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Brüssel fordert Anti-Rassismus in der Polizei – Berlin liefert das Gegenteil

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Brüssel fordert Anti-Rassismus in der Polizei – Berlin liefert das Gegenteil

von Gastbeitrag | Dez. 17, 2025 | Aktuelles

Es hätte ein wichtiger Meilenstein in der europäischen Rassismusbekämpfung und der Bekämpfung von Racial Profiling werden sollen. Als die EU-Kommission im Herbst 2020 einen ambitionierten Fünfjahresplan vorstellte, zeichnete sie auf 27 Seiten ein ungewohnt deutliches Bild des diskriminierenden Alltags in der EU – und formulierte zugleich konkrete Maßnahmen, um dem entgegenzutreten. Ein Schwerpunkt: die Eindämmung von Racial Profiling in den Mitgliedstaaten. 

Gerade im Bereich der Polizeiarbeit setzte die Kommission hohe Erwartungen. Man wolle die Staaten dabei unterstützen, „diskriminierende Einstellungen innerhalb der Strafverfolgungsbehörden abzubauen, notwendige Kompetenzen zur Untersuchung und Verfolgung von Hasskriminalität zu entwickeln und eine faire und angemessene Behandlung von Opfern sicherzustellen“, heißt es im Plan. Also das sogenannte „Racial Profiling“. Doch fünf Jahre später zeigt sich: Von einer konsequenten Umsetzung dieser Vorgaben ist Deutschland weit entfernt.

Die gesetzliche Ebene

Nicht mal ein Dreivierteljahr ist vergangen, seitdem der 21-jährige Lorenz A. in der Oldenburger Innenstadt von einem Polizisten erschossen wurde. Anfang November folgte dann der nächste Paukenschlag. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg erhebt Anklage wegen fahrlässiger Tötung gegen den Polizeibeamten, der in der Nacht auf den 20. April insgesamt fünf Schüsse aus seiner Waffe abgegeben hat. Vier dieser fünf Schüsse verletzten Lorenz so stark, dass er im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen erlag.

Die Debatte über rassistische Behördenarbeit hat derweil schon längst den Mainstream erreicht. Denn: International häufen sich Fälle von diskriminierenden Übergriffen durch Polizeibeamt:innen. Das ruft auch die EU auf den Plan. Im September 2020 sollte dann mit dem Entwurf der Kommission zu einem größeren Rundumschlag gegen rassistische Diskriminierung innerhalb der Union ausgeteilt werden. Dabei wurde auch rassistische Behördenarbeit klar adressiert. Man wolle für mehr Transparenz sorgen – auch durch das Schaffen von unabhängigen Anlaufstellen. Das soll gerade bei marginalisierten Personen das Vertrauen in den Staat und die EU wieder stärken.

Der „sachliche Grund“

In Deutschland wurden nach 2020 mehrere gesetzliche Änderungen beschlossen, mit denen die Bundesrepublik grundsätzlich die Möglichkeit gehabt hätte, den Vorgaben der EU-Kommission nachzukommen. So auch in einem wichtigen Änderungsentwurf von 2023. In der Praxis lässt jedoch schon dieser im Hinblick auf Racial Profiling stark zu wünschen übrig.

Zwar wurden einzelne progressive Regelungen aufgenommen, darunter die Verpflichtung zu einer „besonderen Sensibilität gegenüber (…) trans-, intergeschlechtlichen sowie nichtbinären Menschen“. Der rechtliche Rahmen für öffentliche Personenkontrollen wurde hingegen kaum verändert. Kontrollen dürften zwar nicht allein auf dem äußeren Erscheinungsbild, etwa der Ethnie, beruhen, liegt jedoch ein „sachlicher Grund“ vor, können auch äußerliche Merkmale weiterhin zur Begründung einer Kontrolle herangezogen werden.

Was unter einem solchen „sachlichen Grund“ zu verstehen ist, wurde vom Innenministerium nicht näher konkretisiert.

Deutschland verschlimmert die Situation

Im Oktober dieses Jahres folgte dann eine umfassende Modernisierung des Gesetzes. Man wolle „den Staat handlungsfähiger“ machen, erklärte der Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) zur Modernisierung. Doch auch hier sucht man vergebens nach Maßnahmen, die rassistische Behördenarbeit eindämmen sollen. Stattdessen wurden die Befugnisse der Bundespolizei gerade im öffentlichen Raum immens ausgebaut: 

„Die Bundespolizei kann (…) das Mitführen von gefährlichen Gegenständen und Waffen untersagen, in den jeweiligen räumlichen Geltungsbereichen Personen kurzzeitig anhalten, befragen und verlangen, dass mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung ausgehändigt werden, sowie mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen und durchsuchen“, heißt es wörtlich im Gesetz.

In der Praxis erhöhen diese Waffenverbotszonen das Risiko diskriminierender Kontrollen, insbesondere für migrantische Personen. Die Auswahl der kontrollierten Personen liegt dabei faktisch im Ermessen der Beamt*innen. Das bleibt nicht folgenlos: Vielerorts häufen sich diskriminierende Erfahrungen, die im Zusammenhang mit diesen Zonen stehen. In einer ehemaligen Waffenverbotszone im Umfeld der Leipziger Eisenbahnstraße beispielsweise ergaben Befragungen mit Anwohnenden, dass gerade migrantische Personen unter den verschärften Kontrollen leiden. Inzwischen wurde die Zone wieder aufgehoben – vorrangig, weil sie kaum einen nennenswerten Erfolg in der praktischen Kriminalitätsbekämpfung liefern konnte.

Auf gesetzlicher Ebene bleibt Deutschland somit nicht nur weit hinter den Vorgaben des Plans, sondern baut strukturell jene Muster aus, welche als konkrete Ursachen für rassistische Diskriminierungen gelten.

„Lösungsansätze“ durch die EU

Auch auf statistischer Ebene zeigt sich das Problem sehr eindrücklich. Die Zahl der „verdachtsunabhängigen Kontrollen“ stieg von rund 2,4 Millionen im Jahr 2023 auf mehr als 4,7 Millionen im Jahr 2024. Das ergab eine Anfrage der Linkspartei vom Februar 2025. Eben jene Anfrage bietet jedoch noch ein weiteres spannendes Detail: Die Zahl der Beamt:innen, die „an Antirassismus- und Antidiskriminierungsseminaren“ teilgenommen haben, ist seit 2022 zwar gestiegen, jedoch ist auch der Höchstwert aus dem letzten Jahr im Vergleich zur gesamten Belegschaft der Bundespolizei eher gering. Gerade einmal 13.097 Mitarbeitende haben 2024 an derartigen Seminaren und Weiterbildungen teilgenommen – und damit nur etwa ein Viertel der rund 55.000 Beschäftigten der Behörde.

Das passt in ein ähnliches Muster: Auch die EU versucht bereits seit Jahren durch lokale Weiterbildungsmaßnahmen für die Ermittlungsbehörden der Mitgliedstaaten, rassistische Polizeiarbeit einzudämmen. Im Antirassismus-Plan der EU-Kommission sind solche Maßnahmen umfassend beschrieben (Seite 7 ff.). Das Problem: Die Angebote der Behörden sind in der Regel eher fakultativ. Es bestehen seitens der EU keine genauen Vorgaben darüber, wie viele Weiterbildungsmaßnahmen absolviert werden müssen. Das lässt stark an einer umfassenden Tragweite der EU-Maßnahmen zweifeln. 

Deutschland hat die Probleme bei Racial Profiling vergessen

Hinzu kommt, dass die Erfolge solcher Maßnahmen kaum messbar sind. Weder gibt es standardisierte Evaluationen, noch werden die Inhalte oder die Wirkung der Seminare systematisch überprüft. So lässt sich schwer feststellen, ob die Teilnehmer:innen tatsächlich sensibilisiert werden oder ob die Schulungen in der Praxis eigentlich gar keine Wirkung zeigen.

Die Entwicklungen verdeutlichen stark, dass die Vorgaben der EU-Kommission im Bereich des Racial Profilings im deutschen Innenministerium scheinbar gänzlich in Vergessenheit geraten sind. Statt progressiver Maßnahmen setzen die Verantwortlichen auf eine größere Aufrüstung der Polizei. Damit bleibt unklar, wie drastisch sich all diese Entwicklungen in der Zukunft noch entwickeln werden. Bereits im nächsten Jahr sind erste Evaluierungen der Reform des Bundespolizeigesetzes vom vergangenen Herbst zu erwarten.

Gastautor: Lars Freudenberger. Artikelbild: Christian Charisius/dpa

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