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Trumps Regierung folgt damit Ungarn, das die „Antifa Ost“ bereits als terroristische Organisation klassifiziert hatte. Damit sind auch Sanktionen gegen Personen möglich, die mit Menschen aus der „Antifa Ost“ zu tun haben bzw. diese unterstützen, heißt es dazu beim US-State-Department.
In Deutschland fordert die AfD bereits seit Längerem, „die“ Antifa als terroristisch einzustufen, im Oktober stellte die Fraktion einen Antrag im Bundestag mit dem Titel „Inneren Frieden in Deutschland bewahren – Antifa-Verbote umsetzen sowie Linksterrorismus entschlossen bekämpfen“. Bemerkenswert ist daran vor allem, dass die AfD sonst gerne Szenarien zeichnet, wonach es in Deutschland bürgerkriegsähnliche Zustände gebe; nun wolle man aber den „inneren Frieden bewahren“. Nach der Entscheidung der US-Regierung erneuerte die AfD ihre Forderung.
„Anti-Antifa“ als rechtsextremes Agitationsfeld
Die Feindbildkonstruktion rund um „die Antifa“ ist keineswegs ein Produkt der sozialen Medien, aber dadurch hat dieses Feindbild ganz neue Reichweiten erreicht. Die Wurzeln reichen jedoch weit zurück – in eine Zeit, in der neonazistische Gruppen in Fanzines, Rundbriefen und kruden Schriften antifaschistische Initiativen als zentralen politischen Gegner definierten.
Bereits in den 1970er und frühen 1980er Jahren entstand ein strategischer Rahmen, der später unter dem Begriff „Anti-Antifa“ bekannt wurde: die gezielte Beobachtung politischer Gegner*innen, das Erstellen von Feindlisten, Einschüchterungsversuche, tätliche Angriffe, die als Notwehr legitimiert werden sollten, und die propagandistische Überhöhung eines angeblich schlagkräftigen linken Gegners. Diese frühe Phase legte den Grundstein für jene Erzählungen, die später digital verbreitet, internationalisiert und von rechten Regierungen politisch instrumentalisiert werden sollten.
Mit dem Aufkommen digitaler Plattformen beschleunigte sich die Verbreitung erheblich, doch die Muster sind dieselben geblieben: Konstruktion eines Gegners, Überhöhung seiner Gefährlichkeit, ständige Wiederholung und das bewusste Setzen von Falschbehauptungen, die selbst nach ihrer Widerlegung weiterwirken. Die digitale Sphäre professionalisierte und skalierte diese Mechanismen – aber sie erfand sie nicht.
Ein altes Konzept: Der gemeinsame Feind
Die Anti-Antifa-Strategien der 1970er bis 1990er Jahre zielten darauf ab, Antifaschismus als Bedrohung zu überzeichnen und interne Konflikte des „nationalen Lagers“ durch einen gemeinsamen Gegner zu überdecken.
Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) beschrieb diese Kampagnen als „einigendes Band“ zwischen militanten Neonazis und der neurechten Intelligenz. Die Idee: ein diffuser, übermächtiger Gegner, der zur Selbstmobilisierung taugt. Die Anti-Antifa war damit ein frühes Labor für das, was später in sozialen Netzwerken perfektioniert wurde. Ergänzt wurde dass alles noch um antisemitische Legenden.
Chronologie
1970er: Wehrsportgruppen definieren Antifaschist*innen als strategischen Feind; Beginn systematischer Datensammlungen.
1980er: Aufbau organisierter Anti-Antifa-Strukturen; Feindlisten, Einschüchterungen, Beobachtungsaktionen.
1991 – 1995: Vernetzung rechter Gruppen; Anti-Antifa als „Aktionsgemeinschaft“ im Verfassungsschutzbericht.
Mitte 1990er: Neurechte Publizisten übernehmen Anti-Antifa-Narrative und machen sie diskursfähig.
2000er: Verlagerung ins Internet; rechte Foren experimentieren mit digitaler Denunziationspraxis.
2010er: Viralisierung durch Social Media; Memes, Fakes und orchestrierte Kampagnen. Strukturell antisemitische Legende von Antifa als „staatlich alimentierte Schlägertruppe“ gewinnt an Bedeutung.
2020er: Internationale Aufladung, Terrorrhetorik verfestigt sich im rechten Medienmilieu immer weiter, Instrumentalisierung durch illiberale Regierungen.
Digitale Beschleunigung: Fakes als Dauerinstrument
Als die Debatten in die sozialen Medien wanderten, veränderte sich vor allem die Geschwindigkeit: Ein Fake genügt – und binnen Stunden ist eine komplette Erzählung etabliert, die es bis in die großen Medien schafften.
Einige Beispiele aus den vergangenen zehn Jahren:
2016 in Dresden: Nachdem Sprengsätze an einer Moschee und am Kongresszentrum explodiert waren, kursierte bereits ein angebliches Antifa-Schreiben der „Antifa Dresden“. Wie so oft in ähnlichen Fällen, war es auf Indymedia veröffentlicht worden, wo es möglich ist, komplett anonym Inhalte zu erstellen. Das Schreiben war eigentlich leicht als Fälschung zu erkennen, wurde von Indymedia auch umgehend gelöscht, doch bereits unmittelbar nach der Veröffentlichung verbreiteten rechte Medien Screenshots davon als vermeintliche Belege für „Antifa-Terror“ – und auch große Medien berichteten ausführlich über den Verdacht, obwohl die Echtheit des Dokuments höchst zweifelhaft war. 2019 verurteilte der Bundesgerichtshof einen Mann aus dem rassistischen „Pegida-Umfeld“ für die Taten rechtskräftig.
Das eben beschriebene Vorgehen war eine Blaupause für ähnliche Fälle. Laut einem Bekennerschreiben sollte eine Antifa-Gruppe den Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund begangen haben. Auch hier tauchte das Schreiben auf Indymedia kurz auf; rhetorisch ungelenk und ohne überzeigende Erklärung zum Motiv. Auch Tatwissen fehlte. Obwohl auch dieser Fall grob konstruiert war, verbreiteten rechte Accounts sofort die Behauptung eines „linken Terroranschlags“.
In den USA bauten Rechtsextreme Twitter-Konten auf, die angeblich von antifaschistischen Gruppen stammten. Zudem wurden Gerüchte gestreut, wonach das Attentat von Las Vegas mit zahlreichen Toten von Antifaschisten verübt worden sei. Die Faktenchecker-Seite „Snopes“ listet viele solcher Fakes auf – darunter ein angebliches „Antifa-Handbuch“, in dem dazu aufgerufen wird, weiße Kinder zu ermorden.
Die Liste der Fakes ließe sich lange fortsetzen; zuletzt beim Brand im ehemaligen Thurn-und-Taxis-Jagdschloss in Regensburg: Noch vor Abschluss der Löscharbeiten tauchte ein offensichtlich manipuliertes Bekennerschreiben auf. Rechte Influencer griffen es sofort auf; die spätere Klarstellung der Polizei dürfte viele Nutzer*innen nicht mehr erreicht haben – oder sie wird nicht geglaubt, da „die“ Antifa vom Staat angeblich gefördert und bei Straftaten verschont werde. Angesichts des Ermittlungsaufwands nach linksradikalen Straftaten ein besonders groteskes Bild.
Der Trump-Effekt und die internationale Aufladung
Spätestens 2020 erreichte das Feindbild Antifa die Weltpolitik. Donald Trump bezeichnete „die Antifa“ öffentlich als „terroristische Organisation“ – obwohl es weder eine Organisation gibt, die man verbieten könnte, noch eine Struktur, die diese Bezeichnung tragen würde. Doch Symbolpolitik folgt nicht der Realität, sondern der Wirkung. Trump präsentierte ein Feindbild, dass flexibel genug ist, um alles aufzunehmen, was er damit verknüpfen wollte.
Nun ist es die „Antifa Ost“, die auf der US-Terrorliste gelandet ist – gemeinsam mit dem IS oder der Hamas. Dies ist vom Zeitpunkt besonders bemerkenswert, da das Bundesinnenministerium ausführt, dass sich das von der Gruppierung ausgehende Gefährdungspotenzial zuletzt erheblich verringert habe. Sogenannte Rädelsführer und besonders gewaltbereite Teile der Gruppierung, die keine feste Gruppe sondern eher ein Netzwerk sei, seien entweder bereits rechtskräftig verurteilt und in Haft oder sie befänden sich in Polizeigewahrsam.
Hier führt der Weg wiederum nach Ungarn, wo die „illiberale Demokratie“ von Viktor Orbán seit Jahren daran arbeitet, rechtsstaatliche Prinzipien zu beugen, und so zum Vorbild der Internationalen der Nationalisten geworden ist. In Budapest steht mit Maja T. ein weiteres mögliches Mitglied der Gruppe wegen mutmaßlicher Körperverletzungen vor Gericht, ihr droht eine Verurteilung von bis zu 24 (!) Jahren Haft.
Orbán war es auch, der den jüdischen Milliardär und George Soros als eine Art Staatsfeind in Ungarn aufbaute. In den USA und Europa kursierten wiederum Verschwörungslegenden, wonach Soros gewalttätige Antifa-Aktionen finanziert habe.
Der Kreis schließt sich also, die USA folgen mit der Einstufung der „Antifa Ost“ einer Forderung Ungarns aus dem September. „Man muss sagen, dass die Antifa und ihre Unterorganisationen terroristische Organisationen sind“, erklärte Ungarns Ministerpräsident, der wohl engste Verbündete von Trump in der EU, in seinem wöchentlichen Interview im staatlichen Rundfunk. Auch wenn sie noch keine Verbrechen begangen hätten, müssten Maßnahmen gegen sie ergriffen werden, „bevor sie welche begehen“, fügte Orban hinzu.
Eine Forderung, die mit rechtsstaatlichen Prinzipen nur schwer in Einklang zu bringen sein dürfte.
Projektionsfläche für politische Agitation
Auch wenn es tatsächlich Straftaten, auch schwere Körperverletzungen, von antifaschistischen Aktivist*innen oder Gruppen gibt, wird die Gefahr doch deutlich überzeichnet. In Deutschland sind seit 1990 laut Zählung der Amadeu Antonio Stiftung mehr als 221 Menschen durch rechte Gewalt getötet worden, Todesopfer durch linke Gewalt sind nicht verzeichnet.
Doch das Feindbild Antifa funktioniert so gut, weil es beliebig formbar ist. Es gibt nicht „die“ Antifa, sondern viele lokale Initiativen, Aktionsformen, politische Traditionen. Gerade diese Vielfalt macht den Begriff angreifbar: Er lässt sich beliebig zuspitzen und mit Bedeutungen aufladen, die nichts mit der Realität zu tun haben.
Die Effekte sind klar:
- Ablenkung von rechter Gewalt
- Delegitimierung zivilgesellschaftlicher Initiativen
- Einschüchterung von Journalist*innen, die als Teil eines terroristischen Netzwerks diskreditiert werden sollen (so wie der Autor dieses Texts)
- Stigmatisierung politischer Gegner
- Forderung nach einem starken Staat und Repression gegen angebliche Terror-Gruppen und deren Umfeld
Neues Werkzeug der Rechten: KI-Bilder und Empörungsschleifen
Mit der Verbreitung von KI-Apps hat eine weitere Strategie an Bedeutung gewonnen: Der Einsatz von KI-generierten Bildern, die so offensichtlich künstlich sind, dass sie fast karikaturhaft wirken und genau deshalb funktionieren.
Rechtsextreme Influencer*innen posten bewusst übertriebene, schlecht generierte Bilder, etwa angebliche „Antifa-Aktivisten“ in Combat-Ausrüstung oder brennende Häuser mit eingeblendetem „ANTIFA“-Schriftzug. Der Mechanismus dahinter ist perfide:
- Rechte Medienaktivist*innen posten solche Bilder, wissend, dass sie fake sind.
- Beobachter*innen thematisieren den offensichtlichen Fake.
- Diese Thematisierung verschafft dem ursprüngliche Post Reichweite in Milieus, die sonst nicht erreicht werden können.
Zuletzt hatte ein deutscher Rechtsaußen-YouTuber ein offensichtlich KI-generiertes Bild als Thumbnail für eines seiner Videos genutzt. Verschiedene Nutzer*innen kritisierten das gefälschte Motiv, auf dem zu sehen war, wie der YouTuber angeblich von vermummten Antifa-Schlägern attackiert worden sei. Der Fake war leicht zu erkennen: einer der vermeintlichen Schläger hatte sechs Finger an einer Hand und schaute beim Zuschlagen mit einem Schlagstock in eine ganz andere Richtung. Doch durch das Thematisieren des Fakes trieben die Kritiker*innen den viralen Erfolg des Posts noch an.
Das Thematisieren von Fakes ist richtig und wichtig. Aufklärung ist notwendig. Entscheidend ist, wie sie geschieht. Statt die Verbreitung weiter anzutreiben, sollte die Aufmerksamkeit auf die Urheber gelenkt werden: auf jene Akteure, die gezielt Desinformation und künstliche Empörung in Umlauf bringen, um Diskurse zu verschieben.
Eine zentrale Konsequenz daraus ist die Forderung nach einer verbindlichen Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Inhalte. Wer synthetische Bilder oder Videos veröffentlicht, ohne sie als solche zu deklarieren, muss haftbar gemacht werden. Nur so lässt sich verhindern, dass die großen Plattformen noch weiter zu Resonanzräumen für kalkulierte Manipulation werden.
Vom neonazistischen Fanzine in die Weltpolitik
Vom zusammenkopierten Nazi-Pamphleten aus der Schreibmaschine zu den Regierungen in Ungarn und den USA sowie kalkulierten Empörungsdynamiken mit KI-Bildern: Dieser Text kann die vielen Facetten dieser Entwicklungen nicht umfassend beschreiben, sondern nur anreißen. Dennoch erscheint es wichtig, auf die Kontinuitäten bei der Entwicklung von Feindbildern und Strategien hinzuweisen. Was früher in Fanzines oder Mailinglisten kursierte, findet heute Eingang in Reden von Präsidenten, Kampagnen illiberaler Regierungen und die Aufmerksamkeitsökonomie globaler Plattformen. Die „Anti-Antifa“ war der Prototyp, Social Media ihr Verstärker – KI-generierte Inhalte sind nun die nächste Evolutionsstufe. Die Mechanismen bleiben ähnlich.
Gegenstrategie: Solidarisch und antifaschistisch bleiben
Aber was kann man dagegen tun? Das Feindbild Antifa wird bleiben, um linke und progressive Menschen als terroristisch zu stigmatisieren. Es geht also darum, Wirksamkeit solcher Strategien zu begrenzen. Dazu gehört:
- Verständnis und Kenntnis der beschriebenen Strategien
- Schnelle, sichtbare und wiederholte Faktenchecks, die dort stattfinden, wo die Fakes zirkulieren und nicht zur Reichweitensteigerung von einzelnen Posts beitragen.
- Schutz von Betroffenen, die durch die Anti-Antifa-Logik diskreditiert oder bedroht werden.
- Keine Angst vor Solidarität und Stigmatisierung: Antifaschismus darf nicht zu einem Begriff werden, den demokratische Akteure meiden, weil er von Rechten diffamiert wird.
Denn Antifaschismus ist kein extremistisches oder sogar terroristisches Projekt, sondern Grundlage der Verfassungsordnung. Das Grundgesetz ist ein expliziter Gegenentwurf zum NS-Totalitarismus, also strikt antifaschistisch.
Antifaschismus ist kein Makel, sondern demokratische Normalität – und bleibt notwendig, solange Menschenwürde, Offenheit und Rechtsstaatlichkeit verteidigt werden müssen.
