten ist davon auszugehen, dass die AfD jede Möglichkeit nutzen wird, um auch in Zukunft parlamentarische Blockaden hervorzurufen und die anderen Parteien als unfähig und die repräsentative Demokratie als nicht funktionsfähig darzustellen. Alle anderen Parteien sollten sich daher dringend die Frage stellen, wo eventuelle Lücken in den parlamentarischen Geschäftsordnungen jetzt noch geschlossen werden können – und zwar über die Parteigrenzen hinweg. Langfristig müssen sie es schaffen, wieder mehr Bürger:innen von ihren Politikangeboten und ihrer politischen Kommunikation zu überzeugen – und die liberale Demokratie in ihren Wurzeln zu stärken.
Der Artikel erschien zuerst auf verfassungsblog.de, CC BY-SA 4.0. Verfassungsblog ist ein Open-Access-Diskussionsforum zu aktuellen Ereignissen und Entwicklungen in Verfassungsrecht und -politik in Deutschland, dem entstehenden europäischen Verfassungsraum und darüber hinaus. Er versteht sich als Schnittstelle zwischen dem akademischen Fachdiskurs auf der einen und der politischen Öffentlichkeit auf der anderen Seite. Vor kurzem wurde das Thüringen-Projekt gestartet.
Anna-Sophie Heinze ist Postdoc am Trierer Institut für Demokratie- und Parteienforschung (TIDUP) an der Uni Trier. Artikelbild: Marco Rauch/dpa
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