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Interoperabilität von Messengern: Holpriger Aufbruch von der Insel

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Interoperabilität von MessengernHolpriger Aufbruch von der Insel

Schon im Juni sollen Messenger in der EU miteinander reden können. Doch rund zwei Monate vor dem geplanten Start sind noch immer zahlreiche Probleme ungelöst, was zu einer Verschiebung führen könnte. Aber auch dann bleibt eine entscheidende Frage weiterhin offen.


Tomas Rudl – in Netzekeine Ergänzungen
Gängige Messenger sind bislang geschlossene Insellösungen. Das will ein neues EU-Gesetz ändern. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / ABACAPRESS

Eigentlich sollen in der EU bald Messenger miteinander reden können. Doch der ambitionierte Plan der EU schrumpft zusehends und könnte sich sogar noch weiter verzögern. Ob tatsächlich pünktlich zum 7. Juni zumindest Nutzer:innen von WhatsApp mit jenen anderer Dienste kommunizieren können, scheint zunehmend fraglich.

Die sogenannte Interoperabilität von Messengern ist Teil des Digital Markets Act (DMA), der vor knapp zwei Jahren beschlossen wurde. Indes gilt die Verpflichtung zur Öffnung nicht für alle Anbieter, sondern nur für die ganz großen. Erklärtes Ziel ist es, ihre Marktmacht und damit verbundene Netzwerkeffekte abzumildern. Beispielsweise hat WhatsApp in vielen EU-Ländern einen Marktanteil von rund 90 Prozent. Wer etwa an WhatsApp-Gruppen in der Schule oder am Arbeitsplatz teilnehmen will, muss sich die App wohl oder übel installieren – was zugleich die Verbreitung des Messengers nur weiter steigert.

Übrig geblieben ist davon bislang aber nur wenig. Außer zwei Dienste von Meta, WhatsApp und Facebook Messenger, hat die EU-Kommission keinen weiteren Anbieter als sogenannten Messenger-Gatekeeper eingestuft und damit zur Öffnung verpflichtet. Auch von der anderen Seite aus hält sich das Interesse an der Zusammenschaltung in Grenzen, schließlich gilt der Zwang nur für die dominanten Dienste. Abgewunken haben bereits kleinere Anbieter wie Signal oder Threema. Sie erwarten für sich und ihre Nutzer:innen mehr Nach- als Vorteile, etwa Probleme beim Datenschutz oder eine Beschädigung ihres Geschäftsmodells.

Matrix will Nachrichten austauschen

Gänzlich verpufft ist das Vorhaben freilich nicht. Mit Matrix hat mindestens ein Anbieter öffentlich angekündigt, Nachrichten mit WhatsApp austauschen zu wollen. Ob sich noch weitere Anbieter darauf vorbereiten, bleibt derzeit unklar: Es gibt keine offizielle, öffentlich einsehbare Liste von Interessenten und auch keine Pflicht dazu. Auf Anfrage wollten oder konnten sich weder Meta noch die EU-Kommission dazu äußern, Meta verweist lediglich auf einen allgemein gehaltenen Blog-Beitrag.

Fest steht jedenfalls, dass Meta Anfang März die technischen Spezifikationen vorstellen musste, mit denen sich Interoperabilität herstellen lassen soll. Auf deren Basis können Drittanbieter von Meta verlangen, innerhalb von drei Monaten ihre Dienste zusammenzuschalten. Vorerst tickt die Uhr nur für WhatsApp – für den Facebook-Messenger hat Meta im Januar um Aufschub gebeten, die Kommission prüft den Antrag derzeit noch.

Doch so umfangreich die Papiere von Meta auch sein mögen – sie erschlagen bei weitem nicht alle Details, die ein derart komplexes Unterfangen mit sich bringt. Und das, obwohl im ersten Schritt ohnehin nur der verhältnismäßig einfache Austausch von etwa Textnachrichten zur Pflicht für WhatsApp wird. Aufwändigere Funktionen wie Ende-zu-Ende-Videoanrufe sollen erst in den kommenden Jahren folgen.

Regulierer decken Baustellen auf

Einen Einblick in die zahlreichen offenen Punkte gewährt ein kürzlich veröffentlichtes Papier europäischer Regulierungsbehörden (BEREC), die sich den Entwurf des Referenzangebotes von Meta genauer angesehen haben. Unklar bleibt demnach unter anderem, wie sich Nutzer:innen über Messenger-Grenzen hinweg überhaupt finden und ihre Identität bestätigen können; wie die Bedienoberflächen aussehen sollen; ob sich mehrere Geräte eines Accounts für Interoperabilität nutzen lassen können; was genau bei Störungen oder Ausfällen passiert; oder auf welcher Rechtsgrundlage etwaige Datenverarbeitung durch Meta durchgeführt wird. Zu viel Handlungsspielraum soll sich Meta zudem bei der (Nicht-)Aktivierung oder Suspendierung von Interessenten einräumen, so der Bericht.

Viele der Punkte sind alles andere als trivial und dürften nicht einfach zu lösen sein, während die Umsetzungsfrist mit Riesenschritten naht. Über den aktuellen Stand hüllen sich derweil alle Beteiligten in Schweigen – wobei sich einem Blog-Beitrag von Matrix immerhin entnehmen lässt, dass erste Tests über das Signal-Protokoll erfolgreich verlaufen seien, auch wenn sich der Anbieter langfristig eine andere technische Basis wünscht. Auf Presseanfragen reagierte das Unternehmen nicht. Die Kommission gab gegenüber netzpolitik.org lediglich zu Protokoll, im Falle des Falles „zügig formelle Maßnahmen zur Durchsetzung ergreifen“ zu wollen.

Gespräche auf Hochtouren

Zugleich ist unter der Hand zu vernehmen, dass es regen bilateralen Austausch unter den Anbietern geben soll, in dem ausstehende Punkte konstruktiv geklärt würden. Und erst in der vergangenen Woche fand ein von der Kommission organisierter DMA-Workshop statt, bei dem auch die Interoperabilität von WhatsApp auf der Tagesordnung stand.

Der Prozess ist augenscheinlich sehr dynamisch, wenn nicht chaotisch: So untersucht die Kommission etwa noch, ob der Compliance Report von Meta aus dem März „effektiv dabei hilft, die Ziele des DMA zu erreichen“, sagt ein Kommissionssprecher. In die Bewertung sollen eben auch die Ergebnisse aus dem jüngsten Workshop einfließen, ebenso wie denkbare Eingaben von Drittanbietern. Gut möglich, dass danach noch BEREC eine Schleife zieht – und irgendwann im Sommer der Nachrichtenaustausch zwischen den zwei Anbietern tatsächlich funktionieren wird.

Frühestens dann wird sich erst die letztlich entscheidende Frage allmählich beantworten lassen: Hat sich der ganze Aufwand überhaupt gelohnt?

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Author: Tomas Rudl

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