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AfD-Parteijugend: Zwischen konformistischer Rebellion und SS-Treueschwur

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Jean Pascal Hohm wird voraussichtlich Chef der neuen AfD-Parteijugend

(Quelle: picture alliance/dpa | Frank Hammerschmidt)

Am kommenden Wochenende will sich in Gießen die neue AfD-Parteijugend gründen. Dagegen hat sich breiter Protest angekündigt. Den großen Unterschied zur gescheiterten alten Parteijugend, der Jungen Alternative (JA), soll der designierte neue Vorsitzende Jean-Pascal Hohm verkörpern: Disziplin und Unterordnung unter die AfD-Parteiführung. Eine inhaltliche Mäßigung ist dennoch nicht zu erwarten, dafür dominieren in der Parteijugend zu sehr radikale Positionen, die teils nur schwer mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen sein dürften. Hohm verkörpert diesen Spagat, trotz einschlägiger Vergangenheit und rechtsextremer Positionen mit freundlichem und diszipliniertem Auftreten breitere Wähler*innenschichten anzusprechen. Damit ist er auf Linie mit Alice Weidel, die der AfD einen neuen Kurs verpassen will.

Verordnete Parteidisziplin

Eine Parteijugend muss radikaler, lauter und unangepasster als die Mutterpartei sein. Die Jusos unter Kevin Kühnert gelten als Vorbild der jüngeren Vergangenheit, wie dies erfolgreich gelingen kann. Doch wenn die Mutterpartei schon rechtsextrem ist, wird das zur Gefahr – für die Demokratie und die Partei selbst. Das Dilemma ist der AfD durchaus bewusst und sie hat daraus Konsequenzen mit der Auflösung der Jungen Alternative (JA) gezogen. Die JA war noch radikaler als die Mutterpartei und wurde schon 2019 als Verdachtsfall im Bereich Rechtsextremismus eingestuft. Im Jahr 2023 erfolgte dann die Einstufung als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“. Doch eine Parteijugend braucht die AfD. Nur wie soll die neue jetzt auftreten, um ein Parteiverbot nicht noch wahrscheinlicher zu machen? Das Zauberwort, aktuell von jedem Parteifunktionär gepredigt: Disziplin, Disziplin, Disziplin!

Ein Ausdruck dieser verordneten Parteidisziplin ist, dass sich laut Presseberichten zumindest 14 der 16 AfD-Landesverbände (nur Bayern und NRW gelten als zerstritten) schon verständigt haben sollen, wer welchen Posten in der neuen Jugendorganisation bekommt. Kampfkandidaturen soll es nach Möglichkeit keine oder nur sehr wenige geben. Früher in der AfD unvorstellbar, man berief sich immer auf Basisdemokratie, inszenierte sich als „gäriger Haufen” (Gauland). Inzwischen setzt man auf soldatische Werte: Disziplin, Hierarchie und Unterordnung. Das funktioniert nicht immer – aber im Vorfeld des Parteitages der AfD-Jugend scheinen sich alle dran zu halten. Mit „Generation Deutschland“ gibt es bereits einen Namen. Dass der Brandenburger AfD-Landtagsabgeordnete Jean-Pascal Hohm alleiniger Vorsitzender der JA-Nachfolgeorganisation wird, ist ebenfalls ausgemachte Sache. Hohm hat ein Talent dafür, sein rassistisches und verschwörungsideologisches Weltbild in oft sachlichem Tonfall als scheinbar pragmatisches Handeln im Sinne der Bürger*innen zu transportieren. Daher verwundert es nicht, dass er für Parteichefin Alice Weidel ein geeigneter Kandidat ist, die Parteijugend zu organisieren und zu disziplinieren.

Für Hohm spricht, dass er in Partei, auch in den Westverbänden, und im rechtsextremen Vorfeld zumindest als akzeptabel gilt. Dass er bis heute auch in der neonazistischen Szene Ansehen genießt, kommt nicht von ungefähr. Hohm wurde politisch im Umfeld rechtsextremer Hooligans in Cottbus sozialisiert. Bei einem Spiel von Energie Cottbus gegen SV Babelsberg 03 war er 2017 im Cottbusser „Fanblock“, der  antisemitische, antiziganistische, volksverhetzende und NS-verherrlichende Parolen rief, den Platz stürmte und Feuer legte. In der Vergangenheit trat er auch für den rechtsextremen Verein EinProzent auf, ist regelmäßig Gast bei rechtsextremen Podcasts. Entsprechend wird er vom Brandenburger Landesamt für Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuft. In der AfD befähigt das scheinbar zu höheren Ämtern.

Boomerang Parteijugend

Die Angst, dass die JA verboten werden könnte und die damit verbundenen negativen Konsequenzen für die AfD, waren der Hauptgrund für den überstürzten Beschluss der AfD, die Jugendorganisation aufzulösen. Ob dies ein Befreiungsschlag oder eher ein Boomerang für die Partei ist, muss sich erst noch erweisen. Ein Blick auf das nominierte Personal lässt vermuten, dass die neue Parteijugend mittelfristig nicht weniger, sondern eher noch radikaler als die JA sein wird. Bisher konnte die Partei sich herausreden, dass größere Teile der JA nicht Parteimitglieder seien und die Jugendorganisation ein eigenständiger Verein sei. Das funktioniert bei „Generation Deutschland” nicht mehr und könnte auch Auswirkungen auf die Einleitung eines Prüfverfahrens zum Verbot der AfD haben.

SS-Treueschwur zum Volkstrauertag

Wie radikal die Parteijugend ist, zeigte sich zuletzt am Totensonntag. Ein „Kanal der Parteijugend der AfD Schleswig-Holstein” veröffentlichte auf X ein Video, dass die deutschen Soldaten der Weltkriege unkritisch zu Helden und Opfern verklärt. Das Video zeigt eine Kranzniederlegung von AfD-Mitgliedern in Todesfelde. Die Hauptrede hielt Kevin Dorow, der am Wochenende für den Bundesvorstand der neuen AfD-Jugend kandidiert. Er sagte, die Soldaten „handelten im Dienst eines Volkes, das um Souveränität rang. Ihre Treue war per se kein Fanatismus, sondern Ausdruck von Verantwortung gegenüber ihrer Heimat, ihrer Kultur, ihrer Geschichte und ihrem Volk”. Die Erinnerungspolitik sei dafür verantwortlich, dass man sich in Deutschland der Geschichte und der eigenen Wurzeln schäme, „statt sie als Stärke zu nutzen“. Die Rede beendet der Kandidat für den Bundesvorstand mit einem Treueschwur: „Und wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu“. Diese Textzeile ist einem politischen Gedicht von Max von Schenkendorf aus dem Jahre 1814 entnommen und wurde als Treuschwur der SS genutzt. Im SS-Liederbuch stand das Gedicht laut dem Historiker Karsten Wilke „nach dem Deutschlandlied und dem Horst-Wessel-Lied […] exponiert an dritter Stelle“. Auch das österreichische Bundes-Justizministerium ordnet die von der AfD-Jugend zitierte Textzeile eindeutig ein: „Einen unzweifelhaften Bezug zum nationalsozialistischen Gedankengut weist das Zitat ‚Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu’ auf.“

Auch andere führende junge AfD-Mitglieder posteten am Volkstrauertag den SS-Treuschwur. So der Brandenburger AfD-Landtagsabgeordnete Fabian Jank auf Instagram: Garniert wurde der SS-Treueschwur bei ihm im Post mit dem nicht minder aus dem NS bekannten Zusatz: „Ewig lebt der Toten Tatenruhm“. In welcher Tradition zumindest Teile der AfD-Jugend stehen, haben sie am Totensonntag unterstrichen. Ob diese AfD-Jugend sich so disziplinieren lässt, wie es sich der Bundesvorstand wünscht, bleibt zweifelhaft.

Konformistische Rebellion

Im Gegensatz zu Teilen der Parteijugend gibt sich Hohm strategisch bürgerlich und als Parteisoldat. Er sieht nahezu keinen Dissens zur Parteiführung, lediglich ist er eindeutig pro Wehrpflicht und wünscht sich mehr ökologisches Bewusstsein in der Partei. Hohm hat auch schon ein Rezept, wie sich Disziplin, Unterordnung und jugendlicher Hang zur Aufmüpfigkeit in der Parteijugend kombinieren können. Man müsse, das sagt Hohm in einem Gespräch mit EinProznet-Chef Philip Stein, zusammen mit der Parteiführung Themen identifizieren, die  bespielt werden können. Die Parteiführung könne der Jugendorganisation die Anweisung geben: „Provoziert mal in die Richtung“, die Parteiführung selbst könne sich nach Absprache und nach erfolgter „Provokation“ milde distanzieren. Soldatische Werte und konformistische Rebellion als neuer Markenkern der AfD-Jugend.

Hohm und das rechte Mosaik

Zur Strategie der konformistischen Rebellion passt auch das Konzept der „Mosaik-Rechten“, dessen Befürworter Hohm ist. Mit „Moasik-Rechte“ ist die (indirekte) Zusammenarbeit verschiedener rechtsextremer Strömungen gemeint, die aber meist formal getrennt, je nach Aktionsfeld, auftreten. Hohm kritisiert, dass die JA zu sehr als außerparlamentarische Opposition agiert habe. Das sei als Parteijugend nicht ihre Aufgabe. Er regt daher an, dass formal getrennte rechtsextreme Organisationen, wie die Identitäre Bewegung, wieder mehr Platz gewinnen sollten. Diese könnten Aktionen durchführen und Äußerungen tätigen, die für Parteijugend aus strategischen Gründen, mit Blick auf ein Verbotsverfahren, ausgeschlossen seien. Durch die Auslagerung gewisser Aktionsformen hofft die Partei, weniger Munition für ein Parteiverbot zu liefern. Ziel dieser „Aufgabenteilung“, sei „eine flächendeckende patriotische Hegemonie zu errichten“, die die AfD an die Macht bringt. Denn für Hohm steht fest: „Die Partei ist das wichtigste Instrument im Kampf um unsere Heimat“.

Höcke- oder Weidel-Jugend?

Aktuell ist in der AfD-Führung ein Richtungsstreit ausgebrochen, der sich nur vordergründig um die außenpolitische Ausrichtung dreht. Weidel kritisiert, auch öffentlich, den offensiven pro-russischen-Kurs, für den auch ihr Co-Chef Tino Chrupalla steht. Kritiker*innen in der Partei werfen ihr eine geplante „Melonisierung“ der AfD vor. Damit gemeint ist ein vermeintlicher Verrat am politischen Erbe und eine (taktische) Mäßigung in vielen Politikfeldern, wie sie durch die italienische Staatschefin und Neofaschistin Giorgia Meloni betrieben werde.

In der AfD tobt ein Streit darüber, ob sie politisch anschlussfähig werden will – oder weiter auf Fundamentalopposition setzen soll. Weidel scheint zunehmend auf Kurs der Anschlussfähigkeit zu gehen, mit dem Meloni, aber auch Marine Le Pen in Frankreich so erfolgreich sind.

Spannend ist daher, wie und ob sich die neue Parteijugend dazu in Zukunft positioniert. Hohm selber teilt gerne auch mal gegen „Russenstusser“ in der Partei aus, also gegen jene, die sich zu sehr an Putin anbiedern würden. In Interviews unterstützt Hohm daher Weidels Kurs, die AfD anschlussfähiger zu machen, um breitere Wähler*innenschichten anzusprechen. Somit könnte Hohm als Vorsitzender der Parteijugend ein wichtiges Puzzleteil in der Strategie der Parteichefin zum Imagewechsel der Partei sein. Ziel ist es, Regierungspartei zu werden. Weidel und Hohm geht es jedoch nicht um eine Mäßigung oder gar Entradikalisierung, sondern um ein taktisches Manöver. Ob das die AfD mit sich machen lässt, ist mehr als fraglich. Noch unwahrscheinlicher scheint es, dass die Parteijugend mit ihren radikalen Mitgliedern lange solch einen taktischen Kursschwenk diszipliniert trägt. Wenn doch, wäre sie spätestens dann die wohl konformistischste Parteijugend Deutschlands.

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