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Big Brother Awards: Negativpreis für die tschechische Abfallwirtschaft

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Big Brother AwardsNegativpreis für die tschechische Abfallwirtschaft

In Tschechien wurden die Big Brother Awards für das Jahr 2023 verliehen. Einer der Negativpreise ging an eine Plattform, die Leute mit Rabatten dazu animieren soll, ihren Müll besser zu trennen. Aber „MojeOdpadky“ erhebe umfassende Daten. Prämiert wurde auch ein Polizei-System für biometrische Gesichtserkennung.


Lea Binsfeld – in Überwachungkeine Ergänzungen
In Tschechien gibt es Rabatte bei ordentlicher Mülltrennung. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Westend61

Vier Negativpreise und eine positive Auszeichung verleiht die Jury des Cen Velkého bratra – also des Big Brother Awards in Tschechien. In der Kategorie „Langzeit-Schnüffler“ wurde dieses Mal MojeOdpadky ausgezeichnet. Auf Deutsch heißt das „MeinMüll“.

Über diese Plattform nutzen einige Städte und Kommunen das Motivationssystem MESOH. Es soll Anreize schaffen, Müll zu reduzieren und ordentlich zu trennen. Bürger:innen, die mit ihren Abfällen umweltbewusst umgehen, können sogenannte ECO-Punkte sammeln und dadurch bis zu 70 Prozent der Gebühren für die Müllabfuhr sparen. Die teilnehmenden Städte überwachen so außerdem die Effizienz der Abfallwirtschaft und werten sie aus. Das Belohnungskonzept ist allerdings eng verknüpft mit der massiven Erfassung persönlicher Daten der Bürger:innen. Die Jury kritisiert, das System sei nicht transparent genug. Außerdem würden Personen ohne Internetzugang finanziell benachteiligt, da ihnen der Zugang zu dem System verwehrt bliebe.

Die Teilnahme am System – das heißt Müll zu trennen und die daraus resultierenden Rabatte zu beziehen – ist freiwillig, erklärt die Stadt Dobříš, die MESOH bereits nutzt. Aber auch personenbezogene Daten nicht registrierter Nutzer:innen werden verarbeitet. Diese profitieren zwar nicht von dem System, die Daten seien für die Stadt allerdings trotzdem nötig, denn es läge im öffentlichen Interesse, das Abfallsystem zu evaluieren.

ECO-Punkte kosten Daten

Haushalte würden automatisch mit einem Abfallkonto ausgestattet, kritisiert die Jury. Dafür würden persönliche Daten wie Name und Anschrift gespeichert, außerdem Informationen über die Art und Menge des produzierten Abfalls sowie darüber, ob er ordnungsgemäß entsorgt wurde.

Für alle, die aktiv am System teilnehmen, kommt noch einiges hinzu: So müssen Bürger:innen zum Beispiel Fragebögen ausfüllen, in denen sie sich zu einer umweltfreundlichen Abfallentsorgung verpflichten. Auch für regelmäßige Besuche der MojeOdpadky-Website sowie eine aktive Kommunikation mit den Betreibern gebe es ECO-Punkte, so die Big-Brother-Jury. Weitere Rabatte könne man sich erarbeiten, indem man in ausgewählten Partnershops einkauft – selbstverständlich auch hier mit Registrierung. Unter Umständen würden außerdem Ortsdaten erhoben und Cookies an Drittanbieter weitergegeben.

Die Jury merkt an, dass einige dieser Daten möglicherweise ohne klare Zustimmung der Bürger:innen gesammelt werden, was die Datenschutzbedenken verstärke. Die Stadt Dobříš räumt grundsätzlich ein Recht auf die Löschung aller personenbezogenen Daten ein. Dieses gelte jedoch nicht in Fällen, in denen die Daten ohne Einwilligung verarbeitet wurden. Das wird mit dem berechtigten Interesse begründet, die Effizienz der Abfallwirtschaft auszuwerten.

Ein Schluck Wasser wird zur Datenfalle

Die positive Auszeichnung des diesjährigen Big Brother Awards ging an den tschechischen Grünen-Politiker Michal Berg – er ist IT-Unternehmer und Betreiber eines Blogs über Zugreisen. Er machte auf folgendes Problem aufmerksam: Die Eisenbahnverwaltung in Tschechien hatte ein Projekt für Trinkwasserspender an den Bahnhöfen vorgestellt, an denen Wasserflaschen kostenlos aufgefüllt werden können. Allerdings muss dafür eine App auf dem Handy installiert werden – sonst kostet ein halber Liter Wasser sechs Kronen.

In einer Petition rief Berg dazu auf, den Plan zu überprüfen; sie wurde bisher von mehr als 1.000 Menschen unterzeichnet. Berg forderte darin die Möglichkeit, auch ohne eine Anwendung kostenlos Wasser trinken zu können. Dieser Zwang schaffe unnötige Hürden für viele Menschen: zum Beispiel für alle ohne Smartphone oder Internetverbindung, für Ausländer:innen und Gelegenheitsreisende, oder für Menschen, die aus Datenschutzgründen die App nicht installieren wollen. Der tschechischen Nachrichtenseite Novinsky zufolge sagte der Politiker hierzu: „Ich bin nicht gegen Technologie, aber es ist notwendig, darauf hinzuweisen, wann sie gefährlich werden kann und wo sie keinen Platz hat.“

Zwei Negativpreise für Gesichtserkennung

In der Kategorie „Offizieller Schnüffler“ wurde die tschechische Polizei ausgezeichnet. Sie nutze seit einigen Jahren das digitale Personeninformationssystem „Informačního systému Digitální podoba osob“ (IS DPO). Es soll über eine Datenbank mit fast 20 Millionen Fotos von tschechischen Personalausweisen und Pässen verfügen, wie die Jury erklärt. Anhand dieser Aufnahmen sollen Polizist:innen Menschen in der ganzen Republik identifizieren können. Hauptkritikpunkt der Jury ist, dass die Polizei die Öffentlichkeit nicht ausreichend über IS DPO informiert habe und die Nutzung des Systems nicht ausreichend gesetzlich geregelt sei.

Als „Corporate-Schnüffler“ kürte die Jury das slowakische Unternehmen Innovatrics für ihr biometrisches System Fingera. An tschechischen und slowakischen Arbeitsplätzen, wo das System eingesetzt wird, können sich Mitarbeiter:innen durch einen Scan ihres Gesichts ausweisen. Sie brauchen also keine Karten oder Apps, um zum Beispiel ihre Pausenzeiten zu registrieren.

Die Big-Brother-Jury hat jedoch Bedenken, dass Fingera nicht mit der Datenschutz-Grundverordnung vereinbar sei. Außerdem befürchtet sie, den Angestellten sei nicht ausreichend bewusst, dass sie die biometrische Überwachung am Arbeitsplatz auch ablehnen und eine Alternative fordern können. In einer Antwort an die Jury führt das Unternehmen aus, dass Arbeitgeber durchaus niemanden zur Nutzung des Systems verpflichten dürften. Außerdem sei es möglich, Fingera etwa mit einer Karte oder PIN ohne biometrische Daten zu nutzen.

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Author: Lea Binsfeld