Köln | Gastartikel | Einen unterhaltsamen und sehr launigen Kommentar hat Andi Goral hier auf report-k zur Ost-West-Achsen-Entscheidung veröffentlicht. Das liest sich gut und ich würde ihm in weiten Teilen auch zustimmen. Ein Gastartikel von Martin Herrndorf.
Hinweis der Redaktion: Zur Person von Martin Herrndorf finden sich am Ende des Artikels Informationen sowie ein Link zum Kommentar von Andi Goral.
Trotzdem braucht es glaube ich nochmal einen nüchternen Blick auf das Thema. Dies ist aufgrund des Zeitdruckes und der Komplexität der Ausgangslage sehr schwierig, trotzdem hier ein Versuch.
Was ist die Ausgangslage?
Es liegen für den Ausbau der Ost-West-Achse zwei Varianten vor, die beide in einem recht hohen Detailgrad und mit mehreren Varianten durchgeplant sind: Wo kommt welcher Aufzug hoch? Wo kann man mit dem Rad wie abbiegen? Wo bleibt welcher Baum stehen oder kommt neu?
Beide Varianten machen den Einsatz von 90-Meter-Zügen auch in der Innenstadt, und damit auf der gesamten Linie 1, möglich und sind laut Verwaltung umsetzbar und förderfähig.
Sie wurden, in dem Zuschnitt, von der Politik beauftragt, und zwar von CDU, Grünen und Volt gemeinsam. Sie wurden in den letzten Monaten ausgiebig beraten und diskutiert. Es gab politische Steuerungsgruppen, eine Einbindung der Zivilgesellschaft, eine vorgeschaltete Öffentlichkeitsbeteiligung, es wurden bereits Pläne für die Bauphase erstellt, zahlreiche Visualisierungen, aufwändige Studien zur Förderfähigkeit, etc.
Am Freitagmittag, den 6. Dezember, ging mit der Vorlage von CDU, SPD und FDP ein sehr komplexer und umfangreicher Änderungsantrag online. Die Ratsmitglieder, auch die von CDU, SPD & FDP, sollen nach jahrelangen Beratungen auf einmal am 12. Dezember für eine neue Variante 3 aus internen Verhandlungsrunden stimmen. In der Vorlage sind zig neuen Linien, neue Tunnel, etc. enthalten.
Normalerweise werden solche komplexen Vorlagen auch von der Verwaltung erarbeitet – von Verkehrsplaner*innen und Ingenieur*innen, von Verwaltungsprofis, die sich mit Planungsprozessen auskennen. All dies ist hier nicht, oder zumindest nicht nachvollziehbar und transparent passiert.
Niemand kann in der Kürze der Zeit die Auswirkungen durchblicken. Zum Glück findet vor der Beschlussfassung im Rat noch eine gemeinsame Sitzung von Bezirksvertretung und Verkehrsausschuss statt, sonst wären diese Gremien ganz ausgeschaltet.
Auch die Kontrolle über die Medien kann auf diese Weise kaum noch funktionieren – wann sollen die Zeitungen unabhängige Expert*innen zu den Themen befragen, wie sollen sie unabhängig und objektiv die komplexen Auswirkungen darstellen?
Zum Vergleich: Weit weniger wichtige Vorlagen der Verwaltung, die wenige Tage vor den Gremiensitzungen kommen („verfristet“), werden oft vertagt, weil Fraktionen noch Beratungsbedarf haben und sich in Ruhe eine Meinung bilden wollen. Es gibt oft Fachgespräche mit Expert*innen aus der Verwaltung und von externen Büros, die Vorlagen erläutern, rechtliche und technische Einschätzungen in einem ruhigen Raum geben.
All das ist hier nicht möglich. Zudem ist der Druck auf die Gremienmitglieder extrem hoch – es ist, insbesondere für die Mitglieder in den Fraktionen von SPD, CDU und FDP, quasi unmöglich, von der Vorlage abzuweichen.
Die Auswirkungen
Was passiert, wenn die Vorlage beschlossen wird? Genau weiß das noch niemand, aufgrund der kurzen Frist und den umfangreichen Änderungen.
Erste Stellungnahmen von Ascan Egerer in der Sitzung der Bezirksvertretung am 5. Dezember geben aber einen Hinweis: Wenn sich die Planung wesentlich ändert, zum Beispiel durch neue Tunnelabschnitte, werden die Planungen und Studien unbrauchbar, inklusive der „Nutzen-Kosten-Untersuchung“, der Prozess beginnt nochmal von vorne.
Die Anzeichen weisen stark darauf hin, dass dies der Fall ist. Es werden quasi alle Haltestellen neu geplant („Heumarkt wird verschoben“, „Rudolfplatz wird verschoben“), alle geplanten Rampen ändern sich (die im Mauritiusviertel fällt weg, die am Eisenbahnring wird verschoben, die am Heumarkt fällt weg), etc.
Das hätte wohl die folgenden Auswirkungen:
a) Die komplette Planung für den Innenstadtbereich müssen nochmal komplett neu erstellt werden. Dies wird nochmal massive Planungskosten nach sich ziehen sowie mehrere Jahre dauern – so wie es für die beiden vorliegenden Varianten mehrere Jahre gedauert hat. Der Prozess bisher hat 30 Millionen Euro gekostet (für beide Varianten), für die neue Planung dürften mind. 40 Millionen fällig werden (nicht förderfähig!)
b) Es kann 2025 kein Förderantrag gestellt werden. Damit muss die Stadt den Ausbau für Langzüge von Bensberg nach Weiden entweder selber finanzieren oder sie streicht ihn. Die gesamten Planungs- und Beteiligungsverfahren in den letzten sechs Jahren werden damit nichtig gemacht, die 30 Millionen Euro Planungskosten ebenfalls.
c) Ob das neue Großprojekt förderfähig ist, wird sich dann erst in mehreren Jahren entscheiden (2028? 2030). Sollte es absehbar nicht förderfähig sein, passiert auf der ganzen Achse nichts – oder es bleibt das von der Stadt selbst finanzierte Provisorium stehen. Oder es wird doch noch die oberirdische Variante im Nachlauf beschlossen, die man jetzt schon haben könnte.
d) Viele Verbesserungen in dem Bereich sind auf absehbare Zeit nicht umsetzbar, weil die Förderfähigkeit daran hängt, insb. durchgängige Radspuren vom Rudolfplatz bis zum Deutzer Bahnhof. Mit einem Beschluss gegen die beiden Varianten würde dieser Schwebezustand auf Jahre verlängert.
e) Selbst im „Best Case“, bei dem die neue Variante förderfähig ist, würden Bauarbeiten wohl nicht vor 2035 starten. Diese wäre nochmal deutlich umfangreicher als in der städtischen Vorlage. Wenn 2,5 km Tunnel eine Milliarde kosten, kosten 7 km Tunnel halt 3 Milliarden, mit den entsprechenden Risiken für die Stadt bei Kostensteigerungen.
Und inhaltlich?
Angesichts der gravierenden rechtlichen Probleme erübrigt sich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Antrag fast.
Wesentliche Vorteile des Tunnels, die lange hochgehalten wurden, wurden mit der Neuplanung schon kassiert. So soll weiterhin in wesentlichen Teilen eine Bahn oberirdisch fahren. Wenn es eine wesentliche Voraussetzung für mehr städtische Qualität ist, die Bahn in einen Tunnel zu legen, was ich eh bezweifle, dann hat sich das Argument für diese Abschnitte erledigt.
Auch die Reduzierung der Autospuren, eine wesentliche Voraussetzung für die Förderung, steht in dem Beschluss unter Vorbehalt. Die Oberflächengestaltung soll vom „Stand der Verkehrswende“ abhängen, d.h. wenn noch zu viel Autoverkehr ist, sollen die Spuren erhalten bleiben. Leider hängt aber die Förderfähigkeit an der Spurumwidmung, also wird auch dieses Konstrukt nicht funktionieren, sondern gefährdet die Förderfähigkeit.
Inhaltlich könnte man natürlich noch viel zu sagen – manche Ideen mögen besser oder schlechter sein. Insgesamt steht noch sehr oft Prüfaufträge drin, das sorgt natürlich alles für Unsicherheit und erschwert die Bewertung.
Wie geht es weiter?
Am 10. Dezember 2024 wird es eine gemeinsame Sitzung von Bezirksvertretung und Verkehrsausschuss geben, schon dort soll voraussichtlich abgestimmt werden. Der Verwaltung hat man damit knappe zwei Arbeitstage, von Freitagmittag an gerechnet, Zeit für eine Meinungsbildung und Stellungnahme gegeben.
Am 12. Dezember ist dann die Ratssitzung. Hier könnte es, angesichts der zahlreichen Änderungsanträge mit vielen Unterpunkten, hoch hergehen. Die Mehrheiten sind knapp, je nach Enthaltung oder „Abweichlern“ (oder auch einfach Abwesenheit) in den Fraktionen kann das Ergebnis kippen, können die Stimmen der AfD ausschlaggebend sein.
Auf der Tagesordnung steht auch ein Grüner Antrag. Hierbei soll die oberirdische Variante zeitnah gebaut werden – und parallel nach einer Tunneltrasse gesucht werden. Gerade dieser zweite Passus war ein Angebot an die SPD – man hätte mit Grünen, SPD und allen Kleinparteien (außer der FDP), die gegen die Tunnel sind, für diesen Antrag eine solide, aber zähneknirschende Mehrheit organisieren können.
Eine leise letzte Hoffnung bezieht sich darauf, dass sich in den Fraktion von CDU, SPD und FDP doch noch einzelne Vertreter*innen dem „Hau-Ruck-Verfahren“ entgegenstellen. Vor einer Abstimmung im Januar wäre dann Zeit, zumindest solide Stellungnahmen zu dem Vorschlag einzuholen.
Vielleicht, Achtung launiges Ende, kann man am 23. Dezember noch eine Mediations-Runde mit den Fraktionsspitzen, den verkehrspolitischen Sprecher*innen, Ascan Egerer und Henriette Reker mit Kerzen, Keksen und Glühwein organisieren. Schluss ist, wenn sich alle einig sind, sonst fällt Weihnachten aus. Angesichts dieses Szenarios könnte es dann vielleicht noch Bewegung in der Sache geben.
Hinweis zur Person von Dr. Martin Herrndorf
Dr. Martin Herrndorf ist von den Grünen nominierter Sachkundiger Einwohner im Verkehrsausschuss und Mitglieder der Grünen Fraktion in der Bezirksvertretung Innenstadt.
Zum Kommentar von Andi Goral
Kommentar zur Ost-West-Achse: ein Blick auf den „Scheinriese“
Stand: 10.12.2024