Dr. Karamba Diaby war von 2013 bis 2025 SPD-Abgeordneter im Bundestag.
(Quelle: Niklas Gerlach)
Digitale Gewalt und rassistische Drohungen waren für den Hallenser Dr. Karamba Diaby jahrelang Alltag. Der Chemiker, SPD-Politiker und ehemalige Bundestagsabgeordnete gehörte zu den sichtbarsten Schwarzen Stimmen im deutschen Parlament und damit auch zu den am häufigsten Attackierten. Mit Belltower.News sprach Diaby über die Folgen digitaler Gewalt, über den Mut, Haltung zu zeigen, und darüber, warum Demokratie mehr sein muss als ein Lippenbekenntnis.
Zur Kampagne: Deine Sicherheit ≠ Meine Sicherheit
Wie fühlt es sich in Deutschland für dich an?
Dr. Karamba Diaby: Ich habe in den vergangenen 40 Jahren Deutschland in all seinen Facetten erlebt – mit offenen Armen, aber auch mit verschlossenen Türen. Ich habe viel Rückhalt erfahren. In den letzten zwölf Jahren als Abgeordneter des Deutschen Bundestages für den Wahlkreis Halle (Saale) habe ich viel politische Zustimmung und Vertrauen erhalten. 2021 erzielte ich das Direktmandat mit dem besten Erststimmenergebnis aller Kandidatinnen und Kandidaten in Sachsen-Anhalt.
Gleichzeitig habe ich täglich erlebt, wie sich Hass, Hetze und rechtsextreme Gewalt im digitalen Raum Bahn brechen. Im Zusammenhang mit meiner parlamentarischen Arbeit habe ich viele Morddrohungen erhalten. Seit meinem Ausscheiden aus dem Bundestag lebe ich ruhiger, weil ich kaum noch in den sozialen Medien poste.
Was bedeutet Sicherheit für dich?
Sicherheit bedeutet für mich weit mehr als bloßen Schutz vor Gefahr. Sie heißt, mich jederzeit und an jedem Ort – emotional, physisch, materiell und sozial – auf die tragenden Strukturen unserer Demokratie verlassen zu können. Wahre Sicherheit entsteht dort, wo Teilhabe möglich ist, wo Menschenrechte geachtet werden und wo der Staat seine Verantwortung gegenüber allen Menschen ernst nimmt.
Wo in deinem Alltag stellst du fest, dass die Demokratie unter Druck gerät?
Ich nehme täglich wahr, dass Einschüchterung – online wie offline – fester Bestandteil der Strategie rechtsextremer Gruppen geworden ist. Ihr Ziel ist nicht nur, einzelne Personen zu treffen, sondern demokratische Arbeit insgesamt zu schwächen.
Diese Angriffe haben eine klare politische Botschaft: „Wir wollen euch zum Schweigen bringen.“ Genau deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir hier widerstehen müssen, individuell, institutionell und politisch.
Wie macht sich das bemerkbar?
Das zeigt sich bei mir hauptsächlich dann, wenn ich etwas poste, meist Berichte über meine Arbeit als Abgeordneter, um Transparenz zu schaffen. Es gibt nur wenige sachliche Kommentare oder konstruktive Kritik. Stattdessen werden völlig andere Themen hineingezogen und die Beiträge häufig mit herabwürdigenden, beleidigenden oder gar drohenden Kommentaren begleitet.
Welche Auswirkungen hat das?
Was oft übersehen wird: Nicht nur die betroffene Person steht im Fokus, sondern auch ihr Umfeld. Mein Team musste jede dieser Nachrichten lesen, bewerten, sichern und entscheiden, ob sie strafrechtlich relevant ist. Und das geschah ohne juristische Ausbildung und ohne psychologische Supervision.
Du warst unterschiedlichen Formen von gewaltvollen Angriffen ausgesetzt. Wie gehst du damit um? Was bedeutet das für dein Leben heute? Was hat sich dadurch verändert?
Jede Drohung, jede Hassbotschaft, die ich erhalten habe, ging zunächst durch die Hände meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese permanente Konfrontation mit Gewalt und Menschenverachtung hat Folgen, psychisch, emotional und gesundheitlich. Wir reden viel über „digitale Gewalt gegen Politiker*innen“, aber zu wenig über die Menschen, die diese Gewalt mittragen müssen, weil sie sie dokumentieren, weiterleiten und anzeigen.
Hast du neben deinem Team weitere Unterstützung erfahren, die dir den Umgang erleichtert hat?
Ja, ich bin froh, dass wir von HateAid unterstützt werden. Diese Zusammenarbeit ist Gold wert. HateAid prüft Fälle, übernimmt die rechtliche Weiterverfolgung, berät und begleitet uns. Das entlastet, fachlich wie menschlich. Solche Unterstützungsangebote dürfen kein Glücksfall sein, sie müssen zur Regel werden.
Was benötigst du konkret, um dich sicher zu fühlen?
Rechtsextreme und Hassakteure wollen Angst verbreiten, Sprachlosigkeit erzeugen und Rückzug erzwingen. Deshalb benötigen alle Betroffenen von Hass und Hetze Solidarität, Sichtbarkeit und konkrete politische Strukturen, die schützen. Widerstand im Netz bedeutet für mich heute nicht nur, Haltung zu zeigen. Es bedeutet, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die Haltung zeigen, dabei nicht allein gelassen werden.
Wie kann verhindert werden, dass politische Kommunikation immer weiter verroht, gerade im digitalen Raum?
Unsere Demokratie gerät zunehmend unter Druck, durch gesellschaftliche Polarisierung, wachsende Gewalt und gezielte Desinformation. In dieser Lage darf Demokratieförderung kein Lippenbekenntnis sein, sondern muss dauerhaft, strukturell und verbindlich abgesichert werden. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der Hass und Hetze gegen Minderheiten oder Andersdenkende als Geschäftsmodell gelten, um Wahlen zu gewinnen. Als Gesellschaft müssen wir uns immer wieder fragen: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?
Du hast gesagt, um die Demokratie zu schützen, braucht es Menschen und Haltung. Was bedeutet das konkret für dich, damit du dich sicherer fühlst?
Was wir jetzt benötigen, ist ein Demokratiefördergesetz, das diesen Namen verdient. Eines, das Bildung, Beteiligung und Medienkompetenz flächendeckend stärkt. Denn Demokratie schützt sich nicht von allein. Sie braucht Menschen. Sie braucht Haltung. Und sie braucht den politischen Willen, sie aktiv zu verteidigen und zu fördern, jeden Tag. Die Politik auf europäischer Ebene, im Bund und in den Ländern muss ernst nehmen, dass die Demokratie unter Druck steht und verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, um sie nachhaltig zu verteidigen.
Inwiefern würde das Demokratiefördergesetz Menschen helfen, die von Rassismus betroffen sind, sich in Deutschland sicherer zu fühlen bzw. sicherer zu sein?
Wenn es der jetzigen Koalition nicht gelingt, die Demokratieförderung auf ein hohes Niveau zu bringen, dann haben wir versagt. Demokratie ist eine Daueraufgabe und Daueraufgaben brauchen Dauerförderung. Es ist ein Armutszeugnis, dass wir heute immer noch auf ein Demokratiefördergesetz warten müssen.
