Symbolbild Demokratie leben!
(Quelle: picture alliance / CHROMORANGE | Udo Herrmann)
Während Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat eine Entschließung zur langfristigen Absicherung des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ eingebracht hat, verdichten sich in Berlin die Hinweise darauf, dass das Programm ab 2026 in den Folgejahren nicht nur neu ausgerichtet, sondern mit den Sparanstrengungen des Bundes vermutlich auch verkleinert werden soll. Ein Schreiben von Staatssekretär Ingo Behnel aus dem Bundesbildungsministerium, verschickt am 21. Oktober 2025, bildet dabei einen wichtigen Baustein – und zeigt, wie weit diese Debatte inzwischen fortgeschritten ist.
Der Brief bestätigt zunächst, dass „Demokratie leben!“ 2026 weitergeführt wird – ein wichtiges Signal in einer Phase realer Haushaltsunsicherheit. Gleichzeitig markiert er eine politische Neujustierung: Antisemitismus, Islamismus und Linksextremismus sollen stärker betont werden, während der Schwerpunkt Rechtsextremismus sichtbar relativiert und Rassismus gar nicht mehr erwähnt wird. Außerdem soll die Arbeits- und Unternehmenswelt stärker einbezogen und der digitale Raum ausgebaut werden. Für viele Träger klingt das nicht nach fachlicher Weiterentwicklung, sondern nach politischer Akzentverschiebung.
Ein Programm mit schmerzhaften Erfahrungen
Was dabei zu kurz kommt: „Demokratie leben!“ ist kein beliebiges Förderprogramm, sondern wurde als Reaktion auf die sicherheitspolitischen Erschütterungen der vergangenen Jahre entwickelt. Nach der NSU-Mordserie folgten die Empfehlungen der Länder- und Bundestags-Untersuchungsausschüsse; nach den Anschlägen von Halle und Hanau beschloss die Bundesregierung weitreichende Maßnahmen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus.
Hinzu kommen die jüngsten Eskalationen. Vor der Bundestagswahl 2025 gab es mehrere politisch motivierte Anschläge – gegen queere Einrichtungen, Kommunalpolitiker*innen, Geflüchtete und Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Viele dieser Taten verbanden rechtsextreme Motive mit offener Misogynie: Insbesondere Frauen wurden gezielt bedroht, belästigt und angegriffen.
Zudem gab es mehrere islamistische Angriffe, unter anderem einen Anschlag des sogenannten Islamischen Staates mit einem Messerangriff in Solingen. Gleichzeitig erschütterte im Frühjahr 2025 ein Fall bundesweit die Öffentlichkeit: Eine rechtsextreme Gruppierung aus Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren plante Gewalt- und Brandanschläge auf Migrant*innen. Das zeigt: Radikalisierung durch sehr bedrohliche Akteur*innen nimmt auf mehreren Ebenen zu und unterschiedliche demokratiefeindliche Milieus lernen voneinander.
Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und andere menschenfeindliche Haltungen sind keine getrennten Phänomene, sondern wirken ineinander – online wie offline.
Parallel dazu hat die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung im September ein Papier veröffentlicht, das strengere Neutralitäts- und Transparenzanforderungen für NGOs fordert. Damit verschiebt sich der Blick auf Demokratieförderung hin zu einem verwaltungstechnischeren Verständnis und weg von der gesellschaftlichen Realität, in der Präventionsarbeit immer auch Haltung erfordert. Viele sehen die Gefahr, dass engagierte Arbeit gegen Rechtsextremismus damit politisch entkernt wird.
Weitere Herausforderungen und digitale Radikalisierung
Während öffentlich vor allem über neue Schwerpunkte gestritten wird, entstehen längst zusätzliche Bedrohungen. Islamistische Milieus professionalisieren ihre digitale Rekrutierung; antiimperialistische Akteur*innen radikalisieren entlang internationaler Krisen. Beide erreichen Jugendliche über TikTok, Instagram, YouTube-Shorts und Gaming-Communitys.
Besonders alarmierend ist die rechtsextreme Mobilisierung Jugendlicher. 2025 hat sie einen neuen Höhepunkt erreicht: Jugendliche teilen antisemitische Memes, folgen misogynen Influencern oder übernehmen rechtsextreme Parolen, ohne ihre Bedeutung zu kennen. Die digitale Vernetzung wirkt wie ein Katalysator – und viele Präventionsprojekte haben in diesen Räumen kaum noch Sichtbarkeit und sind schlicht zu kleinteilig.
Hinzu kommt eine Entwicklung, die in der innenpolitischen Debatte bisher kaum vorkommt, aber enorm bedeutsam ist: Russische Akteure nutzen gezielt rechtsextreme Netzwerke in Deutschland, um Desinformation zu verbreiten und die Gesellschaft zu destabilisieren. Rechtsextreme Content-Creator, verschwörungsideologische Telegram-Kanäle und kremlnahe Medienplattformen verstärken sich gegenseitig – ein informelles Bündnis, das demokratische Institutionen untergräbt und besonders junge Nutzer*innen erreicht. Diese Verbindung von ausländischer Einflussnahme und deutscher rechtsextremer Mobilisierung ist eines der unterschätzten Risiken der nächsten Jahre.
Ostdeutsche Perspektiven fehlen – und damit zentrale Erfahrungen
In den bisherigen Debatten fällt eine Perspektive besonders durch Abwesenheit auf. Ostdeutsche Regionen, in denen Rechtsextreme seit Jahren gezielt Räume einnehmen, Einschüchterung normalisieren und demokratische Akteur*innen zurückdrängen, kommen kaum vor. Menschen, die in ländlichen Gemeinden unter rechtsextremer Dominanz leben, berichten von Abwertung, Gewalt, Bedrohungen – und davon, dass ihre Realität bundespolitisch oft überhört wird. Eine Neuausrichtung, die diese Erfahrungen nicht berücksichtigt, greift zu kurz.
Hinzu kommt ein strukturelles Problem: Viele Projekte erfahren erst im Dezember, ob ihre Förderung weiterläuft. Fachkräfte kündigen, Angebote müssen pausieren, Vertrauen bröckelt. Eine demokratische Infrastruktur, die jedes Jahr im Ungewissen hängt, kann dauerhaft keine stabile Gegenkraft zu demokratiefeindlichen Akteuren bilden. Die Debatte um ein Demokratiefördergesetz wirkt wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, wäre aber aktueller denn je.
Länder warnen, der Bund zögert
Während der Bund neu gewichtet, fordern die Länder Verlässlichkeit. Mecklenburg-Vorpommern bringt es auf den Punkt: Demokratieförderung braucht eine langfristige Grundlage, keine wechselnden politischen Experimente. Der Wegfall von Partnerschaften für Demokratie etwa hätte in vielen Regionen dramatische Folgen – vor allem dort, wo sie das letzte sichtbare Gegengewicht zu rechtsextremer Dominanz bilden.
Die Debatte ist deshalb mehr als ein Verwaltungsprozess. Sie ist ein Richtungsstreit darüber, welche Demokratieförderung dieses Land braucht: Eine, die digitale, transnationale und jugendkulturelle Risiken ernst nimmt und zivilgesellschaftliche Strukturen stärkt – oder eine, die vielfältige Realitäten vor Ort nicht berücksichtigt. Eigentlich müsste die Entscheidung deutlich ausfallen.
Eines ist klar: Die demokratische Zivilgesellschaft ist belastbar, aber nicht unbegrenzt. Ob der Bund das Programm stärkt oder verwässert, entscheidet mit darüber, wie widerstandsfähig dieses Land in den nächsten Jahren sein wird. Und auch das sei deutlich gesagt: „Demokratie leben!“ ist kein AfD-Bekämpfungsprogramm – und soll es auch nicht sein. Aber es ist eine der wenigen verlässlichen Strukturen, die Menschen schützt, bevor Gewalt entsteht.
