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AfD protestiert plötzlich gegen Abschiebung einer „Illegalen“: Liliya Klassen

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AfD protestiert plötzlich gegen Abschiebung einer „Illegalen“: Liliya Klassen

von Gastbeitrag | Juli 29, 2025 | Aktuelles

Eine Frau arbeitet und lebt illegal in Deutschland – jetzt soll sie ausreisen. Eigentlich der Wunschtraum der AfD. Auch dank der Hetze der AfD versucht Deutschland in den letzten Jahren, so viele solche Menschen wie möglich abzuschieben. Doch plötzlich ist es der AfD und anderen Rechten nicht recht, dass diese Frau das Land verlassen soll. Sie kämpfen dafür, dass diese „Illegale“ hierbleiben darf, unterzeichnen Petitionen und protestieren. Woher die absurde Doppelmoral der Rechtsextremen kommt, wenn die lange geforderte „harte Abschiebungspolitik“ dann tatsächlich kommt.

AfD macht Stimmung unter Russlanddeutschen

Es erinnert fatal an den „Fall Lisa“ aus dem Jahr 2016: Damals behauptete ein 13-jähriges Mädchen aus einer Spätaussiedlerfamilie, in Berlin entführt und von Geflüchteten vergewaltigt worden zu sein. Die Geschichte war erfunden. Aber rechte Gruppen, russische Medien, die NPD und AfD instrumentalisierten sie zur massiven Hetze gegen Geflüchtete und den deutschen Staat. Es kam bundesweit zu Demonstrationen und einem Vertrauensverlust in staatliche Institutionen – vor allem unter Russlanddeutschen, die Ziel der Desinformation und Mobilmachung waren. Als die Lüge des Mädchens später aufflog, schämten sich viele für ihre Rolle dabei.

2025 scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Diesmal geht es um Liliya Klassen – Mutter von sieben Kindern, Ehefrau eines deutschen Staatsbürgers, lebt in Baden-Württemberg. Spricht Deutsch, arbeitet (wenn auch illegal) und engagiert sich in ihrer Kirchengemeinde. Eine Familie, wie sie konservative Politiker oft als „gelungenes Beispiel“ von Integration bezeichnen. Und doch: Liliya soll Deutschland verlassen.

Sie hat keinen dauerhaften Aufenthaltstitel

Der Grund? Ein folgenschwerer Fehler 2020 bei der Einreise von Liliya Klassen in die Bundesrepublik. Sie kam mit einem Schengen-Visum aus Kasachstan, ihre Kinder mit deutscher Staatsbürgerschaft, die sie über ihren Vater erhalten hatten. Was der Familie möglicherweise nicht bewusst war: Die Einreise mit einem Schengen-Visum erlaubt keine spätere Beantragung eines dauerhaften Aufenthaltstitels. Nun soll Liliya Klassen bis zum 31.07.2025 freiwillig ausreisen. Andernfalls droht eine Abschiebung samt 30-monatigem Wiedereinreiseverbot.

Das Verfahren liegt nun bei der Härtefallkommission. Selbst das zuständige Landratsamt in Heilbronn räumt ein: Bei freiwilliger Ausreise könne sie wohl nach rund sechs Monaten mit neuem Visum zurückkehren. Doch statt geduldiger juristischer Klärung erleben wir etwas anderes: eine neue Empörungswelle von rechts.

Die AfD, die sonst jede Abschiebung bejubelt, schlägt plötzlich ganz andere Töne an. Der AfD-Europaabgeordnete Markus Buchheit spricht auf Instagram von „gnadenlosem Durchgreifen gegen eine deutschstämmige Mutter“.

Die neurechte „Junge Freiheit“ titelt reißerisch: „Deutsch und unerwünscht“. Auf Online-Plattformen werden Petitionen gestartet, mit denen Stimmung gemacht und Empörung geschürt wird.

Evangelikale Medien springen auf, und ausgerechnet jene, die sonst Geflüchtete pauschal kriminalisieren, entdecken ihre Menschlichkeit, wenn das ideologische Raster passt: gläubig, konservativ, „volksdeutsch“ – Letzteres ist ein historisch belasteter Begriff aus der NS-Zeit, dessen Verwendung nahelegt, (Spät-)Aussiedler:innen und die Aussiedlerfrage insgesamt als Fortsetzung von Hitlers „Heim ins Reich“-Politik zu diskreditieren.

Doch worum geht es hier wirklich?

Worum geht es wirklich? Nicht um Benachteiligung Deutscher aus Kasachstan. Sondern um die Anwendung geltenden Rechts mit der Möglichkeit zu Ermessensentscheidungen. Und genau dafür setzen sich Unterstützer:innen, Anwälte und CDU-nahe Verbände wie die Union der Vertriebenen und Aussiedler (UdVA) ein. Sie fordern eine rechtlich saubere, aber menschlich vertretbare Lösung.

„Es geht nicht um eine Sonderbehandlung, sondern um die faire Nutzung rechtlicher Möglichkeiten“, sagt Albina Nazarenus-Vetter, Vorsitzende des CDU-Netzwerks für Russlanddeutsche. Und weiter: „Wer Familien schützen will, braucht keine Empörungsspirale, sondern Verantwortung, Rechtskenntnis und Menschlichkeit.“

Doch gerade diese Verantwortung untergraben rechte Akteure bewusst. Die AfD nutzt das Schicksal der Familie Klassen nicht aus Mitgefühl, sondern als politisches Werkzeug. Es ist derselbe Mechanismus wie 2016 beim Fall Lisa: Ein emotionaler Einzelfall, aufgeblasen zur kollektiven Opfergeschichte. Juristische Details werden ignoriert, um Misstrauen gegenüber dem Staat zu säen.

Bei Russlanddeutschen hört „Remigration“ plötzlich auf

Und das verfängt. Teile der russlanddeutschen (Spät-)Aussiedler:innen – gerade ältere mit autoritärer Sozialisation in der Sowjetunion, mit Misstrauen gegenüber Behörden und Erfahrungen von Ausgrenzung als deutsche Minderheit in etwa Russland oder Kasachstan vor der Umsiedlung nach Deutschland – sind empfänglich für solche Narrative. Russische Staatsmedien und rechte Parteien nutzen das gezielt aus. Der Fall Lisa war ein Paradebeispiel dafür, wie das funktioniert – bis hin zu falschen Vorwürfen gegenüber der deutschen Staatsjustiz, an der selbst der russische Außenminister öffentlich mitwirkte. Werden sich viele Russlanddeutsche auch 2025 wieder schämen müssen?

Der Fall Klassen zeigt: Wer echten Respekt vor Familien hat – und vor dem Rechtsstaat – der lässt sich nicht vor den Karren einer Partei spannen, die sonst genau diesen Staat verachtet. Es braucht jetzt Besonnenheit und juristische Expertise, aber nicht Empörung auf Knopfdruck. Denn wer nur dann Mitgefühl zeigt, wenn es ins eigene Weltbild passt, dem geht es nicht um Menschlichkeit, sondern um Spaltung.

Wer Liliya Klassen wirklich helfen will, sollte sich für rechtlich tragfähige Wege starkmachen und nicht für Empörungs-Petitionen, die am Ende nur eine Agenda bedienen. Es braucht nicht mehr Stimmung, sondern mehr Aufklärung, mehr Verantwortung und mehr Respekt für das, was Rechtsstaatlichkeit ausmacht. Auch, und gerade, im Namen der Familie.

Die Autorenschaft ist anonym wegen der potentiellen Bedrohung durch Rechts. Artikelbild: canva.com

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Niceria box oktober 2023 : adieu sommer, hallo herbst !. Danke für euer vertrauen und eure unterstützung ! eure spd fraktion chorweiler.