
Der diesjährige Bericht von Mehr-Demokratie e.V. kommt zu einem Ergebnis, das wohl nicht nur Friedrich Merz überraschen dürfte. Die Mehrheit der insgesamt 27 Bürgerentscheide zu Flüchtlingsunterkünften zwischen 2015 und 2024 endete mit einem flüchtlingsfreundlichen Ergebnis. Rechtsextreme Kampagnen gegen Schutzsuchende scheiterten in vielen Fällen, da es aus verschiedenen Gründen oft nicht zu einem Bürgerentscheid kam. Der Bericht ist ein mutmachendes Signal für alle, die sich für Toleranz und Menschlichkeit einsetzen und wirft die Frage auf: Welche Sorgen müssen von der Politik wirklich ernst genommen werden?
Quellenhinweis: Alle Informationen in diesem Artikel beziehen sich auf den diesjährigen Bericht von Mehr-Demokratie e.V., falls nicht anders angegeben.
Was sind Bürgerentscheide?
Bürgerentscheide sind ein Werkzeug der direkten Demokratie, das es nur auf Kommunalebene gibt. Das heißt, Bürger:innen können über konkrete Anliegen in der Kommunalpolitik selbst abstimmen. Doch nicht für alle Themengebiete sind Bürgerentscheide zulässig.
Zwischen zwei Begrifflichkeiten entsteht manchmal etwas Verwirrung: Bürgerbegehren und Bürgerentscheide. Bürgerbegehren sind Initiativen von Ortsansässigen, die zu einem bestimmten Thema einen Bürgerentscheid erwirken wollen. Die Initiator:innen müssen zunächst genügend Unterschriften sammeln. Wie viele das sind, ist je nach Bundesland und Kommune unterschiedlich. Erst dann kann das Bürgerbegehren (sprich: der Antrag auf einen Bürgerentscheid) von der Verwaltung geprüft werden und es kommt, wenn zulässig, zu einem Bürgerentscheid. Den groben Ablauf kannst du hier sehen:
Screenshot Bericht Mehr-Demokratie (S. 10)
Ratsreferenden sind Verfahren, die „von oben“, also durch einen Beschluss des Gemeinderats, eingeleitet werden. Bürgerbegehren werden dagegen „von unten“, das heißt, durch eine Unterschriftensammlung der Bevölkerung, eingeleitet. Der Bürgerentscheid selbst wird dann wie eine Wahl durchgeführt. Wahlberechtigt sind diejenigen Bürger:innen, die zu den Kommunalwahlen wahlberechtigt sind.
Mehrheit der Bürgerentscheide mit flüchtlingsfreundlichem Ergebnis
In einem Sonderkapitel des diesjährigen Berichts wertete Mehr Demokratie e.V. Bürgerbegehren zu Flüchtlingsunterkünften aus. Zu diesem Thema kam es zwischen 2015 und 2024 bei insgesamt 27 Verfahren (Bürgerbegehren + Ratsreferenden) zum Bürgerentscheid. Ganz wichtig: Über die grundsätzliche Frage, ob eine Kommune Schutzsuchende aufnehmen soll, kann ein Bürgerentscheid NICHT entscheiden. Laut Aufenthaltsgesetz haben Städte und Gemeinden dabei kein eigenes Entscheidungsrecht. Geflüchtete werden in Deutschland nach dem Königsteiner Schlüssel den Kommunen zugeteilt. Doch die Organisation, also die Frage, wie und wo Geflüchtete in der Kommune untergebracht werden, ist Teil der kommunalen Selbstverwaltung. Hierauf kann ein Bürgerentscheid Einfluss nehmen. Die Auswertung zeigt: Fast 60% der Bürgerentscheide zu Flüchtlingsunterkünften fielen flüchtlingsfreundlich aus, sprich: Die Mehrheit der Bürger:innen stimmte für eine Unterkunft oder für eine bessere Unterbringung ab.

Screenshot Mehr-Demokratie e.V. (S. 34)
Die 27 Bürgerentscheide zwischen 2015 und 2024 kannst du hier im Detail sehen. Wenn bei „Ergebnis” ein „+” steht, bedeutet es, dass der Bürgerentscheid flüchtlingsfreundlich ausgefallen ist.

Screenshot Mehr-Demokratie (S. 35)
Welche Sorgen müssen wirklich ernst genommen werden?!
Zwischen 2015 und 2024 fanden insgesamt 94 Verfahren zu Flüchtlingsunterkünften in Deutschland statt. Bei nur 27, wie oben aufgelistet, kam es überhaupt zu einem Bürgerentscheid. Knapp die Hälfte der Verfahren (Bürgerbegehren und Ratsreferenden) war unzulässig. Die anderen erübrigten sich durch einen neuen Gemeinderatsbeschluss, durch einen Kompromiss, oder sie wurden nicht eingereicht. Doch warum waren so viele Bürgerbegehren unzulässig?
Ganz grundsätzlich gilt bundeslandübergreifend, dass das Thema des Bürgerbegehrens in den Wirkungskreis der Gemeinde fallen muss. Kann der Gemeinde- oder Stadtrat über ein Anliegen gar nicht entscheiden, weil es in die Entscheidungshoheit des Bundes oder Landes fällt, ist das Bürgerbegehren automatisch unzulässig. Bei vielen Bürgerbegehren wollten die Initiator:innen erreichen, dass die Kommune keine Flüchtlinge aufnimmt – aber das kann man gar nicht per Bürgerentscheid bestimmen, weil es nicht in die Entscheidungsgewalt der Kommunen fällt!
Es liegt also nahe, dass dieses Werkzeug der direkten Demokratie oft schlichtweg von Rassist:innen missbraucht wird, um Stimmung gegen Flüchtlinge zu schüren. Wie Mehr-Demokratie e.V. selbst treffend schreibt, endete die rechte Mobilisierung als „Rohrkrepierer“. Sie haben einfach nichts zustande gebracht. Doch der eigentliche Skandal ist, dass Medien häufig nur dann über Bürgerinitiativen berichten, wenn diese Hass gegen Geflüchtete schüren. Die wahren Good News und der Fakt, dass viele rechtsextreme Bürgerinitiativen, oft medial inszeniert von Compact und AfD, scheitern, bleiben außen vor.
Wir sind nicht so rechts, wie ihr denkt!
Die Mehrheit der Bürgerentscheide zu Flüchtlingsunterkünften fiel positiv aus und ist damit ein wichtiges Signal für alle, die sich für Menschlichkeit statt Hass einsetzen. Petitionen gegen Abschiebungen, Bürgerentscheide für eine bessere Unterbringung von Geflüchteten, das Anprangern von Missständen, laut bleiben und dem Rechtsruck und der zunehmenden Menschenfeindlichkeit nicht klein beigeben: all das zeigt Wirkung! Mehr als wir selbst manchmal glauben.
Dass wir von diesen Erfolgsgeschichten so wenig mitbekommen, liegt leider auch daran, dass rechtsextreme, rassistische Kampagnen oft viel mehr Aufmerksamkeit bekommen. Denn Hass und Hetze lassen sich einfach verkaufen. Doch du siehst: Rechtsextreme Kampagnen gegen Flüchtlingsunterkünfte sind häufig und in großem Stil gescheitert, nachdem sie zunächst den Mund sehr voll genommen haben. Über die eigentlichen Good News, nämlich, dass wir in Deutschland ein Fünkchen Humanität immer noch nicht verloren haben, wird dann kaum berichtet. Daher teile doch gern diesen Artikel – wenn es sonst keiner tut, müssen wir es selbst anpacken.
Studie: Aufnahme von Geflüchteten läuft immer besser – und keiner kriegt es mit?
Artikelbild: Michael Kappeler/dpa, Screenshot Bericht von Mehr-Demokratie
