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Was dir die Medien über die AfD verschweigen
von Thomas Laschyk | Sep. 9, 2025 | Analyse
„Sachsen-Anhalt – AfD strebt Alleinregierung an“, heißt es beim Deutschlandfunk. „AfD plant Alleinregierung in Sachsen-Anhalt“ bei Euronews, „AfD strebt absolute Mehrheit in Sachsen-Anhalt an“ bei nTV. Für viele scheint die Machtergreifung der gesichert rechtsextremen Partei nur eine Frage der Zeit zu sein. Viele wissen nicht weiter. Der Siegeszug der Faschisten wirkt unaufhaltsam. Was, wenn ich dir sage, dass das alles Blödsinn ist?
Das wird ein Deep Dive, also nimm dir gerne Zeit. Ich möchte in diesem Text nicht nur einen Mythos widerlegen, sondern eigentlich sogar drei, die jedoch alle aufeinander aufbauen. Und falls du keine Zeit hast, verrate ich sie dir sofort. Die AfD ist eine Partei, die künstlich von oben erzeugt wurde. Sie wird vor allem stark, weil sie medial aufgebauscht wird – und die hohen Umfragewerte verschleiern, wie zutiefst unbeliebt sie in Wahrheit ist –, weil sie sich weiter zur kompletten Neonazi-Partei radikalisiert. Wenn dir das zu weit hergeholt kommt – und gerne auch, wenn nicht –, dann lies hier, warum.
Mythos 1: Die AfD ist eine künstliche Partei von wirtschaftlichen Eliten
Natürlich ist es ein Skandal, dass eine rechtsextreme Partei so viel Zustimmung erhält in Deutschland, das aus seiner Geschichte gelernt haben sollte. Die AfD ist definitiv gefährlich. Sie ist aber auch überhyped. Und das schon seit Jahren. Die AfD war nie eine Partei von „denen da unten“. Das ist der erste Mythos, den man endlich ablegen sollte. Von Professoren gegründet, von Millionären direkt und indirekt unterstützt, vom reichsten Mann der Welt gepriesen und den mächtigsten Autokraten und Staaten der Welt gelobt und supported ist sie eine Kreatur von und für wirtschaftliche Eliten, die künstlich mit viel Geld hochgepusht wird.
Leider sind viele unserer Medien, auch die mit keiner offen rechten Agenda, anfällig für diesen zweiten Mythos: Den vom unaufhaltsamen Vormarsch der AfD. Ja, natürlich ist dieser zurzeit näher dran als bisher – sicherlich will niemand ausgerechnet Volksverpetzer ein Verharmlosen der AfD vorwerfen –, aber der vermeintliche „Durchmarsch“ dieser Partei ist so ein Gespenst, das schon seit Jahren durch die Medien wabert – weil es halt auch Klicks macht. Das macht ihn aber nicht wirklicher.
Mythos 2: Die AfD erfährt keinen Siegeszug
Im Frühjahr 2019 titelten die Medien „AfD jetzt stärkste Partei in Ostdeutschland“. Das war technisch gesehen richtig, aber zu diesem Zeitpunkt bereits nach der Bundestagswahl 2017 der Fall. Im Gegenteil, zu jenem Zeitpunkt verzeichnete die AfD sogar ein Minus von vier Prozentpunkten im Osten im Vergleich zu 2018. Minus vier Prozent und dennoch wird medial die AfD sowie ihre Erfolge gefeiert? Natürlich nicht triumphal, aber mit Entsetzen. Und Ende 2019 das gleiche Spiel noch mal – plötzlich war die AfD schon wieder „stärkste Partei“. Und habe „weiter zugelegt“ – mit bestenfalls einem Prozentpunkt mehr. Ich wundere mich seit Jahren, wie viel des Erfolgs dieser Partei einfach Framing ist.
Ja, diese Beispiele sind inzwischen old news – Infratest dimap hat seit der Pandemie auch keine Umfrage nur auf den Osten gemacht, deshalb weiß ich nicht sicher, wie es heute aussieht. Aber der mediale Hype um die AfD, weil es ein klickbarer Skandal ist, wenn diese Partei (vermeintlich) erstarkt, ist real.
Und der mediale Hype um die AfD erzeugt erst ihren Erfolg, nicht umgekehrt. Forscherinnen wie Léonie de Jonge argumentieren, dass Medien und Mainstream-Parteien erst die Anforderungen schaffen, die zum Aufstieg der extremen Rechten führen. In „The success and failure of right-wing populist parties in the Benelux countries“ (2021) argumentiert sie, dass in der Forschung zu einseitig auf die Wähler geschaut wird – sozioökonomische Unzufriedenheiten, die dazu führen, dass Rechtsextreme gewählt werden.
Sie argumentiert aber, dass das nicht der einzige Grund sein kann, weil er den Erfolg in manchen Ländern nicht erklärt, während Rechtspopulisten in anderen Regionen, wo sie demnach Erfolg haben müssten, keine Wahlerfolge verzeichnen. Im (armen) belgischen Wallonien ist die extreme Rechte sogar quasi nicht existent. Im reichen Flandern aber sehr stark. De Jonge erklärt, warum: Einmal liegt es an den Mainstream-Parteien, die bewusst und unbewusst die Räume dafür schaffen. Sie machen das, indem sie die politischen Ränder unbesetzt lassen oder sich vom klassischen Wählerklientel entfernen (wie Sozialdemokraten von Arbeitenden und Gewerkschaften). Wie das genauer funktioniert, darauf kann ich in einem späteren Artikel eingehen. Ich beabsichtige, mich hier auf die Rolle der Medien zu fokussieren.
Medien beeinflussen Wahlen durch ihre verzerrte Berichterstattung
WIE die Medien berichten, hat nämlich einen relevanten Einfluss darauf, wie die Wahlen ausgehen. Wer von einer Partei noch nie gehört hat, wird sie auch nicht wählen, klar. Allein das (ständige) Thematisieren der AfD hat sie erst groß gemacht. Sie wusste auch, wie man provoziert – und die Medien, süchtig nach Skandalen, mit denen man Auflage machen konnte, haben diese Partei gerne bedient in einer suizidalen Symbiose.
Die AfD wird insbesondere auch von ARD, ZDF und DLF mit großer Aufmerksamkeit belohnt. Gerade im Wahljahr 2024 bekam die rechtsextreme Partei extrem viel Reichweite geschenkt – mehr sogar als die Grünen oder Linken, die immerhin im Bund respektive in den Bundesländern Thüringen und Sachsen, in denen gewählt wurde, an den jeweiligen Regierungen beteiligt waren.
AfD erhielt 2024 teilweise die meiste Aufmerksamkeit
Medienanalysten wissen: Sichtbarkeit in den Nachrichten ist eine „Gold-Währung“ für Parteien, die nicht nur bei den etablierten Regierungsparteien, sondern auch bei der Opposition entscheidend sein kann. Vor den Wahlen 2024 wurden überwiegend die Rechtsextremen und ihr Kernthema Migration behandelt. Vor der Landtagswahl in Thüringen bekam sie sogar die meiste Aufmerksamkeit. Sie wurde danach erst stärkste Kraft. Das ist nicht nur Zufall. Es ist eine self-fulfilling prophecy. Die Partei, die sogar den Ministerpräsidenten stellte – die Linke – bekam viel weniger. Und dass Höcke Ministerpräsident wird, war politisch komplett ausgeschlossen.

Der zweite Aspekt nach de Jonge, neben dem Erwähnen der Rechtsextremen und ihrer Themen, ist aber auch die mediale Normalisierung – wenn man sie einlädt, interviewt und sie wie eine normale Partei behandelt. Dann macht man sie eben auch zu einer „normalen“ Partei, die man „normal“ wählen kann. Insbesondere wenn ein nicht unbeachtlicher Teil der Medienlandschaft genau die Themen, die die Rechtsextremen benötigen, bedient, ausschlachtet und aufbauscht.

Die vielen Verzerrungen der Medien
Es ist etwa eine wissenschaftlich erwiesene Tatsache, dass Medien überproportional oft über Straftaten von Nicht-Deutschen berichten. Obwohl im Vergleich zu vorigen Jahrzehnten weniger Gewalttaten stattfinden, wird mehr über sie berichtet. Es wird mehr über Messergewalt berichtet. Und wenn, dann fast ausschließlich über die von Nichtdeutschen. „Medien berichten vor allem über drastische und seltene Delikte. Dies ist besonders bei Messerangriffen der Fall. In den erfassten Medienberichten sind tödliche Delikte überrepräsentiert“, wie es in einer Studie heißt.
Das Thema hatten wir bei Volksverpetzer ja schon oft. So auch beim Silvester-Narrativ und anderen aufgebauschten oder erfundenen Skandalen. Ich habe ein ganzes Buch geschrieben, in dem ich diese mediale Verzerrung dargelegt habe. Auch wenn inszeniert, haben sie jedoch natürlich trotzdem echte Auswirkungen, weil genug Leute daran glauben (wollen).
Okay, die AfD ist eine Hype-Partei. Sind ihre Umfragewerte und ihre Wahlerfolge aber nicht real?
Jain. Denn ich möchte daran erinnern, dass die AfD bisher noch nicht wirklich gewonnen hat, bis auf einen einzigen Bürgermeister und einen Landrat. Trotz „AfD-kurz-vor-Machtergreifung“-Dauerbeschallung seit Jahren. Erfolge, die schon zwei Jahre auf eine Wiederholung warten lassen. (Ja, natürlich kann die AfD auch so schon Schaden anrichten, wie bei der Sperrminorität in Thüringen zum Beispiel.) Ja, in einem Jahr wird in Sachsen-Anhalt gewählt und die dort besonders rechtsextreme AfD steht in manchen Umfragen bei unbegreiflichen 39 Prozent sogar. Aber diese künstlich aufgehypte Zustimmung manifestiert sich eben nicht in Wahlen. Zumindest nicht so, wie man das bei einer normalen Partei erwarten würde.
Denn scheinbar parallel zu ihren Zustimmungswerten in Umfragen radikalisiert sich diese Partei offenbar unaufhaltsam weiter. Und das ist das große Geheimnis, auf das ich jetzt mit sehr viel Vorlauf hinauswill: Die AfD hat sich 2025 noch mal weiter radikalisiert. Im medialen Hype geht das aber fast unter und das ist ein Problem.
Nach den Potsdam-Enthüllungen – vor denen die AfD in Umfragen fast so hoch stand wie derzeit in einigen Umfragen übrigens – entschied sich die Partei nach anfänglichen Leugnungs- und Distanzierungsversuchen doch dazu, die verfassungsfeindliche „Remigration“ anzunehmen – das Vertreiben von Millionen von Menschen – auch deutschen Staatsbürgern. Eine Ideologie, die unzweifelhaft verfassungsfeindlich ist, wie auch das BVerwG attestierte übrigens.
Mythos 3: Die ständige Radikalisierung schadet ihr durchaus
Auch nach der Hochstufung als gesichert rechtsextrem im Mai signalisierte die AfD einen internen Verhaltenskodex und „gemäßigtes Auftreten“ im Parlament. Doch dieser Mäßigungs-Versuch war von kurzer Dauer. Diejenigen, die eine Mäßigung wollten – ausgerechnet Maximilian Krah, der vor nicht allzu langer Zeit Videos mit dem Faschisten Höcke drehte– sind gescheitert mit ihrer Mini-Rebellion. Man wird bewusst endgültig zur Neonazi-Partei.
Das heißt aber nicht, dass die Menschen die immer faschistischere AfD per se wollen. Denn die AfD ist immer noch ein Hype-Phänomen, größtenteils. Mehr als jeder zweite Wähler kennt nicht mal den Spitzenkandidaten der Faschisten in Sachsen-Anhalt, Martin Reichardt. Spaß, das war nur der Parteivorsitzende, Spitzenkandidat ist Ulrich Siegmund. Aber wahrscheinlich hättest du mir das jetzt geglaubt und wahrscheinlich sagt dir keiner der Namen irgendetwas. Und der Mann soll nächstes Jahr möglicherweise Ministerpräsident werden? Auch noch mit absoluter Mehrheit?
Die AfD versagt am laufenden Band – auch in „Hochburgen“.
Worauf ich hinauswill: Das (potenzielle) Kreuz bei der AfD ein Jahr vor der Wahl ist nur das Produkt einer diffusen, unüberlegten und oft uninformierten Unzufriedenheit, die medial befördert wird. Wenn es konkret wird, wollen viel weniger Leute Neonazis, als man glauben mag. Und ja, auch in Bundesländern wie Sachsen oder Sachsen-Anhalt. Die Wahlen vom letzten Sonntag geben mir recht: Dort sind beide AfD-Kandidaten deutlich durchgefallen. Und zwar in AfD-Hochburgen!
In Sachsen-Anhalt soll die AfD auf 39 Prozent kommen, in Wolmirstedt holte sie das Direktmandat mit knapp 40 %. Bei der Bürgermeisterwahl verlor der Rechtsextremist jedoch deutlich mit 36,2 Prozent gegen den parteilosen Mike Steffens, der 54,4 % holte. Gleiches in Meißen: Bei der Bundestagswahl wählten noch 40 % einen Rechtsextremisten, am Sonntag fiel der Neonazi Jurisch mit nur 30,4 % durch. Und das, obwohl die AfD massive Unterstützung von EU- und Bundesebene mobilisierte, weil sie verzweifelt die Erfolge braucht, die nicht manifestieren. Derartige Niederlagen sind häufiger, als du denkst, aber wenn die AfD (schon wieder) nichts gewinnt, gibt es keine tagelangen Debatten darüber.
Wenn die AfD versagt, bringt das keine Klicks
Genau wie die allermeisten Tage im Jahr nicht „Heute schon wieder kein Terroranschlag“ oder „Kriminalität wieder gesunken“ getitelt wird, ist es keine Meldung, wenn die AfD nicht gewinnt. Eine Studie zeigte zum Beispiel, dass das ZDF viel häufiger über ein Sinken des DAX berichtet, als über ein Steigen. Er legte im Schnitt 4 Prozentpunkte zu, hätte man aber nur das heute-journal gesehen, hätte man einen Verlust von zehn Prozentpunkten geglaubt. Mit AfD-Erfolgen – und seien es auch nur (relative) Umfragewerte – ist es genau so.
Schlagzeilen gehen nicht viral, wenn die AfD in Umfragen verliert. Was übrigens 2024 passierte, ist, was irgendwie kaum jemand mitbekommen hat. Von bis zu 23 Prozentpunkten stürzte sie als Folge der Giga-Demos gegen Rechts auf bis zu 15 % ab. Aber das sind doch gute Nachrichten, und die verkaufen sich nicht gut. Kein Wunder, dass die Leute demotiviert werden und die Politik die falschen Schlüsse zieht. Weil niemand mitbekommt, wenn etwas funktioniert. Und ja, die Massendemos haben nachweislich gewirkt.
Die AfD findet kaum Leute, die für sie antreten
Die AfD hat so viele Prozentpunkte, aber bekommt es nicht hin, wählbare Kandidaten aufzustellen. Denn es sind nun mal alles Rechtsextreme und Neonazis, die immer noch unbeliebt sind. Regelmäßig haben die Faschisten nicht in allen Landkreisen und Kommunen überhaupt Listen, und wenn, dann sind diese zu kurz. Bei den kommenden Kommunalwahlen in NRW stellt sie in 77 % der Gemeinden keinen Bürgermeisterkandidaten, in knapp 40 % tritt sie gar nicht an. Kaum jemand will für diese Partei antreten, und wenn man sie direkt wählen soll, verpufft die Größe der AfD. Sie hat ja auch keine Lösungen für irgendetwas. Sie interessiert sich nicht für Kommunalpolitik. Was bringt es Freiberg, wenn ihr Bürgermeister nichts kann außer den Klimawandel zu leugnen und zu spekulieren, wie viele Geschlechter es gibt (und was bringt es der CDU, wenn sie ihm in buchstäblich allen Punkten recht gibt)?
Sie kommt nur damit durch, auf die Unwissenheit, Uninformiertheit und Gleichgültigkeit vieler Wähler zu bauen, die diffus ihr Kreuz für Landtags- und Bundestagswahlen machen, und gar nicht wissen, wen sie eigentlich wählen. Oder wofür die Partei wirklich steht. DAS wiederum kommt medial viel zu kurz, weil sich zu wenige trauen, die Partei kritisch zu behandeln. Da gibt es freundliche Pläusche mit Rechtsextremisten im ZDF. Ein einziger Skandal in Potsdam hat die AfD fast halbiert, aber die ganzen Korruptions-, Spionage– und Rechtsextremismus-Skandale sickern viel zu wenig durch. Zwischen aufgebauschter Migrations-Panik und den Streitigkeiten dieser und der letzten Regierung wird die Wählerschaft derart desinformiert, dass sie kein realistisches Bild des Landes mehr hat.
Deepdive: Besonders AfD-Wähler leben in ihrer eigenen Realität
Die AfD ist ein Scheinriese
Die AfD ist ein Scheinriese. Sie ist ein Projekt, mit dem erst Unzufriedenheit erzeugt werden soll, um sie danach auszunutzen, um Überreiche zu bereichern, die diese Partei erst mit sehr viel finanziellem Aufwand medial zu inszenieren. In einer Medienlandschaft, die unfähig ist, aus der Klick- und Auflagelogik auszubrechen, und sich deshalb alle die bezahlten Verzerrungen von rechts aufdiktieren lässt, die den Mythos ihres Siegeszugs aufrechterhält und ihre Gegner demotiviert. Das Unbesiegbarkeits-Gerede ist Taktik. Die Rechten haben keine Fakten. Sie wiederholen die Lügen nur so oft, bis sie uns zermürben. Wir – und damit meine ich insbesondere unsere Medien – sollten sie deshalb auch nicht wiederholen. Auch nicht, um sie zu widerlegen, oder uns darüber lustig zu machen, übrigens.
Das heißt nicht, dass die AfD nicht eines Tages wirklich die Macht ergreifen könnte. Aber es heißt auch, dass diese Machtergreifung nicht zwangsläufig sein muss, wenn genug Menschen sich dieser Verzerrungen bewusst werden und wenn endlich mehr Medienschaffende das nicht nur begreifen, sondern auch im Alltag umsetzen. Du kannst dabei mithelfen, wenn du diesen Text weiterschickst und es weitererzählst. Denn wenn es nicht unsere Mainstream-Medien machen, müssen wir es selbst tun.
Artikelbild: Katharina Kausche/dpa
