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Spanien: Sperrung von Telegram ist unverhältnismäßig

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

SpanienSperrung von Telegram ist unverhältnismäßig

Auf Telegram werden wiederholt illegale Inhalte geteilt, weshalb sich verschiedene Staaten bereits um eine Regulierung des Dienstes bemüht haben. Nun wurde in Spanien eine Sperrung des Messengers diskutiert – in diesem Fall ging es um den Schutz von Urheberrechten.


Lea Binsfeld – in Öffentlichkeitkeine Ergänzungen
Spanier:innen können Telegram weiterhin ohne Umstände nutzen. CC-BY-NC 2.0 Focal Foto

Santiago Pedraz, Richter des spanischen Nationalgerichts, hatte am Freitag eine Sperrung des Messenger-Dienstes Telegram angeordnet. Diese Entscheidung revidierte er nun mit der Begründung, es sei eine übertriebene Maßnahme. Demnach sei es unverhältnismäßig, Nutzer:innen derart in ihrer datenschutzfreundlichen Kommunikation einzuschränken, um Urheberrechte zu schützen.

Zuvor hatten sich die großen Medienkonzerne Mediaset, Atresmedia, Movistar und Egeda über Urheberrechtsverletzungen auf Telegram beschwert. Über die Anwendung seien von ihnen erstellte und urheberrechtlich geschützte Inhalte ohne Genehmigung verbreitet worden. Zwischenzeitlich sah es so aus, als könne den Nutzer:innen der App in Spanien daher der Zugang zu dieser verwehrt werden.

Pedraz hatte am Freitagabend vorsorglich eine Sperrung des Dienstes angeordnet, nachdem dessen Betreiber sich unkooperativ zeigten und auch die Behörden auf den britischen Jungferninseln, wo Telegram registriert ist, keine Amtshilfe leisten wollten. Im Anschluss wurde die Sperrung wieder ausgesetzt. Der Richter wollte einen Bericht der Polizei abwarten, der die Auswirkungen einer vorübergehenden Sperrung der Plattform auf die Nutzer:innen beschreiben sollte.

Protest gegen die Verfügung

Die Ankündigung löste bei den mehr als achteinhalb Millionen Telegram-Nutzer:innen in Spanien große Aufregung aus. Die Gruppe Iustitia Europa, die sich selbst als unabhängige Bürgerbewegung für Freiheit, Menschenwürde und Gerechtigkeit bezeichnet, reichte gegen Santiago Pedraz eine Klage wegen angeblicher richterlicher Fehlentscheidungen ein. Die Organisation behauptete, dass der Antrag des Richters eine „ernste, schwerwiegende und noch nie dagewesene Einschränkung der Grundrechte“ darstelle.

Die Verbraucherschutzorganisation Facua-Consumidores en Acción hielt die Resolution des Gerichts für absolut unverhältnismäßig. Facua warnte vor dem Schaden, den die Entscheidung für Millionen von Nutzer:innen des Messengers und für Unternehmen, Organisationen sowie öffentliche und private Einrichtungen, die Inhalte legal über ihre Kanäle auf dieser Plattform verbreiten, verursachen werde. „Das ist so, als würde man das Internet abschalten, weil es Websites gibt, die illegal urheberrechtlich geschützte Inhalte anbieten, als würde man das gesamte Fernsehsignal kappen, weil es Piratensender gibt“, kritisierte der Generalsekretär der Facua, Rubén Sánchez.

Auch der spanische Berufsverband für Computertechnik Consejo General de Colegios Profesionales de Ingeniería (CCII) bezeichnete die Maßnahme als unverhältnismäßig. Die Entscheidung, die Anwendung vorsorglich zu sperren, empfand der Verband als „überraschend“. Zu anderen Zeiten habe es Ermittlungen zu Themen wie Terrorismus, Kinderpornographie oder Drogenhandel gegeben, die eher gerechtfertigt erschienen, aber keine Konsequenzen dieser Art nach sich zogen.

Am Montagmittag veröffentlichte Pedraz nun eine neue Verfügung, in der er mitteilte, dass er seine ursprüngliche Entscheidung endgültig aufhebe. Die Anordnung räumt ein, dass Telegram trotz krimineller Aktivitäten auch viele Nutzer:innen beherberge, denen die Plattform „Vorteile“ biete, vor allem in Bezug auf den Schutz ihrer Daten. Die Anordnung berücksichtigt auch die wirtschaftlichen Auswirkungen für Organisationen, die Telegram in ihrer täglichen Arbeit nutzen: „Die Verfügung gegen Telegram hätte eine gewisse wirtschaftliche Auswirkung für Unternehmen oder Firmen, die einen großen Teil ihrer Kommunikationstätigkeit über diese Kommunikationsplattform abwickeln, da sie sie als zuverlässigen und sicheren Kanal gegen unerwünschte Eingriffe betrachten.“

Hassrede auf Telegram

Während andere Chatplattformen dort erhobene Informationen unter Umständen auch mit Regierungen teilendarunter beispielsweise WhatApp –, sind die Betreiber von Telegram nicht gewillt, Daten ihrer Nutzer:innen an Dritte weiterzugeben. Von anderen datenschutzfreundlichen Messengern unterscheidet sich Telegram vor allem dadurch, dass die Plattform sehr große Gruppen mit bis zu 200.000 Mitgliedern zulässt. In diesen werden mitunter verschwörungstheoretische, rechtsradikale und terroristische Inhalte geteilt. In Deutschland ist der Dienst zuvor als Zufluchtsort für Rechtsextreme und Mitglieder der Querdenker-Szene sowie als Hotspot für Drogenhandel in den Schlagzeilen gewesen. Rechte Inhalte und der Zugang zu Betäubungsmitteln lassen sich allerdings auch auf anderen großen Plattformen wie Instagram und Snapchat finden.

Nicht die erste Telegram-Sperrung

Im Jahr 2018 verbannte Apple den Messenger für einige Zeit aus seinem App-Store, da er gegen Nutzungsbedingungen verstoßen hatte.

Über zwei Jahre lang war der Dienst in dem autokratisch regierten Russland blockiert, da die Betreiber dem russischen Inlandsgeheimdienst keinen Zugriff auf die Daten ihrer Nutzer:innen geben wollten. 2020 hob man die Sperrung wieder auf. Im vergangenen Jahr war der Messenger im Irak für einige Tage nicht verfügbar, weil auf der Plattform sicherheitspolitisch relevante Informationen geteilt worden waren.

In Brasilien ist es wiederholt zu kurzzeitigen Sperrungen gekommen. So versuchte man, gegen Neonazis vorzugehen, die den Dienst genutzt hatten, um rechtsradikale Inhalte zu verbreiten. Auch deren Daten wollte Telegram auf Anfrage nicht herausgeben. Der zuständige Richter revidierte seine Entscheidung in einem Fall – ebenfalls unter Angabe der weitreichenden Auswirkungen auf die Kommunikationsfreiheit tausender Menschen.

Deutsche Politiker:innen riefen in der Vergangenheit dazu auf, verstärkt gegen Hass und Hetze auf der Plattform vorzugehen und auch die Betreiber in die Pflicht zu nehmen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) äußerte, sie wolle sich für eine europäische Regelung einsetzen. Bevor Telegram der Bundesregierung gegenüber Kooperationswillen zeigte und einige Kanäle sperrte, schloss Faeser zwischenzeitlich auch eine komplette Abschaltung des Dienstes nicht aus. Eine solche Maßnahme würde allerdings die legale Kommunikation vieler Menschen beschneiden und wäre nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

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Author: Lea Binsfeld

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