Symbolbild Berliner U-Bahn.
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Sicherheit bedeutet, angstfrei leben zu können. Für Menschen, die von Rassismus betroffen sind, ist das jedoch häufig nicht selbstverständlich. Ihre Wege durch die Stadt sind geprägt von Vorsicht, Ausschlüssen und alltäglichen Bedrohungen.
Die aktuelle Cura-Kampagne macht sichtbar, dass viele Menschen nicht sicher sind oder sich nicht sicher fühlen. Während sie selbst Schutz benötigen, werden sie im politischen und medialen Diskurs oft als Gefahr dargestellt.
Zur Kampagne: Deine Sicherheit ≠ Meine Sicherheit
Sicherheitsgefühl ist für viele nicht gegeben. Dazu muss ich nicht von Rassismus betroffen sein. Es betrifft auch weiße Personen, wie Frauen im Allgemeinen und Jüdinnen*Juden, die weiß gelesen werden oder sich auch selbst so bezeichnen. Ebenso auch Menschen, die von Homo- und Trans*feindlichkeit betroffen sind.
Alltag & Teilhabe
Im Alltag von Menschen mit Rassismuserfahrung wird sichtbar, wie ungleich Sicherheit in unserer Gesellschaft verteilt ist. Während sich manche selbstverständlich und unbeschwert durch die Stadt bewegen, tragen andere eine ständige, unsichtbare Anspannung in sich. Sie müssen täglich überlegen: Wo bin ich sicher? Kann ich hier einfach ich sein? Dieses ständige Abwägen bestimmt, welche Wege Betroffene gehen, welche Orte sie meiden und wo sie sich aufhalten.
Viele erleben dabei einen starken Anpassungsdruck. Sie verspüren das Gefühl, sich doppelt beweisen zu müssen, alles zu erklären und stets freundlich zu bleiben, um keine Angriffsfläche zu bieten. So entstehen im öffentlichen Raum unsichtbare Grenzen. Manche Orte wirken offen und frei, andere bedrohlich oder ausschließend. Die Gefahr von Ablehnung oder Diskriminierung kann dazu führen, dass Menschen bestimmte Bahnlinien, Viertel oder Behörden bewusst umgehen und dadurch Teilhabechancen verlieren.
Denn Teilhabe bedeutet mehr, als bloß dabei zu sein. Sie entsteht dort, wo Menschen sich sicher, willkommen und gleichberechtigt fühlen. Fehlt diese Sicherheit, schwindet das Vertrauen in Mitmenschen, Institutionen und in die Gesellschaft. Was bleibt, sind Rückzug, Isolation und Selbstschutz. So geht das verloren, wonach fast alle in unserer Gemeinschaft streben: das Gefühl der Zugehörigkeit.
Sicherheit ist daher eine Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Wer sich unsicher fühlt, kann sich nicht frei entfalten. Sicherheit herzustellen ist keine individuelle Aufgabe, sondern eine gesamtgesellschaftliche.
Schutz und Sicherheit
Sicherheit bedeutet mehr als den bloßen Schutz vor Gewalt. Sie heißt, sich bewegen zu dürfen, ohne Angst und Einschränkungen. Doch solange Menschen mit Bezug auf ihre Herkunft, Religion oder Hautfarbe anders behandelt werden, bleibt Sicherheit ungleich verteilt.
Für viele Betroffene ist Sicherheit kein selbstverständlicher Zustand, sondern etwas Fragiles. Manche Menschen bewegen sich mit dem Gefühl, selbstverständlich geschützt zu sein, andere müssen immer wachsam bleiben. Diese Ungleichheit prägt unseren Alltag und verdeutlicht, worum es geht:
Die Ungleichheit zeigt sich überall, auf Bahnfahrten, auf dem Weg zur Arbeit und im Kontakt mit Behörden. Nicht alle können sich in diesen Situationen gleich sicher fühlen, auch weil Institutionen, die Schutz versprechen, ihn nicht immer gewähren. Racial Profiling, Polizeigewalt oder fehlende Schutzräume für Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus führen dazu, dass Sicherheit ungleich verteilt ist.
Sicherheit ist kein individuelles, sondern ein strukturelles und gesellschaftliches Thema. Fehlender Schutz schafft Misstrauen und untergräbt Vertrauen in die Polizei, Behörden und Mitmenschen. Sicherheit, die nur für manche gilt, ist kein Recht, sondern ein Privileg. Echte Sicherheit entsteht, wenn alle Lebensrealitäten mitgedacht werden. Sie bedeutet, gehört, geglaubt und geschützt zu werden. Schutz ist eine kollektive Aufgabe von Staat, Institutionen und Zivilgesellschaft. Nur durch Solidarität, Anerkennung und strukturelle Veränderung kann Sicherheit für alle Wirklichkeit werden.
Copingstrategien
Für viele Menschen in Deutschland gehören rassistische und rechte Gewalt zum Alltag. Betroffene haben daher fast nie ein selbstverständliches Sicherheitsgefühl, denn Vorsicht und Angst begleiten sie in allen Lebensbereichen. Der Umgang mit rassistischen Erfahrungen und die Reaktionen darauf sind dabei sehr unterschiedlich und hängen von vielen Faktoren ab.
Zwischen dem Wunsch zu handeln und dem tatsächlichen Verhalten besteht oft eine Diskrepanz. Viele verzichten aus Angst, dass die Situation gefährlicher werden könnte, darauf, sich zu wehren. Dieses Verhalten ist kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck struktureller Gefährdung. Handlungsmöglichkeiten sind daher stark von äußeren Bedingungen und individuellen Kapazitäten abhängig. Manche Betroffene reagieren aktiv, indem sie sich zur Wehr setzen. Andere hingegen ziehen sich zurück, vermeiden die Situation oder grenzen sich emotional davon ab. Alle sind sie jedoch mit der Situation konfrontiert und müssen sich immer damit auseinandersetzen, auch wenn sie sich entscheiden, keine Reaktion nach außen zu zeigen. Den Luxus, unbeteiligt zu sein, können sie nicht für sich in Anspruch nehmen.
Das Leben in rassistisch geprägten Strukturen erfordert oft Vorsicht. Viele meiden bestimmte Orte oder Situationen, was die eigene Freiheit einschränken kann. Gleichzeitig entsteht bei vielen der Wunsch, nicht länger stillzubleiben. Laut zu werden und Rassismus zu benennen, kann das Selbstbewusstsein und das Zugehörigkeitsgefühl stärken. Auch das solidarische Handeln und die Unterstützung der Zivilgesellschaft sind Teil davon.
Familie, Freund*innen oder Communities können Halt geben. In vertrauten Räumen können Erfahrungen geteilt und verarbeitet werden, ohne sich erklären zu müssen. Safer Spaces, Selbsthilfegruppen und Initiativen schaffen Orte der Stärkung und Heilung. Dieses Empowerment bedeutet auch, nicht allein zu sein: solidarische Verbündete, zivilgesellschaftliches Engagement und Institutionen, die Verantwortung übernehmen, sind entscheidend. Nur wenn sich gesellschaftliche Strukturen verändern, kann gleiche Sicherheit für alle Realität werden.
Polizei und Sicherheitsbehörden
Polizei und Sicherheitsbehörden sollen Schutz und Sicherheit für alle garantieren. Für viele Betroffene von Rassismus ist die Realität jedoch eine andere. Vertrauen in die Sicherheitsbehörden ist ungleich verteilt: Während manche sie als Hilfe erleben, empfinden Menschen mit Rassismuserfahrung sie oft als Bedrohung. Wiederkehrende Erfahrungen zeigen, dass Betroffene nicht geschützt, sondern aufgrund äußerer Merkmale oder Herkunftsvermutungen häufiger kontrolliert, stigmatisiert und verdächtigt werden. Ein Ausdruck von Racial Profiling und institutionellem Rassismus.
Zudem prägen traumatische Erlebnisse bei Kontrollen oder Durchsuchungen Betroffene und ganze Communities über Generationen. Viele vermeiden es deshalb, im Notfall Hilfe zu rufen und fühlen sich vom Staat nicht geschützt, sondern nicht ernst genommen oder sogar bedroht.
Strukturelle Probleme wie fehlende unabhängige Beschwerdestellen, unzureichende Erfassung rassistischer Vorfälle und interne Hierarchien erschweren die Aufklärung zusätzlich. Um Vertrauen in die Ermittlungsbehörden wiederherzustellen, ist die Anerkennung rassistisch motivierter Taten als strukturelles Problem, nicht als Einzelfälle, dringend notwendig.
Medien und Politik
In demokratischen Gesellschaften sind Wähler*innen bei der Informationssuche stark auf Medien angewiesen. Narrative und vorurteilsbeladene Bilder, die Medien bedienen, prägen Überzeugungen und Einstellungen. Der sogenannte „Media Effect“ beschreibt den erheblichen Einfluss, den Medien auf die öffentliche Wahrnehmung und Meinungsbildung haben.
Die mediale Überbetonung von Kriminalität und Bedrohungsszenarien trägt dazu bei, bestimmte marginalisierte Gruppen als Sicherheitsrisiko wahrzunehmen. Dies wiederum verstärkt die negative Wahrnehmung. Wenn Nachrichten also hauptsächlich über Kriminalität berichten, führt dies zu größeren Sorgen um die eigene Sicherheit und betroffene Menschen erleben weniger Unterstützung. Dadurch steigt die reale Bedrohung für sie im Alltag.
Gerade für Betroffene von Rassismus kann dies das Sicherheitsgefühl enorm beeinträchtigen. Vor allem eine überwiegend negative Berichterstattung verstärkt das Unsicherheitsgefühl. Geflüchtete werden beispielsweise häufig als anonyme, „Fremde“ und potenzielles „Problem im Stadtbild“ dargestellt. Und die Personen, die als „Problem“ gesehen werden, sind selbst diejenigen, die tagtäglich Angst und Unsicherheit erleben.
Für Betroffene bedeutet das also eine doppelte Belastung: Sie erfahren einerseits permanent Diskriminierung im Alltag und werden andererseits medial als „anders“ und „gefährlich“ markiert. Das kann dazu führen, dass Betroffene sich in der Öffentlichkeit weniger sicher fühlen, da sie mit Anfeindungen und Bedrohungen rechnen müssen.
