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Lokaljournalismus stirbt aus: Warum wir verhindern müssen, dass die AfD davon profitiert 

Der Lokaljournalismus in Deutschland stirbt aus. Während es 1992 im Schnitt noch 2,26 unabhängige lokale Tageszeitungen pro Landkreis gab, sind es 2023 nur noch 1,83. Obwohl die Zustände bei uns in Deutschland noch nicht so schlimm sind wie beispielsweise in den USA, müssen wir trotzdem handeln. Denn ein weiteres Aussterben des Lokaljournalismus würde vor allem einer Partei in die Hände spielen: der rechtsextremistischen AfD. 

Die guten Nachrichten: Wir haben es noch in der Hand! Der Lokaljournalismus kann unterstützt werden, und zwar nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf politischer. Warum ist Journalismus beispielsweise noch nicht als gemeinnützig anerkannt? Warum denken wir nicht in größerem Stil darüber nach, wie lokale Medienangebote subventioniert werden können? Wir beleuchten, warum die Situation zwar ernst ist, wir den Kopf aber nicht in den Sand stecken müssen. 

Quellenhinweis: Alle Angaben in diesem Artikel beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, auf die Studie des Wüstenradars (veröffentlicht im November 2024).

Wüstenradar-Studie: “Nachrichtensteppe” in Deutschland

Die Studie „Wüstenradar“ in Kooperation mit unter anderem der Hamburg Media School untersuchte die Verbreitung des Lokaljournalismus in Deutschland. Hierfür zählten sie die wirtschaftlich unabhängigen Zeitungen auf Landkreisebene. Das Ergebnis: Seit 1992 sinkt die durchschnittliche Zahl der lokalen Tageszeitungen pro Landkreis, wie du in Gelb sehen kannst: 

Grundsätzlich gilt: je mehr wirtschaftlich unabhängige Zeitungen, desto besser. Als wirtschaftlich unabhängig gelten Herausgeber oder Verlage, die zu weniger als 50% einem anderen Herausgeber/Verlag gehören, der im selben Landkreis eine Tageszeitung herausgibt. Die Gefahren des Aussterbens des Lokaljournalismus liegen auf der Hand. Gibt es weniger Angebot an Lokalberichterstattung, ist diese abhängiger von beispielsweise Zeitungseigentümer:innen oder Chefredakteur:innen und kann zudem leichter von externen Playern wie Werbetreibenden oder politischen Akteuren vereinnahmt werden. Wenn diese dann Einfluss auf die Berichterstattung nehmen, ist unabhängige Berichterstattung nicht mehr gewährleistet, was sich auf direktem Wege negativ auf unsere Demokratie auswirkt.  

Wie sich die Situation in den einzelnen Landkreisen verändert hat, kannst du in dieser Gegenüberstellung sehen (1992 vs. 2023). Klicke unbedingt auf die Homepage von Wüstenradar selbst, um die animierte Grafik durchgehen zu können – es lohnt sich, versprochen.

Screenshot wuestenradar.de: Lokaljournalismus im Jahr 1992 vs. im Jahr 2023 

Obwohl das fortschreitende Aussterben von Lokaljournalismus in Deutschland alarmierend ist, haben wir noch nicht die Zustände erreicht, wie sie beispielsweise in den USA beobachtbar sind. Die Autor:innen der Wüstenradar-Studie haben nämlich nicht nur den Rückgang der wirtschaftlich unabhängigen Zeitungen in Deutschland nachgezeichnet, sondern auch untersucht, ob dieser zu messbaren Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Demokratie und des Gemeinwesens geführt hat. Dabei kamen sie zu keinen statistisch robusten Ergebnissen. 

Negativbeispiel USA: “Zeitungswüsten”

Doch das bedeutet nicht, dass wir nichts tun müssen. Denn: Deutschlands „Nachrichtensteppe“ kann auch zu einer kompletten Wüste werden, wie das beispielsweise in den USA schon passiert ist. Reporter ohne Grenzen schreiben zu der Situation dort:

“In immer mehr Landkreisen gibt es keine lokale Tageszeitung mehr. Über die vergangenen 15 Jahre haben 1.800 Gemeinden ihre lokalen Nachrichtenquellen verloren, in mehr als sechs Prozent aller US-Landkreise gibt es weder eine Tageszeitung noch eine andere lokale Redaktion. Dazu kommt ein Phänomen, das Abernathy [Anm. d. Red.: Forscherin an der University of North Carolina] „ghost newspapers“ nennt – „Geisterzeitungen“. An vielen Orten existiert zwar noch eine Zeitung mit einem traditionsreichen Namen, dahinter stehen aber so gut wie keine eigenen Journalistinnen und Journalisten mehr. Es werden fast nur noch Inhalte aus anderen Redaktionen veröffentlicht, von den einst traditionsreichen Tageszeitungen bleibt nur noch der Name übrig.

Auch einen dritten Trend beschreiben Abernathy und ihr Team: Um Kosten zu sparen werden Redaktionen zusammengelegt, so dass Reporterinnen und Reporter oft weit entfernt sind von den Orten, über die sie schreiben. Und der Markt wird zunehmend von großen Zeitungskonzernen und Investmentfirmen kontrolliert, die kleinere Lokalzeitungen aufkaufen: Das größte Unternehmen dieser Art ist 2019 mit der Fusion der Medienkonzerne Gannett und Gatehouse entstanden und besitzt mehr als 600 Zeitungen.”

Welche Counties – also regionale Verwaltungseinheiten innerhalb der einzelnen US-Bundesstaaten – nur noch eine Lokalzeitung besitzen, siehst du in gelb. Rot markiert sind alle Counties, die keine Lokalzeitung mehr besitzen.

Dass Redaktionen in großem Stil zusammengelegt werden, passiert auch schon in Deutschland. 2024 beispielsweise wurden die Leipziger Volkszeitung und die Sächsische Zeitung fusioniert und unterstehen nun dem Medienkonzern Madsack. Dieser strich – nicht wie angekündigt 30 – sondern, und das zeigen Recherchen von Medieninsider, insgesamt 53 Redaktionsstellen, da weitere 23 nicht nachbesetzt wurden.

Weniger Lokaljournalismus ist schlecht für die Demokratie

Auch wenn in Deutschland der Zustand des Lokaljournalismus zwar alarmierend ist, aber bisher nicht US-amerikanische Verhältnisse erreicht hat, zeigen Studien, dass in Ländern mit Zeitungswüsten die Demokratie massiv leidet. Der Rückgang von Lokalzeitungen kann zu einer geringeren Wahlbeteiligung, einer höheren politischen Polarisierung sowie zu einem geringeren politischen Wettbewerb führen. Reporter ohne Grenzen warnen:

Mehrere Studien aus der Politikwissenschaft und Soziologie zeigen, dass es tatsächlich Zusammenhänge gibt zwischen dem Zugang zu lokalen Medien und demokratischem und bürgerschaftlichem Engagement. Durch lokale Medien wissen Menschen, was in ihrer Region wichtig ist, und können auch nationale oder internationale Entwicklungen besser zum Leben vor Ort in Bezug setzen, etwa Themen wie den Klimawandel oder die Corona-Krise.”

Ein Beispiel aus der Praxis: Im letzten Jahr gewann das Hohenloher Tagblatt, eine kleine Zeitung aus Baden-Württemberg, den angesehenen Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus. Drei Journalisten haben für das lokale Blatt in jahrelanger Recherche aufgedeckt, dass ein altes Bauernhaus in der Region als zentraler Treffpunkt der rechtsextremen Szene dient. Nur durch ihre Vernetzung und unablässige Recherche vor Ort konnten die Lokaljournalisten die Zivilbevölkerung anhand etlicher Artikel aufklären.

Das Ergebnis: Die Gründung eines Bündnisses, das sich immer wieder mit Protestaktionen und Präventionsarbeit gegen die rechtsextremen Umtriebe wehrt. Laut Gründer sind fast alle Vereine und Gruppen der Region Teil des Bündnisses, welches es „ohne die Berichterstattung der Journalisten“ nicht geben würde. Dabei sind Auszeichnungen wie diese im Lokaljournalismus eine Ausnahme. Hinzu kommen schwere Arbeitsbedingungen, sodass jahrelange Recherchen, wie die der Journalisten aus Hohenlohe, meist nur durch das persönliche Engagement der Journalist:innen möglich sind. Dabei zeigt die Geschichte eindeutig die Relevanz lokaljournalistischer Berichterstattung.

Lokale Medien als Kontrollinstanz

Reporter ohne Grenzen zeigen weiter auf:

“Lokale Medien erfüllen außerdem eine wichtige Funktion zur Kontrolle der Politik: Lokale Journalistinnen und Journalisten kennen sich aus in den Rathäusern und Verwaltungen vor Ort, sie verfolgen Sitzungen und Ausschüsse und können politische Entscheidungen und ihre Auswirkungen über Jahre hinweg beobachten. Wenn diese Kontrolle durch erfahrene Reporterinnen und Reporter wegfällt, bedeutet das zum Beispiel oft höhere Verwaltungskosten oder ein größeres Risiko für Korruption.”

Wie sich Lokaljournalismus und Demokratie gegenseitig positiv bedingen, liegt auf der Hand – das beginnt schon im Alltag. Stell dir vor, du bekommst mit, dass es im Nachbardorf brennt – aber du kannst nirgendwo mehr nachlesen, was passiert ist. Stell dir vor, du hast einen korrupten Bürgermeister, aber niemand informiert dich darüber. Und stell dir vor, Rechtsextreme greifen das inklusive Jugendzentrum, in dem deine Nachbarin arbeitet, an und es regt sich kein Widerstand und keine Solidarität in der Zivilgesellschaft, weil die meisten es nicht mitbekommen haben. Wenn niemand berichtet, kann auch niemand über Gegendemonstrationen informiert werden.

Das können wir tun, damit die AfD nicht vom Aussterben des Lokaljournalismus profitiert

Du siehst also: Hierzulande würde vermutlich die rechtsextreme AfD am meisten von einem zunehmenden Aussterben des Lokaljournalismus profitieren. Doch der Trend der Nachrichtenversteppung kann auch aufgehalten werden.

Am allerwichtigsten: Lokaljournalismus braucht ein frisches Image und ihm muss der Stellenwert in der Demokratie und innerhalb der Medienlandschaft zugerechnet werden, den er verdient hat. Das heißt auch: Bessere Arbeitsbedingungen. Gerade Lokalredakteur:innen sind oft schlecht bezahlt und nicht divers besetzt – auch das trägt nicht zur Attraktivität des Berufs bei.

Wie kann man Lokaljournalismus fördern? Zunächst sollte der Journalismus endlich als gemeinnützig anerkannt werden. Das war eigentlich schon unter der Ampel-Regierung geplant (siehe Koalitionsvertrag S. 97), doch das vorzeitige Aus der Ampel-Regierung hat der weiteren Umsetzung einen Strich durch die Rechnung gemacht. Denkbar ist auch eine Nachfrageförderung von lokalen Journalismusangeboten durch beispielsweise Preissubventionen in Form von Konsumgutscheinen, wie die Autor:innen des Wüstenradars vorschlagen

Diese und weitere Handlungsoptionen liegen vor allem zunächst in den Händen von Politiker:innen, die Genanntes umsetzen können – darauf können Bürger:innen natürlich Druck ausüben. Doch die Art und Weise, wie wir Medien konsumieren, hängt von uns ab. Eure Lokalzeitungen könnt ihr am besten unterstützen, indem ihr sie lest. Verschiedene Lokalzeitungen findet ihr nach Bundesland aufgelistet in dieser Übersicht. Doch wie wir in dieser Recherche schon einmal festgestellt haben, verbreiten manche einst seriöse Medien nun auch vermehrt Desinformation. 

Diese 5 einst seriösen Medien verbreiten jetzt Desinformation

Daher gilt: informiert euch zunächst über die Seriosität und vor allem über die Besitzstrukturen eurer Lokalzeitung – denn: gehört sie einem großen Investor, ist es möglich, dass dieser auf die Berichterstattung Einfluss nimmt. 

Klar ist aber auch: viele Menschen bevorzugen digitale Formate. Digitaler Lokaljournalismus in Form von Blogs oder Ähnlichem ist vielversprechend und kann die Funktion von Medien als „vierte Gewalt“ der Demokratie ebenso gut ausführen. Daher lohnt sich auch der Blick in den digitalen Raum, wenn du mehr Lokaljournalismus unterstützen möchtest. 

Sie machen vor, wie’s gehen kann!

Es gibt viele mutmachende Beispiele, in denen Lokaljournalismus gestärkt wird. Da ist beispielsweise CORRECTIV.Lokal. Die Initiative stärkt den Lokaljournalismus und unterstützt seine mehr als 2000 Mitglieder bei Recherchen. B° Local ist ein Innovationsprogramm, das im nächsten Jahr starten wird und ausgewählten Lokalredaktionen die Möglichkeit gibt, Herausforderungen der Digitalisierung anzugehen. In Norwegen revolutionierte die Amedia-Stiftung den Lokalzeitungsmarkt. In dem nordischen Modell müssen keine Renditen für Aktionäre oder Eigentümer erwirtschaftet werden. Weitere Erfolgsgeschichten findest du hier

Du siehst: Es gibt Möglichkeiten, den Lokaljournalismus nachhaltig, fair und gemeinnützig zu fördern. Fusionen, Stellenabbau, Unterbezahlung und Großkonzerne als Besitzer müssen nicht sein – es geht auch anders. Dafür braucht es uns alle, aber auch die Politik, die endlich die Weichen für gemeinnützigen Journalismus legen muss.

Artikelbild: Canva & Screenshot Wüstenradar 

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