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Warum die AfD den Osten schrumpfen will
von Carsten Schwartz | Juli 22, 2025 | Analyse
Die AfD gibt sich als Ost-Partei. Dabei schadet sie dem Osten. Denn sie verschreckt besonders Migranten, Frauen und Jugendliche – genau die Gruppen, die eigentlich am meisten gebraucht werden.
Ostdeutschlands Bevölkerung schrumpft. Sie ist heute auf dem Stand von 1905. Und während es viele politische Erklärungen für das Erstarken der AfD im Osten gibt, ist hier die demographische: Der Osten wird älter, weißer und männlicher. Schlecht für den Osten, aber gut für die AfD. Deshalb tut sie alles, um diesen Trend zu verstärken.
Nach einem kurzen Aufwärtstrend 2015 sinkt die Zahl der Menschen im Osten weiter. Heute leben hier 12,6 Millionen Menschen. Nach der Wende waren es noch 15 Millionen. Kurzzeitig schien es, als ob das jahrelange „Ausbluten“ gestoppt sei. Doch inzwischen braut sich ein perfekter Sturm zusammen: niedrige Geburtenraten, ständige Abwanderung und kaum Zuzug aus dem Ausland. Und die Bevölkerungszahlen sinken weiter.
Schrumpfende Gesellschaften sind „Gesellschaften des Rückzugs“, sagt der Soziologe Steffen Mau. Wo die Leute merken, dass es abwärts geht, werden sie feindlicher gegenüber Veränderungen – und sie wählen häufiger rechtsextreme Parteien, weil die ihnen versprechen, genau diese Veränderungen aufzuhalten.
Dabei vergrault die AfD mit ihren rechtsextremen Positionen genau die Gruppen, auf die es jetzt ankommen würde: Migranten, Frauen und Jugendliche. Das zeigen aktuelle Studien. Und sie verschärft damit bestehende problematische Trends weiter.
Effekt 1: Weniger Zuwanderung
Rechtsradikale Einstellungen in einer Region schrecken ausländische Arbeitskräfte ab, das zeigt eine große Studie des Instituts IAB. Nur durch die Zuwanderung von Geflüchteten 2015 und 2022 gab es überhaupt Migration. Wer es sich aussuchen kann, kommt nicht hierher. Das ist im Osten besonders problematisch.
Im Osten sind rechtsextreme Einstellungen besonders verbreitet – und gleichzeitig ist der demographische Wandel schon deutlich weiter fortgeschritten, so eine der Forscherinnen der Studie. Die Arbeitskräftelücken seien heute schon größer als im Westen. Ostdeutschland brauche eigentlich mehr Zuwanderung als der Westen.
Die AfD trägt zu diesem Trend bei: Die AfD verschreckt mit ihren migrationsfeindlichen Parolen weitere Zuwanderer. 4 von 5 Landesverbänden gelten als gesichert rechtsextrem, vor allem wegen rassistischer Äußerungen ihrer Mitglieder, z. Björn Höcke. Der sagt, Migration bedeute „Massenmorde“ und „Plünderung der Sozialsysteme“.
Dabei hielt Zuwanderung in den letzten Jahren „die Wirtschaft im Osten am Laufen“, so eine aktuelle Studie. Doch anstatt dankbar zu sein für jede und jeden, der kommt, tut die AfD alles, um Migration zu verteufeln.
Effekt 2: Weniger Frauen
Im Osten leben deutlich weniger junge Frauen als Männer. Der Frauenmangel in ländlichen Regionen Ostdeutschlands ist inzwischen so groß wie kaum irgendwo sonst in Europa, so eine weitere Studie. Bei den 20-29-jährigen liegt der Männer-Überschuss bei bis zu 30 Prozent. Im Ilm-Kreis leben in dieser Gruppe 140 Männer bei 100 Frauen. In Suhl sind es 138 Männer bei 100 Frauen. Der Grund: Mehr junge Frauen als Männer wandern in ostdeutsche Großstädte ab, so die Studie weiter. Und sie kehren später nicht zurück in ihre Heimatregionen.
Die AfD trägt zu diesem Trend bei: Wer für Studium oder Ausbildung länger in einer Großstadt gelebt hat, wünscht sich danach oft, in einer offenen und vielfältigen Umwelt zu leben. Das sind eher nicht die Gegenden, in denen die AfD stark ist. Für Frauen ist die AfD ein Wegzieh-Faktor.
Die AfD ist vor allem eine Männerpartei. Ihr Wahlprogramm zeigt: Sie ist insgesamt gegen Feminismus und für ein eher reaktionäres Frauenbild. Dass die AfD gegen gleiche Rechte für Frauen ist, sieht man auch an ihrem Personal: Nur 5 der 41 Ost-Abgeordneten der AfD sind Frauen, oder 12 Prozent.
Das alles macht sie kaum interessant für junge Frauen. Und sie wählen sie deutlich seltener: 24 Prozent bei Männern zu 18 Prozent bei Frauen. Bei jungen Frauen, unter 24 Jahren, ist der Unterschied noch größer (27 zu 15 Prozent). Der Unterschied ist so groß wie bei keiner anderen Partei. Die AfD ist nicht interessant für junge Frauen und umgekehrt kümmert sich die AfD auch nicht um diese Gruppe.
Effekt 3: Weniger Jugendliche
Die Geburtenzahlen gehen überall in Deutschland und weltweit zurück, aber im Osten besonders deutlich und seit Jahren. Gleichzeitig gehen mehr Jugendliche weg.
Die Folge: Es leben immer weniger Jugendliche im Osten. Der Osten altert schneller als der Rest des Landes. Die 20 ältesten Landkreise in Deutschland liegen alle im Osten. Der Anteil der Rentner steigt. Im Osten leben doppelt so viel Rentner wie Kinder und Jugendliche – mit dramatischen Folgen für die Wirtschaft, zum Beispiel in Thüringen, wo die AfD besonders stark ist.
Anteil junger Menschen in Deutschland
Die AfD trägt zu diesem Trend bei: Zwar ist die AfD erfolgreich damit, junge Menschen auf Social Media anzusprechen. In der Praxis macht die AfD aber vor allem Politik gegen Jugendliche. Im Osten versucht sie, Kürzungen im Jugendbereich durchsetzen. Sie geht gegen die letzten verbliebenen Jugendklubs und Kulturzentren vor, zum Beispiel in Riesa oder Weißwasser. Ohne solche Klubs gehen Jugendliche eher aus ihren Heimatorten weg.
Natürlich gibt es auch gute Nachrichten: Der Osten hat viel aufgeholt in den letzten Jahren. Die Renten haben sich angeglichen, die Arbeitslosigkeit ist ähnlich niedrig und es gab milliardenschwere Investitionen, zum Beispiel in das ICE-Werk in Cottbus oder die Chip-Fabrik in Dresden. Auch in ostdeutschen Kleinstädten gab es nach der Correctiv-Recherche viele Demos gegen Rechts. Es gibt einen neuen „Ost-Stolz“ in der zweiten Generation nach der Wende.
Aber noch immer wandern viele Menschen ab, zu wenige wandern zu, die Bevölkerung wird älter, der Männeranteil steigt. Das gilt nicht nur für Ostdeutschland. Ähnliche „Frustregionen“ gibt es auch in Bulgarien oder Rumänien. Dort merken die Menschen, dass sie weniger werden. Und deshalb werden sie defensiver und abwehrender gegenüber Veränderungen. Sie wählen eher rechtsextreme Parteien – und beschleunigen damit den Abwärtstrend auch noch.
Die AfD ist ein gesamtdeutsches Phänomen. Es geht hier nicht um Ossi-Bashing. Aber die These, dass sich mit wirtschaftlichem Aufstieg auch der Rechtsextremismus erledigen würde, ist überholt. Es gibt „sich verstetigende Unterschiede“ zwischen Ost und West, wie der Soziologe Mau sagt – und die AfD weiß sie zu nutzen.
Titelbild: Canva
