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Irgendwas mit Internet: Neue Twitter-Regeln für negative Tweets gehen in den Chaostagen unter

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist...
Elon Musk lässt seine Followerschaft darüber abstimmen, ob Donald Trump zurückkommen darf. Kaum Beachtung fand allerdings eine Ankündigung einer neuen Twitter-Policy, nach der „negative Tweets“ jetzt anders behandelt werden sollen. Aber was bedeutet das überhaupt und wer bestimmt das?
Der neue Twitter-Chef sorgt für Chaos und Spektakel. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / NurPhoto – Montage: netzpolitik.orgDrei Wochen nach der Machtübernahme bei Twitter durch Elon Musk gehen die Chaostage weiter. Kaum ein Tag vergeht, wo nicht wieder neue Hiobsbotschaften oder Durchhalteparolen durch den Chef-Twitterer persönlich verkündet werden, oder Teile der Belegschaft überstürzt gefeuert und manchmal wieder zurückgeholt werden. Wenn das so weiter geht, arbeiten kommende Woche nur noch die Mitarbeiter:innen für Musk, die aufgrund von Arbeits-Visa in den USA festsitzen, an ihren Arbeitsplatz gebunden sind und nicht so einfach flüchten können. In Deutschland organisieren sich verbliebene Angestellten in einem Betriebsrat, ich wünsche viel Erfolg.
Im Zweifelsfall Brot und Spiele für die Fan-Boys
Am Wochenende gab wieder ein neues größeres Spektakel zu sehen: Elon Musk ließ seine 117 Millionen Follower:innen und Bots darüber abstimmen, ob er Donald Trumps gesperrten Account wieder entsperren sollte. Musk hatte dies im Vorfeld seiner Machtübernahme bereits versprochen, das dann aber in den Tagen danach wieder in einer 180 Grad-Kehrtwende revidiert. Eine noch einzusetzende Kommission solle dem Unternehmen Vorschläge machen, wie mit gesperrten Accounts umzugehen sei. Möglicherweise trat er damit Bedenken von Werbetreibenden entgegen, die in Scharen dem Unternehmen den Rücken zuwandten, weil sie kein Vertrauen mehr hatten. Dieses ist seitdem aber sicher nicht gewachsen.
Mittlerweile ist das ihm auch wieder egal geworden. Die versprochene Kommission nach Vorbild des Facebook Oversight-Boards gab es auch nicht und ein Twitter-Poll sollte jetzt die kurzfristig anberaumte Entscheidung übers Wochenende abnehmen. Ganze 15 Millionen Accounts machten mit und das knappe Ergebnis von 52:48 Prozent wurde dann als Volksabstimmung verkündet. Bei einem Quorum von 5 Prozent bei offiziellen Zahlen von 220 Millionen täglichen Nutzer:innen ist das übrigens ganz schön peinlich. Unklar ist, ob Musk im Hintergrund still und heimlich am Abstimmungsknopf drehte – denn wer kann das schon kontrollieren? Abgesehen davon gibt es zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, dass solche Umfragen in sozialen Medien nicht der Realität entsprechen.
Aber es ist ja auch egal, denn das Spektakel wurde genutzt, um den eigenen Fan-Boys Brot und Spiele zu geben. Und wahrscheinlich war auch die Hoffnung dabei, dass Trump zurückkommt und es durch sein Twitterverhalten in der nahenden Präsidentschaftskandidatur täglich wieder neue Medienaufmerksamkeit und damit Relevanz bringt. Der gescheiterte Umstürzler ziert sich allerdings noch, weil er seine eigene Konkurrenz-Plattorm bewerben will. Ich fürchte aber, dass nur eine Frage der Zeit sein bis er zurückkommt. Denn auf Twitter hat er einfach mehr Resonanz. Ich hoffe nur, dass viele Journalist:innen ihre Lektion gelernt haben und nicht wieder über jedes kleine Tweet-Stöckchen springen werden, das Trump ihnen dann hinhält.
Neue Twitter-Policy für negative Tweets
Etwas untergegangen ist hingegen die Verkündung einer neuen Twitter-Policy zur Content-Moderation. Am vergangenen Freitag twitterte Musk, dass diese jetzt „Redefreiheit und nicht Reichweitenfreiheit“ beinhalte. Was auch immer das bedeutet. Negative Tweets und Hass-Tweets würden jetzt maximal „deboostered and demonetized“, also agorithmisch herabgesetzt und es dürfe kein Geld mit ihnen verdient werden. Das ist natürlich ein Versprechen, das er zumindest für den Moment gerne geben kann, denn Werbetreibende gibt es ja kaum noch.
Aber es stellen sich natürlich viele weitere Fragen: Wer ist denn vom Personal noch übrig, um diese Regeln durchzusetzen, wenn 3/4 der Belegschaft schon gekündigt ist und gekündigt hat? Ist das neue Modell auch konform mit den kommenden Regeln des Digital Services Act (DSA), koharänte und nachvollziehbare Moderationsregeln anbieten zu müssen? Was ist mit den zahlreichen „negativen Tweets“ von Musk, werden die jetzt auch auf digitale Trampelpfade geschickt? Oder sind die besonders geschützt, weil ihm der Laden ja gehört und ist das dann wieder im Einklang mit den DSA-Regeln? Werden Kritik an Musk und seinen Unternehmen jetzt als „negative Tweets“ angesehen? Und wie reagieren denn die vielen Musk-Jünger (nicht gegendert, sind ja in der Regel Männer) auf die 180-Grad-Kehrtwende, ein Shadowbanning einzuführen, wo Musk doch bisher immer das Gegenteil versprochen hatte?
Wir kennen das bereits von TikTok, wo zahlreiche Themen und Debatten heimlich still und leise im Hintergrund auf unsichtbare Wege gelenkt werden, wenn sie nicht im Unternehmensinteresse sind.
Unsere demokratischen Regeln dürften nicht ausreichend sein
Beide Entwicklungen zusammen stärken meine massiven Bedenken, dass unsere demokratischen Regeln für einen solchen Fall nicht ausreichend funktionieren werden und Regulierungsinstanzen wahrscheinlich vollkommen überfordert sind. Alleine schon durch die Tatsache, dass auf einmal die meisten Ansprechpartner:innen fehlen.
Wir haben hier den neuen Besitzer einer der einflussreichsten globalen Plattformen einer transnationalen Öffentlichkeit, der morgens das eine verspricht und Abends etwas ganz anderes macht. Der kurzerhand die Regeln ändert, je nach Lust und Laune und zeigt, dass er eine Person ist, der man nicht vertrauen kann und darf. Ich fürchte, dass unsere demokratischen Regeln darauf nicht ausreichend vorbereitet sind. Und in anderen undemokratischeren Staaten sieht es richtig düster aus, da kann noch mehr Schaden entstehen. Alleine schon dadurch, dass keinerlei Personal mehr da ist.
Die Europäische Union ist stolz auf ihren Digital Services Act, der gerade in Kraft getreten ist und demnächst durchgesetzt werden soll. Wie ich zur Machtübernahme von Musk schon analysierte, dürften die Extraregeln für Very Large Online Plattforms (sogenannte VLOPs) leider nicht greifen, denn die EU hat einen entscheidenen Fehler gemacht: Die VLOPs-Regeln greifen erst ab 45 Millionen monatlichen Nutzer:innen in der EU und das sind wahrscheinlich fünf bis zehn Millionen zuviel für Twitter. Damit greifen nur die DSA-Regeln, die auch für jedes kleine kommerzielle soziale Netzwerk eines Startups greifen. Das ist einer der Punkte, wo ich mich im Hachhinein sehr, sehr gerne geirrt haben möche. Aber ich fürchte, das ist sehr dumm gelaufen!
Bleiben die anderen bestehenden Regeln, vom Datenschutz über Jugendschutz bis hin zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Die kommenden Monate werden zeigen, ob das alles in einem solchen Ausnahmefall auch funktioniert oder wir zahlreiche zahnlose Tiger haben, die in Verwaltungsakten Brieffreundschaften mit Twitter entwickeln, aber wenig Antwort bekommen. Theoretisch gibt es überall Möglichkeiten für Sanktionen. Ich bin gespannt, ob sie auch eingesetzt werden und dann funktionieren.

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Author: Markus Beckedahl

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